Der Diener Gottes

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2006
  • 9
  • München: Goldmann, 2006, Seiten: 317, Übersetzt: Ute Thiemann
  • Langenfeld: Universo, 2011, Seiten: 317
Der Diener Gottes
Der Diener Gottes
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Michael Drewniok
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2006

Er korrigiert Gottes Fehler und tilgt die Irrläufer

In diversen US-Staaten stellt ein Serienmörder seit einigen Monaten seine Opfer förmlich aus: Er entführt sie, um sie dann zu vergiften und mit dem Skalpell die Muskeln, einzelne Organe oder Knochen mit geradezu künstlerischer Präzision wie für ein anatomisches Modell zu präparieren. Da der Täter keine ethnischen Minderheiten, Außenseiter oder andere Bürger zweiter Klasse metzelt, sondern seine "Schaustücke" ausschließlich unter den Angehörigen prominenter, d. h. politisch und wirtschaftlich einflussreicher Familien auswählt, erregen diese Fälle großes Aufsehen. Die Presse ist begeistert und bläst zur Hetzjagd auf die mächtig unter Druck geratende Polizei.

Nach dem fünften dieser Mord heuert in Washington Dr. Whitney McCormick, Direktorin der FBI-Abteilung für Verhaltensforschung, den Psychiater Frank Clevenger an. Schon oft hat er ihr bzw. dem FBI beratend zur Seite gestanden. Clevengers Spezialität ist die Erstellung psychologischer Profile, die helfen zu verstehen, was in den Köpfen von Gewalttätern vorgeht, damit man sie mit diesem Wissen identifizieren und aufhalten kann.

Im Fall von West Crosse ist der Schlüssel zu seinem Wahnsinn das von Gott angeordnete Streben nach Perfektion. Crosse arbeitet als Architekt und hat sich als solcher Starruhm erworben. In seine Kunden versetzt er sich geistig förmlich hinein und baut ihnen Heime, die sogar jene Wünsche befriedigen, die ihnen selbst gar nicht bewusst waren.

Leider werden Crosses perfekte Häuser oft von nicht gerade perfekten Familien bewohnt. Dies "korrigiert" unser Architekt, indem er schwarze Schafe auf die weiter oben beschriebene Weise eliminiert. Clevengers schwierige Aufgabe besteht darin, diesen bizarren Zusammenhang herzustellen - und dies möglichst, bevor Crosse seinem aktuellen Auftraggeber zu Diensten ist: dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, der eine "schwierige" Tochter zu seiner Familie zählt ...

Thriller-Klischees, immerhin gut aufgewärmt

Stellt diese Inhaltsangabe nicht eine grobes Sperrfeuer unerwünschter Spoiler dar, die eine Lektüre von "Der Diener Gottes" überflüssig machen? Da kann ich Entwarnung geben, denn Keith Ablow baut seinen Thriller nicht nach dem klassischen "Whodunit?"-Muster auf. Dass Crosse der Schurke ist, verrät er uns schon nach wenigen Seiten. Es geht dem Verfasser um die Jagd bzw. den Wettlauf zwischen Ermittler und Täter. Ablow splittet die Handlung in zwei parallel verlaufende Stränge, die sich - so fordert es die Dramaturgie - einander allmählich annähern, bis sie sich im Finale vereinigen. Der Verfasser "springt" zwischen den Strängen, beobachtet im Wechsel Clevenger und Crosse und beschleunigt auf diese Weise das ohnehin rasante Tempo.

Der Psychiater breitet vor unseren Leseraugen das Instrumentarium seiner Ermittlungskunst aus, was der Verfasser oft spannend (und manchmal ein wenig zu penetrant) zu schildern vermag, dass wir - willige Opfer der aktuellen "CSI"-Krimikultur - es uns gern gefallen lassen. Auf der Gegenseite ist Crosse raffiniert, attraktiv und übergeschnappt genug, uns mit seinen wahrlich einfallsreich organisierten Kreuzzug zu fesseln. Um die Sache zu würzen, mischt Ablow ein wenig grishamsche Paranoia in den Plot und ernennt die Opfer zu Mitgliedern der (realen) Elite-Bruderschaft "Skull & Bones", die nach Ansicht diverser Verschwörungstheoretiker (früher "Spinner" genannt) heimlich die Welt regieren.

Ein wenig Gesellschaftskritik schimmert durch, wenn Verfasser Ablow seinen Plot u. a. auf die Tatsache stützt, dass die von Crosses Morden betroffenen Familien ziemlich ungerührt bleiben oder gar Erleichterung durchscheinen lassen. Clevenger zeigt sich gebührend verblüfft, bis ihm aufgeht, dass die Hinterbliebenen sogar froh sind über den Abgang unbequemer bis widerwärtiger Väter, Mütter oder Geschwister. Der Mörder hat ihre unausgesprochenen Wünsche erfüllt und das Leben erleichtert, ohne dass sie sich selbst die Finger schmutzig machen mussten. Genau so, suggeriert Ablow, lassen die Reichen und Mächtigen dieser Welt ihre Probleme lösen; die politische Oberschicht der USA schließt er ausdrücklich ein. Sie erlässt Gesetze, beschließt Steuererleichterungen und lässt sogar Kriege führen, die primär der eigenen Kaste Nutzen bringen. Allerdings bringt Ablow diese These mit einer Penetranz vor, die auf bewusste Provokation schließen lässt. Der Verfasser arbeitet mit jedem Trick und Klischee (s. auch unten), um seinen Roman zum Bestseller zu pushen; wieso also nicht auch mit diesem?

Profiler mit grob geschnitzten Ecken & Kanten

Wenn's kein Pathologe ist, dann ist's ein Profiler, der sich auf die Fährte eines vorgeblich genialen Serienkillers mit möglichst bizarren Mordmethoden setzt. Frank Clevenger passt prima ins Feld der lesermassenkompatiblen Kriminalisten, die nicht durch Originalität verwirren, sondern die behagliche Variation des Bekannten pflegen, die einen ruhigen Feierabend im Lesesessel garantieren.

Sämtliche Klischees kommen zum Einsatz, dies aber so geschickt, dass man sich einfangen lässt. Also: Frank Clevenger ist ein mit allen fachlichen Wassern gewaschener Psychiater. Sein Fachwissen setzt er geschickt ein, um Zeugen und Verdächtige zu verhören und dabei Informationen ans Licht zu fördern, welche die nach Schema F vorgehende Polizei immer wieder in Erstaunen versetzt. Gleichzeitig scheut sich nie, persönlich an vorderster kriminalistischer Front zu kämpfen. Irgendwie ergibt es sich dann, dass er dort völlig auf sich gestellt und mit dem genau jetzt seine Deckung fallen lassenden Täter konfrontiert sieht.

Privat ist Clevenger mit allerlei Problemen belastet, die sich auswalzen lassen und für viele Buchseiten gut sind, aber auch emotionale Tiefgründigkeit demonstrieren: Seine FBI-Chefin ist auch seine Gelegenheitsgeliebte. Zur Zeit klammert sie und wünscht sich ein Kind mit Clevenger. Der hat just mächtig Ärger mit seinem labilen Stiefsohn, der sich in gewaltige Schwierigkeiten manövriert. Ein schlechter Zeitpunkt für Clevenger, erneut dem überwunden geglaubten Suff zu verfallen ... Aber keine Sorge, bis zum großen Finale ist Clevenger wieder auf dem Posten! "Echte" Gefühle, die sich auf die Leser übertragen, sind dies jedoch nicht. Ablow trägt deutlich zu dick auf.

Irrer Mörder mit Sinn für vordergründig Dramatisches

Mit West Crosse präsentiert uns Ablow einen Serienkiller von der Stange. Er ist zwar völlig verrückt, hat sich aber gleichzeitig völlig unter Kontrolle, was nur diejenigen nicht irritiert, die mit Hannibal Lecter als "Muster-Mörder" groß geworden sind. Zusätzlich profitiert die Figurenzeichnung von der doppelten Professionalität des Verfassers, der nicht nur selbst praktizierender Psychiater ist, sondern auch wie Clevenger als wissenschaftlicher Berater für die Justiz arbeitet und schließlich eine enorme Medienpräsenz pflegt. In toto befähigt dies den Verfasser einmal mehr, aus eigentlich stumpfen Klischees Funken zu schlagen: Crosse ist eine völlig unrealistische aber sehr unterhaltsam in Szene gesetzte Figur. Ironisch wirkt dabei Ablows Andeutung, dass es für einen "Problemlöser" vom Schlage Crosses durchaus ein Betätigungsfeld geben könnte ...

Was sich sonst um Clevenger und Crosse tummelt, verteilt sich auf die sattsam bekannten Rollen. Da haben wir den treuen Freund, die liebe aber schwierige Familie, komplettiert von der vorwurfsvollen Geliebte, diverse knarzige Cops und steife FBIler - der erfahrene Leser kann die Liste sicherlich selbst verlängern und wird überrascht sein, wie oft er und sie ins Schwarze treffen werden und damit den Eindruck eines unterhaltsamen aber konsequent mittelmäßigen Thrillers komplettieren.

Der Diener Gottes

Keith Ablow, Goldmann

Der Diener Gottes

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