Farbfilter
- Unionsverlag
- Erschienen: Januar 2006
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- Zürich: Unionsverlag, 2006, Seiten: 282, Originalsprache
Crime dich, oder ich fress' dich!
"Junge, Junge, hier geht's ja ab. Da kann ich meine Krimis wegschmeißen. Ich schreib jetzt lieber selber welche. Brauch ja im Grunde nur meine Auf-zeichnungen zu veröffentlichen. Nee, nee, keine Bange. Ich bin vom Fach. Würde nie was aufschreiben, klar, Ladies."
Diese Worte palavert eine der Figuren aus dem Krimi Farbfilter von Lena Blaudez, nachzulesen auf Seite 199 der Hardcover-Ausgabe des Unionsverlages.
In die "Hall of Fame" der metro-Reihe mit dem herrlich fremdländischen Kolorit, dem abenteuerlichen, ungewissen und garantiert spannenden Eintauchen in fremde Welten und Kulturen sind bisher erst drei deutschsprachige Schriftsteller aufgenommen worden: Krimi-Altmeister Friedrich Glauser, Clemens Stadlbauer mit seinem Quotenkiller und eben Lena Blaudez. In meinem Hinterkopf geistert ständig die Frage, was Thomas Wörtche als verantwortlichem und vor allem verantwortungsbewussten Verleger dazu bewogen hat, für alle treuen Fans als dritte Überraschung aus dem deutschsprachigen Raum ausgerechnet Lena Blaudez in seiner "Wundertüte metro" zu verstecken? Verkommt die Wundertüte zum Tütenwunder?
Lena Blaudez schöpft aus eigenen Erinnerungen und Aufzeichnungen ihrer beruflichen Erfahrungen und bastelt daraus Krimis. Die Protagonistin ihrer Bücher heißt Ada Simon und ist Journalistin. Etwas sehr unerschrocken, ziemlich abgebrüht, immer auf der Suche nach dem passenden Objekt, notfalls auch nach dem männlichen. Mit ihrer Leica schafft sie Fotodokumentationen über Afrikas Land und Leute für illustrierte Zeitschriften. Das ist sicherlich der Aufhänger, warum 2005 der erste Roman von Lena Blaudez unter dem Titel Spiegelreflex - Ada Simon in Cotonou veröffentlicht wurde. Vergleichbar trägt ihr Werk vom Jahrgang 2006 den Fotografie assoziierenden Namen Farbfilter - Ada Simons in Douala.
Nun werden sicherlich nur Globetrotter und zukünftige Günther Jauch-Kandidaten auf Anhieb sagen können, dass beide Städte in Afrika liegen, Cotonou als Regierungssitz in Benin und Douala als Provinzzentrum im Staate Kamerun, dem Übergangsgebiet zwischen Äquatorial- und Westafrika.
Kamerun ist von der Landesfläche zwar 30% größer als die BRD, hat aber nur einen relativ kleinen Küstenstreifen, der hart umkämpft ist. An diesem Nadelöhr nach Übersee treibt der "Raubtierkapitalismus" (S.230) sein Unwesen: illegaler Tropenholzhandel mit den Zutaten gefälschter Konzessionen und Schmiergeldern steht auf der Tagesordnung. Etwa 40% der Staatsfläche sind Waldbestand, und der Raubbau an den Harthölzern hat kriminelle Dimensionen angenommen. Er vernichtet den Urwald als Lebensraum der Gorillas. Diese werden noch dazu von Wilderern heftig bejagt und rücksichtslos dezimiert, weil geräuchertes "Buschfleisch" eine Delikatesse in den kärglichen Töpfen der armen Bevölkerung ist.
Und dann lagert in Kameruns Erde das Coltan, den Goldstaub des neuen Jahrtausends. Coltan (Colombo-Tantalit) ist ein Edelmetall und unerlässlicher Rohstoff für die Herstellung von Kondensatoren in Handys. Coltan hat laut Pentagon die Einstufung als strategischer Rohstoff; 80% der weltweit bekannten Coltan-Ressourchen lagern im Kongo, dementsprechend hart ist der Kampf um dieses Objekt der Begierde.
Aber Kamerun verfügt über noch mehr Begehrlichkeiten: Das Land ist rohstoffreich an Gold und Diamanten. Für deren illegalen Schmuggel sind hier schon ein handliches Köfferchen und ein internationales Linienflugzeug ausreichend.
Dazu kommt weiterer Zündstoff: Die Lage des Landes zwischen dem südlichen und westlichen Afrika haben das Land zu einem Sammelbecken von über 200 (zum Teil auch sprachlich verschiedenen) Volksgruppen gemacht; vielfach sind die Nachwehen der Kolonialisierung unter Herrschaft unterschiedlichster Länderflaggen immer noch sichtbar. Ein idealer Nährboden für Aids, Drogen, Stammesfehden mit Vodou-Zauber und den Gecko als heimliches Erkennungszeichen mafiosihafter Bünde.
Diese Ausgangssituation ist bedingungslosen achtundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit und konstanten zweiunddreißig Grad Celsius ausgesetzt. Unter diesen Umständen wird entweder jede Hektik als lächerlicher Unfug angesehen oder mutiert zum Treibhaus für Aggression und Gewalt.
Das wäre eigentlich ein lohnenswerter Grundstoff fürs Titelthema einer der wöchentlich erscheinenden Print-Politikmagazine in heimischen Landen. Lena Blaudez hat den Mut, zur Feder zu greifen - und vergeigt eine hochbrisante Thematik im Literaturgenre des Kriminalromans.
Lena Blaudez vergeigt die hochbrisante Thematik
Schon der Einstieg ist recht befremdend: Fotografin Ada Simon reist zu einer Tagung nach Deutschland, wo unter anderem auch über Tropenholz geredet werden soll. Diese findet in einem maroden Spukschloss statt, weitab von der Zivilisation. Scheinbar völlig unkontrolliert leben noch einige geistig Behinderte in diesem ober- und unterirdischem Labyrinth, einem ehemaligen "Heim der Bekloppten". Das Schloss wurde auf den Grundmauern eines Zisterzienser-Nonnenklosters erbaut, die unterirdischen Gänge reichten ursprünglich bis in die Nachbarorte und wurden zwischenzeitlich auch als unterirdische Raketenabschussbasis genutzt!
Ein gottverlassener Kiosk gehört zum geisterhaften Bühnenbild, ebenso eine heruntergekommene Dorfkneipe, natürlich nur mit Halblitergläsern, zum Schnitzel gibt's den "obligatorischen Rotkohl-Weißkohlsalat". Haarlose Typen donnern unverhofft (und natürlich im Opel!) mit ohrenbetäubendem Techno-Gedröhn vorbei: Genau, die Autorin unternimmt den Versuch, uns das Ossiland bildlich vorzustellen, das Meck-Pomm der Nachwendezeit! Die Plakette zur Unterstützung und Förderung des Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesland mit der immer noch am schwächsten Infrastruktur, wird Lena Blaudez für diese völlig überzogene Darstellung wohl nicht bekommen...
Mit Verlaub gesagt, ist trotz aller Trends zu kollektiven Erlebnis-Events auch die Wahl gerade dieses geschilderten Konferenzortes mit internationalen Gästen zum Thema "Ökologie in der Waldwirtschaft" nur schwerlich nachvollziehbar.
"Morden für das Guinness-Buch"
Die eigentliche Handlung des Krimis spielt jedoch in Kamerun. Mit ihren Freunden gerät Ada Simon dort immer mehr an das Insiderwissen von Wirtschaftsverbrechen großen Ausmaßes und damit selbst in Gefahr. Ihr Weg, ein Ausreisevisum aus Kamerun zu erhalten wird immer häufiger gepflastert mit Leichen unterschiedlicher Nationalität: ein polnischer Missionar, ein französischer Umweltschützer, ein deutscher Botschafter, ein russischer Waffenhändler, ein belgischer Diamantenschieber, eine malaysische Holzschieberin, eine Haushälterin aus Benin, ein Schweizer und ein Kameruner - ich bin mir nicht sicher, alle erwischt zu haben. Dunnerlittchen, welch internationales Gemeuchel!
Aber Ada Simon ist hart im Nehmen: Einer der Leichname, Opfer einer Gorillafalle, schon tagelang der feuchtwarmen Urwaldwitterung ausgesetzt, wird "vor ihren Augen... weiter von Würmern perforiert". Was will uns Frau Blaudez damit sagen? Die Frage stellt sich auch nach folgender Bemerkung der schönen, farbigen Emma, die zuvor ihren Freund (natürlich ermordet!) verloren hat, gerichtet an ihre Freundin Ada Simon: "Übrigens, kannst du dich an den scharfen Tänzer aus dem Akwa Palace erinnern? So was Schnuckliges. Hab ihn mir neulich gegönnt. Göttlicher Liebhaber. Einzigartig!" Das schnuppert nach erfolgreichem Zuschlag zum Fortsetzungsroman in der femininen Yellow Press...
Ein Übriggebliebener aus dem ehemaligen "Heim der Bekloppten" mit dem schönen Namen Herr Pompöse hilft in der heikelsten Phase der Jagd nach dem Oberverbrecher im ehemals heimischen Mecklenburg. Ein Sympathieträger, sehr schön beschrieben und bildhaft dargestellt, der mit verwirrter Logik den großen Unbekannten stellt. Das hat doch mal was!
Eine traurige Bilanz
Im Nachwort äußert Lena Blaudez, "... Insofern schreibe ich durchaus gegen die Augenwischerei der Entwicklungshilfe und verbreitete Mediendarstellungen an, die beispielsweise behaupten, der Kontinent sei nur arm aufgrund von Stammeskriegen". Diese mutige Absicht gelingt ihr allerdings wirklich in anzuerkennender Art und Weise. Sie vermittelt in ihrem Kriminalroman Farbfilter interessante und erschreckende Einblicke in das arg gebeutelte Kamerun, aber trotz der hohen Mordrate kam bei mir keine richtige Spannung auf, und das ist nach 275 Seiten Kriminalroman eine traurige Bilanz.
Vielleicht ist das kein Winterkrimi und der Schreibstil passender zu einem Sommertag in brütender Hitze: kurze Sätze, holprig-treibend, ohne fließende Sprachrhythmik, jedoch nicht vergleichbar mit dem brillanten Einstieg z.B. in Lee Childs Größenwahn. Und: Gegen die Kamerun-Ikone Mongo Beti mit seinem überschwänglichen, ur-afrikanischen Palavern ist selbst bei subtropischen Temperaturen kein Kraut gewachsen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Der tolle Einbandentwurf suggeriert Spannung und ist in dieser Form zur Serie ausbaubar, Afrika hat noch über 50 zu beschreibende Länder, der Fotoapparat noch wesentlich mehr Einzelteile und die deutsche Kiefer ist ein schnell nachwachsender und noch dazu einheimischer Rohstoff! Die zum "Grandmaster of Mystery Writers of America" ernannte P.D. James schreibt selbst im ehrfurchtsvollen Alter von mittlerweile mehr als 80 Lebensjahren immer noch Krimis, die uns allesamt vom Hocker hauen.
Lena Blaudez, Unionsverlag
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