Ein Fremder im Haus
- Droemer Knaur
- Erschienen: Januar 1988
- 2
- New York: Dell, 1983, Titel: 'Stranger in the House', Seiten: 367, Originalsprache
- München: dtv, 2006, Seiten: 340, Übersetzt: Nina Pallandt
- München: Droemer Knaur, 1988, Titel: 'Der fremde Gast', Seiten: 300, Übersetzt: Traudl Weiser
Ein Kammerspiel des Grauens
Anna Lange und Ihr Mann Thomas führen ein wahres Musterfamilienleben mit ihrer Tochter Tracy und deren älterem Bruder, dem vierjährigen Paul. Doch diese Traumidylle erfährt ein jähes Ende als Anna eines Tages kurz nach der im Haus schreienden Tracy schauen will und dafür ein paar Minuten Paul unbeaufsichtigt im Garten allein zurück lässt. Als sie kurz darauf zurück kehrt ist Paul spurlos verschwunden. Eine groß angelegte Suchaktion bleibt ohne Erfolg und während Anna die Hoffnung auf eine Rückkehr ihres Sohnes nie aufgibt, finden sich im Laufe der Jahre Thomas und Tracy mit der Realität ab.
Elf Jahre später: Die im Sterben liegende Dorothy Lee Rambo übergibt Reverend Foster einen Brief, den dieser an ihrem Todestag öffnen soll. Hierin gesteht sie, dass ihr Mann Albert ihren Sohn "Billy" vor langer Zeit entführt habe und dieser Junge mit richtigem Namen Paul Lange heißt. Der unter einer schweren Geisteskrankheit leidende Albert ergreift darauf hin die Flucht und so kommt es nach über zehn Jahren zur Wiedervereinigung der Familie Lange. Doch was als großes Freudenfest geplant war entwickelt sich zu einem wahren Horror-Szenario: Der mittlerweile 15-jährige Paul wirkt wie ein Fremdkörper in seiner neuen/alten Familie, Tracy und Thomas wenden sich zunehmend von ihm ab, Anna entwickelt eine geradezu hysterische Fürsorgepflicht, den "gestörten" Albert zieht es mit aller Macht zurück zu seinem Sohn und der schwerreiche Nachbar der Langes, der Wirtschaftsboss Edward Stewart, will mit allen Mitteln verhindern, dass die damaligen Ereignisse erneut ans Tageslicht gebracht werden...
Die Rollen der einzelnen Figuren sind klar verteilt: Anna kennt in ihrer Rolle als fürsorgende Mutter nur das Wohl ihrer Familie, wobei sie den Schwerpunkt ein wenig zu einseitig auf ihren Sohn verlagert. Während den elf Jahren seiner Abwesenheit nimmt sie jeden noch so dünnen Faden auf, in der Hoffnung, er käme zurück, und als es dann endlich soweit ist, gerät sie erneut in eine panisch-hysterische Situation, weis sie doch, dass dessen Entführer Albert Rambo noch frei herum läuft. Dabei übersieht sie, dass ihre Tochter Tracy schon in jungen Jahren zu Drogen greift und ihr Mann Thomas sich zunehmend von ihr distanziert. Tracy ist der typische schwierige Teenager und Thomas der "altmodische" Familienmann, dem zwar einerseits Familie und Beruf über alles gehen, der aber dennoch zunehmend von der Obsession seiner Frau genervt ist. Gleichwohl bringt er es denn doch nicht über sein Herz sie zu verlassen, obwohl es an einer reizvollen Alternative in Person seiner hübschen Sekretärin nicht mangelt. Sehr schwach wirkt einzig die Figurenzeichnung des angeblich geistig gestörten Albert Rambo (für dessen Nachnamen bzw. die damit einhergehende Assoziation zur gleichnamigen Filmfigur gleich mal 5 Grad bei der Bewertung abgezogen werden). Denn abgesehen davon, dass er sich bei seinen kurzen Auftritten immer wieder auf Gott beruft (heutzutage ja keine Seltenheit), wirkt er ansonsten recht normal. Hier wäre deutlich mehr Detailarbeit erforderlich und somit mehr Psychothrill wünschenswert gewesen. Das wahre Grauen jedoch, der Leser erfährt es bereits nach gut 100 Seiten, lauert hinter der vermeintlich gutbürgerlichen Fassade des Industriellen Edward Stewart, dessen Frau Iris zu Hause schon mal gleich gar nichts zu sagen hat. Schließlich hat er sie nur wegen ihres schwerreichen Vaters geheiratet.
Soviel zu den "mustergültig" in Szene gesetzten Klischees deren sich Patricia MacDonald bedient: Schwarz oder Weis, mehr Differenzierung der einzelnen Charaktere ist bei diesem Roman leider nicht drin und obwohl dies normalerweise der Grundstein für eine schlechte Bewertung wäre muss man im vorliegenden Fall eine Ausnahme machen. Denn gleichwohl die Autorin mit ihrer Protagonistin Anna den ultimativen "Nervfaktor" nicht nur aus der Sicht ihres Mannes schafft (wenngleich ihre Furcht ja nicht unbegründet ist), so gelingt ihr doch weitestgehend ein sehr ordentlicher und vor allem stellenweise überraschender Plot. Wo andere Autoren nach all den Jahren ein stark verstörtes, misshandeltes Kind zu ihren Eltern zurück oder einen vom Teufel besessenen "Dämon" nach Hause geschickt hätten, so passiert hier nichts dergleichen. Der Junge ist physisch wohlauf, leidet aber gelegentlich unter starken Alpträumen, an deren Ursache er sich aber nicht oder nur vage zu erinnern vermag. Während Anna und damit einhergehend der Leser noch über mögliche Misshandlungen durch Albert Rambo spekulieren, wird bald klar, dass es so einfach nicht gewesen sein kann und so findet Rambos Leben konsequenterweise dann auch ein vorzeitiges Ende. Bezüglich dieses Erzählstranges hätte die Autorin den Spannungsbogen allerdings noch ein wenig halten können, um nicht zu sagen, halten müssen. Schade, Chance vergeben, erneuter Punktabzug...
Über weite Strecken wirkt "Ein Fremder im Haus" wie ein Kammerspiel, in dem sich das Grauen ausschließlich im Haus der Langes abspielt. Die neue Situation wirkt sich auf alle Beteiligten belastend aus und die unsichtbare Bedrohung von außen macht es nicht einfacher. Vereinzelte, wohl dosierte Pointen sorgen für Überraschungselemente eines handwerklich soliden Romans. Alles in allem ein feiner Suspence-Thriller, der, obwohl vor (Charakter-) Klischees triefend, für angenehmen Nervenkitzel sorgt.
Patricia Macdonald, Droemer Knaur
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