Der Wald der toten Seelen
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2006
- 2
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2006, Seiten: 464, Übersetzt: Theda Krohm- Linke
Aufarbeitung der Geschichte Weißrusslands
Der reale Hintergrund, den Carla Banks für ihren Krimi gewählt hat, ist in der breiten Öffentlichkeit relativ unbekannt: Im zweiten Weltkrieg ließ die sowjetische Geheimpolizei NKWD (die Vorgängerorganisation des KGB) im Wald Kurapaty in der Nähe von Minsk eine große Anzahl von Menschen erschießen. Lange Zeit versuchte die sowjetische Regierung, die Existenz der Massengräber zu vertuschen, bis dieses Kapitel der Geschichte in den 80er Jahren aufgedeckt wurde. Nur kurze Zeit nach den Erschießungen von Kurapaty wurde Weißrussland von den Nazis heimgesucht, die im Konzentrationslager Maly Trostenez abermals viele Menschen töteten.
Die Historikerin Helen Kovacs interessiert sich anscheinend sehr für diesen Teil der Geschichte. Bei ihren Recherchen in einer alten Bibliothek kommt sie offenbar einem gutgehüteten Geheimnis so nahe, dass sie mundtot gemacht werden muss: Sie wird dort mit einer Garotte ermordet. Der Verdacht fällt zunächst auf den jungen Hausmeister Nick Garrick. Helens Freundin Faith Lange stößt bei der Durcharbeitung der Unterlagen auf rätselhafte Notizen Helens, kann sich aber keinen Reim darauf machen.
Der Journalist Jake Denbigh ist ebenfalls an den Hintergründen von Helens Tod interessiert. Eine alte Dame, die er für sein Buch zur Geschichte Weißrusslands interviewt hat, bittet ihn, seine Kontakte bei der Polizei zu nutzen, da sie sich Sorgen um den Verhafteten Nick Garrick macht, den sie unter ihre Fittiche genommen hat. Jake Denbigh hat auch den Großvater von Faith, Marek Lange, interviewt, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus Weißrussland nach England geflüchtet ist. Dieser schwieg jedoch bei den Nachfragen nach dieser Zeit beharrlich. Jake gräbt immer tiefer in der Vergangenheit und nutzt seine Reise nach Minsk, auch Marek Langes Geschichte genauer unter die Lupe zu nehmen.
Carla Banks = Danuta Reah
Carla Banks ist übrigens das Pseudonym von Danuta Reah, die bereits einige Krimis veröffentlicht hat. Auf der Homepage von Carla Banks ist nur ein kleiner versteckter Link zu ihrem "echten" Autorenportrait. Als Begründung, warum "Der Wald der toten Seelen" unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde, wird angegeben, dass dieses Buch sich sehr von den anderen Büchern der Autorin unterscheiden würde. Dieser Aussage kann ich nicht zustimmen, denn obwohl mir diese Tatsache unbekannt war, empfand ich sofort eine Ähnlichkeit mit dem ersten Krimi von Danuta Reah "Letzter Halt".
"Der Wald der toten Seelen" entspricht nicht gerade dem Klischee eines waschechten Krimis, bis auf die Tatsache, dass ein Mord gleich am Anfang der Geschichte steht. Der Fortgang der Story wird eher geprägt durch geschichtliche Recherche sowie den Versuch, dunkle Geheimnisse einiger Mitwirkender zu lüften. Weder Faith Lange noch Jake Denbigh agieren als Amateurdetektive und der Mord an Helen Kovacs scheint fast nur Beiwerk zu sein. Dennoch gelingt es Carla Banks, eine eigentümliche Spannung aufzubauen, derer man sich nur schlecht entziehen kann. Sie gestaltet den Ablauf recht abwechslungsreich, indem sie den Leser aus verschiedenen Perspektiven teilhaben lässt: Mal wird die Geschichte aus Sicht von Faith Lange erzählt, mal aus Sicht von Jake Denbigh. Dazwischen gibt es auch einige Kapitel, welche die Vergangenheit Marek Langes näher beleuchten.
Gute Recherche gepaart mit interessantem Aufhänger
Interessant ist vor allem, wie Carla Banks dieses Buch aufgebaut hat. Man spürt, dass sie sehr genau recherchiert hat, um das Grundgerüst ihrer Handlung zu erschaffen. Obwohl sie mit den geschichtlichen Details zu keiner Zeit langweilt, überflutet sie den Leser teilweise doch mit Informationen, die sie aus spannungstechnischen Gründen an einigen Punkten auch nur häppchenweise serviert, was wiederum das Ganze recht kompliziert macht. Nachdem alle Geheimnisse gelüftet wurden, blieb ich dann also etwas verwirrt zurück, da mir erstens die Zeit zum Verarbeiten fehlte und zweitens auch der geschichtliche Hintergrund, um alle Puzzlestücke zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Insofern beschäftigt einen das Buch auch noch nach der Lektüre, was bei vielen Büchern der Marke Alzheimer - gerade gelesen und schon wieder vergessen - nicht gegeben ist.
Sprachlich und vom relativ unspektakulären Handlungsablauf her gesehen ist "Der Wald der toten Seelen" ein wirklich durchschnittlicher Krimi, der mit düsterer Symbolik russischer Märchen und geheimnisvollen Andeutungen über Partisanentätigkeit, Kollaboration und Kriegsverbrechen aufgepeppt wurde, aber der Aufhänger, nämlich die Aufarbeitung eines relativ unbekannten Teils der weißrussischen Geschichte, macht das Buch interessanter und vielschichtiger als gedacht.
Danuta Reah, Rowohlt
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