Die blaue Liste

  • Kiepenheuer & Witsch
  • Erschienen: Januar 2003
  • 17
  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2003, Seiten: 350, Originalsprache
  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2005, Seiten: 350, Originalsprache
  • Frechen: Delta Music, 2006, Seiten: 5, Übersetzt: Thomas Friebe
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Thomas Kürten
74°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2006

Die dritte Generation als Fundgrube für Verschwörungstheorien

Fakt ist, dass Detlef Carsten Rohwedder im April 1991 in seiner Düsseldorfer Villa erschossen wurde. Der oder die Täter hatten sich in einer benachbarten Kleingartenkolonie verschanzt und konnten nach dem Attentat entkommen. Unklar ist bis heute, wer die tödlichen Schüsse abgefeuert hat.

Fakt ist, dass im Juni 1993 der vermeintliche Täter im Kugelhagel auf dem Bahnhof von Bad Kleinen ums Leben kommt. Unklar ist bis heute, aus welcher Waffe der tödliche Schuss kam, der Wolfgang Grams aus nächster Nähe erwischte.

Fakt ist ferner, dass nur rund 6 Wochen nach dem Tod von Rohwedder eine Boeing der Lauda-Air kurz nach dem Start vom Flughafen Bangkok in den thailändischen Dschungel stürzte. Alle 223 Menschen an Bord sterben. Unklar ist bis heute, wieso ein kleines Richtungsventil eine Schubumkehr in einem der Treibwerke auslösen konnte.

Drei Ereignisse der Zeitgeschichte, die auch heute noch mehr Fragen als Antworten aufwerfen. Bei Wolfgang Schorlau hängen all diese Geschehnisse eng zusammen, womit er den Anhängern von Verschwörungstheoretikern neuen Nährboden bietet - und allen anderen Lesern einen spannenden Thriller.

Ein gemütliches Schwaben-Detektivle

Georg Dengler ist der Protagonist in den Romanen von Wolfgang Schorlau. Als ehemaliger Mitarbeiter des BKA, der an seiner Integrität und Rechtschaffenheit scheiterte, hat er auch nach seinem Rückzug aus dem gesicherten Beamtenleben noch einige Kontakte in die richtigen Kreise, um als kleiner Privatermittler auch die großen Fälle bearbeiten zu können. Und ja, genau das ist er, ein Existenzgründer, gerade aus dem Dienst ausgeschieden und zurückgekehrt nach Stuttgart, um in der Nähe seines Sohnes zu sein, der bei seiner Ex-Frau aufwächst. Dengler ist ein Mann in den besten Jahren, der in einer kleinen Wohnung über einer beliebten Gaststätte wohnt, sein Nachbar schreibt Horoskope für Zeitschriften und in der Wohnung über ihm wohnt Olga, eine attraktive, in Rumänien geborene, ehemalige Taschendiebin, die auch schon mal kurzfristig in seine Wohnung einbricht. So viel zu den Konstellationen, die der Autor für den Hintergrund seiner Serie erdacht hat.

Dengler, gerade in Stuttgart angekommen, gibt ein Inserat in der Zeitung auf, mit dem er seine Dienste als privater Ermittler anbietet. Und tatsächlich erhält er sofort einen Fall, der aus dem befürchteten Was-macht meine-Frau-wenn-ich-arbeite bzw. Was-macht-mein-Mann-wenn-er-sagt-er-arbeitet Einheitsbrei herausragt: Eine junge Frau sucht ihren Vater. Von ihm hatte sie zuletzt 1991 gehört, als er eine Maschine der Lauda Air am Flughafen von Bangkok knapp verpasst hatte. Allerdings werden seine Sachen kurz später in den Trümmern der abgestürzten Maschine gefunden und von ihm fehlt seither jede Spur. Pikant wird der Fall, als Dengler enthüllt, dass der Vermisste als hoher Angestellter bei der Treuhandanstalt eine Linie verfolgte, die sich von der nach 1991 umgesetzten Linie der Behörde grundsätzlich unterschied. Eine Linie, die bei dem damals ermordeten Treuhandchef Rohwedder wohl durchaus Gehör hätte finden können. Und als Leiter der Einheit des BKA in Düsseldorf war der RAF-Mord an Rohwedder damals sein Fall.

Brisante Thesen

Seine hohe Unterhaltungsqualität bezieht dieser Roman aus den realen Grundlagen. Schorlau ersinnt aus der Verbindung eines ominösen Flugzeugabsturzes mit den Aktionen der dritten Generation der RAF einen explosiven Stoff. Wer den hier skizzierten Denkansätzen folgt und mit den Inhalten des Romans das Zeitgeschehen überblenden will, der wird sich an den Ideen des Autors laben können. Was, wenn die Thesen des Autors tatsächlich Realität würden? Die dritte Generation der RAF ist heute noch mit unzähligen Fragen versehen. "Die blaue Liste" geht dabei auf eine von Verschwörungstheoretikern gerne aufgegriffene Behauptung auf, nämlich, dass die Anschläge der dritten Generation staatlich gelenkt waren. Zumindest in der Dramaturgie kann Schorlau hiervon zehren.

Insgesamt plätschert die Geschichte jedoch ein wenig zu behäbig vor sich hin. Die Brisanz des Stoffes wird von einem sehr besonnen agierenden Ermittler etwas zu sehr ausgebremst. Die Geschichten aus dem Wohnhaus Denglers sind ja ganz nett, aber sie interessant oder gar einen Gewinn für den Roman zu nennen, das wäre über das Ziel hinaus geschossen. Gewitzt hingegen, wie der Autor erklären kann, wie man in Thailand einen echten deutschen Reisepass ergaunern kann. Solche kleinen Details sind dann wieder die Pluspunkte an Schorlaus "Blauer Liste". Insgesamt ein guter Erstling, der Potenzial für mehr aufweist.

Die blaue Liste

Wolfgang Schorlau, Kiepenheuer & Witsch

Die blaue Liste

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