Der Beobachter
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1988
- 6
- New York: Coward, McGann & Geoghegan, 1980, Titel: 'The Watcher', Seiten: 327, Originalsprache
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1988, Seiten: 282, Übersetzt: Klaus-Dieter Schmidt
Spannend und hintersinnig
Dr. Martin Granger, Direktor des Institutes für das Studium kultureller und ethischer Werte, steht auf dem Zenit seiner Karriere. Selbst US-Präsidentschaftskandidat Hart Collins bedient sich seiner Ansichten über eine Gesellschaft von gleichgestellten, gleich wertvollen Menschen. Mit seinem Leitsatz "Der Tod ist der große Gleichmacher." und der daraus folgenden Konsequenz "Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen im Leben ebenso gleich behandelt werden wie im Tod." zieht er die Massen an, bis ihm eines Abends seine Sekretärin Astrid Cain eröffnet, dass sie in Wirklichkeit die Journalistin Anne Cain von der Zeitung "Blade" sei und für einen Artikel über Granger recherchiert habe. Dies nicht zuletzt aus persönlichen Gründen, denn ihr Mann, Dr. David Chapin, der im Institut bis vor einiger Zeit gearbeitet hat, hat sich zuletzt deutlich verändert.
Jegliche Motivation und positive Stimmung, die ihn stets auszeichnete sind verschwunden. Astrid (Anne) beschuldigt Granger, seine Mitarbeiter kontinuierlich herabzuwürdigen, ihnen ihren Lebenswillen zu nehmen, worauf es zu einem erbitterten Wortgefecht kommt, an dessen Ende Granger über die Balkonbrüstung fallend auf eine Statue stürzt und stirbt.
Ein unmoralischer Deal
Die Polizisten Hugh Riley und Paul Damon behandeln den Fall zunächst als Unfall, doch nach einem anonymen Anruf bitten sie Astrid zu einem Gespräch auf die Wache. Dort zeigt diese sich wenig kooperativ, aber mangels konkreter Hinweise (Hat sie Dr. Granger womöglich vom Balkon gestoßen?) kann sie wenig später wieder gehen. Doch dann begeht Astrid einen offenbar folgenschweren Fehler. Sie besucht spätabends Paul Damon, mit dem sie bis vor einigen Jahren zusammen lebte und bietet ihm eine Bezahlung (Sex) an, sofern er eine Einstellung des Verfahrens gegen sie bewirkt. Aber Damon hat seine ganz eigenen Vorstellungen von Recht und Gesetz und so wird, basierend auf dem zusätzlichen Tatbestand "Bestechung eines Polizeibeamten", Astrid wegen Mordes verhaftet. Seltsamerweise scheint sie dies jedoch zu freuen...
Die Kernfrage des anschließenden Prozesses lautet: Starb Dr. Granger aufgrund plötzlicher Herzbeschwerden, die ihn das Gleichgewicht verlieren und in der Folge über die Brüstung fallen ließen oder hat Astrid mit einem Stoß gegen den gehassten Chef ihres Mannes nachgeholfen? Jenem Mann, der nach ihrer Überzeugung sein Institut so gnadenlos führte wie ein Sektenguru.
Doch das Ansehen Dr. Grangers darf nicht besudelt werden, schließlich ist Präsidentschaftswahlkampf und der Top-Kandidat zeigte sich gerne und nur all zu oft mit Dr. Granger in der Öffentlichkeit und auch seine einflussreichen und finanzstarken Gönner haben einiges zu verlieren, so dass nicht nur die Beteiligten im Gerichtssaal unter enormen Druck stehen.
So ist "Der Beobachter" nicht nur ein spannender Gerichtsthriller, sondern liefert ferner ein nettes Scharmützel in einem Mix aus Drohungen, Bestehungsversuchen und ähnlich schwer verdaulichen Dingen des täglichen Lebens.
"Das Gesetz ist von Leidenschaft freie Vernunft"
Dieser Ausspruch von Aristoteles war einst das Credo von Paul Damon als dieser noch Jura studierte und bei einer Versammlung einer in Bedrängnis geratenen jungen Frau zur Seite sprang: Astrid. Danach wurden sie ein Paar und wären es wohl ewig geblieben, wenn es da nicht ein gravierendes Schlüsselerlebnis für Paul gegeben hätte, bei dem eines seiner großen Vorbilder als Richter die unrühmliche Hauptrolle spielte, für deren Konsequenz Paul Astrid die Schuld gab. Letztendlich war dieses Ereignis der Grund für Paul seine geplante Anwaltskarriere aufzugeben und sich für den Polizeidienst zu bewerben.
"Warum möchtest du das tun?", fragte Astrid vorsichtig. "Weil ich mich entschlossen habe, dass ich mit dem Rechtswesen nichts zu tun haben will."
Vor die Wahl gestellt zwischen dem Polizeidienst und seiner Freundin entscheidet sich Paul gegen Astrid. Acht Jahre später sehen sich die beiden also unter denkbar ungünstigen Umständen wieder.
Die Charaktere von Paul und Astrid sind gut gezeichnet, wenngleich man sich an ihre mitunter ins theoretisch-philosophische abgleitenden Grundsätze bzw. Einstellungen erst einmal gewöhnen muss. Auch sonst ist die Story eingangs ein wenig sperrig, da man aus der Handlungsweise - insbesondere der von Astrid - einzelner Akteure nicht immer ganz schlau wird. Hat man sich an den Erzählstil jedoch gewöhnt, findet man einen erfreulich andersartigen Krimiplot, da dieser nicht nur ein schön verzwicktes Puzzlespiel enthält, dessen Auflösung unerwartet und daher umso beeindruckender daher kommt, sondern der ferner über ein bemerkenswertes Erzähltempo verfügt. Mal nimmt er "volle Fahrt" auf um dann gleich anschließend wieder in einen juristischen Diskurs zu verfallen.
"Was Fliegen sind dem müßgen Knaben, das sind wir den Göttern:
Sie töten uns zum Spaß." (Shakespeare, "König Lear")
Dieser mit dem "Edgar" ausgezeichnete Debütroman von Kay Nolte Smith ist zwar mittlerweile etwas in die Jahre gekommen, hat aber - quand même - von seiner Faszination nichts verloren. Spannend und hintersinnig mit überraschenden Wendungen.
Kay Nolte Smith, Ullstein
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