Die Pappelallee

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 1964
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  • New York: Dodd Mead, 1962, Titel: 'The Forbidden Garden', Seiten: 182, Originalsprache
  • Bern; Stuttgart; Wien: Scherz, 1964, Seiten: 187, Übersetzt: Alix Koenig
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1978, Seiten: 140
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1987, Seiten: 159
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2016, Seiten: 160
Die Pappelallee
Die Pappelallee
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2019

Reizende alte Ladys im tödlichen Duell

Elsa Marrable ist nicht nur eine verbitterte Frau, sondern eine waschechte Psychopathin, die für ihre Mitmenschen nur Verachtung empfindet. Dennoch lädt sie gern Hausdamen in ihr einsam gelegenes Haus im US-Staat New Mexico ein. Mrs. Marrable sucht die Kandidatinnen nach zwei Gesichtspunkten aus: Haben sie Geld, und sind sie ohne Familie, die unerwünschte Fragen stellen könnte? Wird diese Doppelfrage bejaht bzw. verneint, dauert es nicht lange, bis im liebevoll gepflegten Garten eine neue Pappel gepflanzt wird. Fünf sind es bisher, und was ihre Wurzeln nährt, möchte Mrs. Marrable unbedingt unentdeckt wissen.

Bisher hat ihre Masche vorzüglich funktioniert, aber nun kommt es zu Komplikationen. In einer Ecke von Mrs. Marrables Grundstück steht ein kleines, bisher leerstehendes Häuschen. Dort quartiert Neffe George die junge Harriet Crewe ein, die aktuell ihren asthmakranken Neffen James betreut, während sich dessen Mutter von einer weiteren Geburt erholt. James ist ein kluges, sehr neugieriges Kind, das sich gern in Mrs. Marrables Garten aufhält. Die ist nicht nur deshalb aufgeschreckt. Als potenzielles Opfer Nr. 6 hat sie die ehemalige Krankenschwester Alice Dimmock in ihr Heim gelockt. Sie scheint dem Opfermuster zu entsprechen, erweist sich jedoch als undurchsichtige Frau mit ebensolchen Motiven.

Mrs. Marrable ist unsicher: Haben Neffe George und Gattin Julia es satt, von ihrer angeblichen Erbtante hingehalten zu werden? Soll Harriet Crewe sie aus dem Weg räumen? Diese stellt ihrerseits seltsame Aktivitäten fest, für die Miss Dimmock verantwortlich zeichnet. Harriet befürchtet die Vorbereitung eines Verbrechens und stellt auf eigene Faust Nachforschungen an. Das lässt Mrs. Marrables Verunsicherung wachsen und weckt Angst und Zorn, weshalb sie gedenkt, ihr Problem auf bekannte Weise = endgültig zu lösen …

Psycho-Duell in der Wüste

Zwei Parteien belauern einander, ohne die Gegenseite offen anzugreifen. Man wartet, umkreist sich, wartet auf eine Lücke in der Deckung, die man erbarmungslos zur Attacke nutzen wird: Diese Konstellation beschreibt das im Kriminalroman beliebte Psycho-Duell. Es wird zunächst vor allem in den Köpfen der Beteiligten ausgefochten, bis sich aufgestaute Emotionen in einem explosiven Finale entladen.

Die Spannung wurzelt in der generellen Unsicherheit: Was weiß die Gegenseite wirklich über die eigenen Tücken? Welche Maßnahmen werden gerade ergriffen? Schätzt man die Situation korrekt ein, oder täuscht man sich? Wer wird zuerst die Nerven verlieren? Bevor sich die Lage wie beschrieben klärt, wird intrigiert, gelogen, Böses geplant. Gern erweist sich in diesem Prozess die Tücke des Objekts als Stolperstein: Pläne sind nie perfekt, immer geschieht etwas, das zu einer Improvisation zwingt, die zur Quelle des Untergangs wird.

Für den Leser liegt die Spannung darin, diesen Prozess aus einem Logenplatz zu verfolgen. Zunächst wird das Netz gesponnen. In seiner Mitte sitzt in diesem Fall Mrs. Marrable, die tatsächlich einer bösen Spinne gleicht. Ihre Gegenspielerin ist die nur scheinbar naive ‚Hausdame‘ Miss Dimmock, deren wahre Intention sich erst im Verlauf des Geschehens offenbart.

Vom Gegeneinander zum Dreieck des Lauerns

Ursula Curtiss belässt es nicht bei einer Vis-à-vis-Konfrontation. Sie erweitert das Spielfeld um die junge Miss Crewe und ihren naseweisen Neffen. Erstere schätzt die Situation völlig falsch ein, als sie die Rolle des Bösewichts Miss Dimmock zuweist. Deshalb ist sie bemüht, ausgerechnet Mrs. Marrable zu schützen, während diese schon überlegt, wie sie die ihr verdächtige Nachbarin und den Neffen ausschalten könnte. Aus diesem Irrtum erwächst zusätzliche Spannung, die Autorin Curtiss zu schüren weiß. Zu allem Überfluss wird Mrs. Marrable in ihrer Paranoia allmählich gemeingefährlich. Ihre vorsichtige Zurückhaltung schwindet, was ihr Handeln irrational und unberechenbar macht.

Im Hintergrund agieren weitere, schwer einzuschätzende Figuren. Man versteht Mrs. Marrables Dilemma, weil die Trennlinien zwischen ‚Freund‘ und ‚Feind‘ sich ständig verschieben. Obwohl „Die Pappelallee“ in offenem Gelände spielt, ist dies ein Kammerspiel mit sorgfältig gezeichneter Besetzung. Ebenso boshaft wie präzise lässt Curtiss ihre Protagonisten in immer neue Fallen tappen. Dass dieser Topf final überkochen wird, ist keine Vermutung, sondern eine Gewissheit. Die Leser freuen sich darauf, zumal die Antwort auf die Frage, wie das Drama ausgehen wird, von der Autorin so lange wie möglich hinausgezögert und durch manche Überraschung bereichert wird.

Vor allem Mrs. Marrable wird auf einen Höllentrip geschickt. Aus der kontrollierten, jederzeit überlegenden Serienmörderin wird allmählich ein Nervenbündel, das eher noch gefährlicher ist, weil Marrable verhängnisvolle Kurzschluss-Entscheidungen trifft. Sie kommt irgendwann zu einem genreüblichen Schluss: Vorsichtshalber müssen alle sterben!

Wer ist wer?

Curtiss schrieb ihren Roman vor vielen Jahrzehnten. Dies wird u. a. durch inzwischen altmodisch wirkende Rollenmuster belegt. Zudem gibt es inhaltliche Schwachpunkte. So ist James nicht (mehr) das durch kindliche Neugier angetriebene Zünglein an der Handlungs-Waage, sondern ein Klischee-Kid, das entweder nervt oder zu Handlungen neigt, die auf Mrs. Marrable nur deshalb bedrohlich wirken, weil die Verfasserin es behauptet.

Obwohl sie eine Spitze jenes Dreiecks darstellt, das die (weiblichen) Hauptfiguren bilden, wirkt Harriet Crewe schwach und naiv. Sie will das Beste, trifft aber keine oder schlechte Entscheidungen, die uns Lesern wenig plausibel erscheinen und ärgern. Dass letztlich ein Mann als Retter in höchster Not auftauchen ‚muss‘, ist unter dieser Prämisse vermutlich alternativlos. Glücklicherweise gibt es keine die Handlung verwässernde Love-Story; überhaupt bleibt Curtiss‘ Erzählton kühl bzw. sachlich.

Der Plot an sich ist zeitlos, Mrs. Marrable und Miss Dimmock sind echte, einander würdige Gegnerinnen! Dieser Kampf wird nicht ohne Opfer enden, doch Curtiss schlägt einen erfreulich unübersichtlichen Weg dorthin ein. Leider scheut die Autorin vor einem wirklich konsequenten Ende zurück und weicht auf dramatischen Wahnsinn aus. Immerhin kleidet sie dies gleichermaßen nüchtern wie ironisch in Worte. Dabei sorgt die ‚Ausgrabung‘ der Pappelallee für einen schwarzhumorigen Schlusspunkt.

Der Film zum Buch

Bald nach der Veröffentlichung wurde Hollywood-Produzent und -Regisseur Robert Aldrich auf Curtiss‘ Roman aufmerksam. Eigentlich wollte Aldrich „Die Pappelallee“ selbst verfilmen. Letztlich beschränkte er sich auf die Produzentenrolle. Routinier Lee H. Katzin inszenierte „Whatever Happened to Aunt Alice?” (dt. „Eine Witwe mordet leise“) 1969, nachdem Aldrich Bernard Girard, den ursprünglichen Regisseur, wegen „unüberbrückbarer künstlerischer Differenzen“ nach vier Wochen gefeuert hatte. Als Mrs. Marrable brillierte Geraldine Page, der Ruth Gordon als Miss Dimmock schauspielerisch in keiner Weise nachstand. Der Film gefiel der Kritik, jedoch weniger dem zeitgenössischen Publikum, das  die inhaltlichen Ähnlichkeiten zu den beiden Aldrich-Filmen erkannte. „Eine Witwe mordet leise“ gilt heute trotzdem als ‚kleiner‘ Klassiker des Thriller-Genres.

Fazit:

Temporeich konstruiert die Autorin ein mörderisches Intrigenspiel, in dem die Rollen von ‚Täter‘ und ‚Opfer‘ verschwimmen und wechseln. Mit finsterer Präzision wird  dieses Psycho-Duell, an dem sich (mindestens) drei Parteien beteiligen, der dramatischen Auflösung zugetrieben: ein Höllenritt, der nicht einmal 200 spannungsökonomisch gefüllte Buchseiten benötigt.

Die Pappelallee

Ursula Curtiss, Fischer

Die Pappelallee

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