Ein dickes Fell
- Piper
- Erschienen: Januar 2006
- 6
- München; Zürich: Piper, 2006, Seiten: 603, Originalsprache
- Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2007, Seiten: 6, Übersetzt: Dietmar Mues
- Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: Dietmar Mues
Steinfest darf sich mal richtig auslassen
Eigentlich verwundert es, dass Heinrich Steinfest bisher bei seinen Romanen mit krimitechnisch üblichen 300 Seiten ausgekommen ist. Denn so, wie der Österreicher erzählt, immer wieder abschweift, sich über Randerscheinungen auslässt und Geschehnisse erwähnenstwert findet, die jeder andere außen vor gelassen hätte, ist man erstaunt, dass seine wunderbar aufgebauten Geschichten überhaupt jemals ein Ende nehmen. In seinem aktuellen Buch "Ein dickes Fell", dem dritten und - wie der Klappentext behauptet - letzten Band seiner Reihe um den einarmigen Privatdetektiv Markus Cheng, hat er sich endlich mal richtig ausgelassen und vom Umfang her gleich das Doppelte des sonst üblichen vorgelegt. Dementsprechend lässt er sich auch viel Zeit zur Einführung der Personen, die in diesem Fall die tragenden Rollen übernehmen.
Da ist zunächst einmal Kurt Smolek. Smolek hat vor allem eine Eigenschaft, die ihn zu einem idealen Protagonisten eines Steinfest-Krimis befähigt: er ist unauffällig.
"Dieser Smolek gehört zu jenen unauffälligen Leuten, welche die Unauffälligkeit aber nicht auf die Spitze treiben, also nicht etwa in ihr oder mit ihr explodieren und solcherart Lärm verursachen. Eine solche Übertreibung hätte beispielsweise darin bestanden, nicht nur explizit unverheiratet auszusehen, sondern es auch zu sein."
Smolek arbeitet als mittlerer Beamter im Stadt- und Landesarchiv in Wien. Aber Smolek geht darüber hinaus noch einer anderen Tätigkeit nach: er organisiert den Tod von bestimmten Menschen. Dabei ist er um Perfektion bemüht und hat zudem gewisse Prinzipien. So muß beispielsweise der zu Tötende seine Tötung selber finanzieren.
Natürlich benötigt er auch Personal für die Durchführung seiner Aufträge. Dabei greift er nicht auf Fachleute aus der Unterwelt zurück, sondern sucht ebenso unauffällige Menschen wie er selbst. Und überraschenderweise hat er keine Probleme damit, Leute zu finden, die sich dafür begeistern lassen, einen Mord zu begehen. So wie zum Beispiel Anna Gemini, alleinerziehende Mutter eines behinderten 14-jährigen Sohnes, um den sie sich fürsorglich kümmert. Zusätzliche Einnahmen kann sie gut gebrauchen und sieht keine Schwierigkeiten darin, Menschen umzubringen. So wird sie zur Profikillerin. Ihr Sohn Carl begleitet sie überall hin. Schreitet sie zur Tat, sucht sie jemanden, der kurz auf Carl aufpassen kann. So viel Unverfrorenheit macht sie zusätzlich unverdächtig.
Lauschers Probleme mit dem Alter
Lange Zeit geht alles gut. Doch irgendwann - das war auch Anna Gemini klar - musste ihr ja mal jemand auf die Spur kommen. Dies geschieht im Fall des norwegischen Botschafters in Kopenhagen, den sie auf einer Kunstausstellung in Wien tötete. Von einem Mitarbeiter der norwegischen Regierung wird Markus Cheng beauftragt, in Richtung einer Frau mit einem behinderten Kind zu ermitteln, die kurz vor dem Mord mit dem getöteten Botschafter zusammen gesehen wurde. Dabei geht es hauptsächlich darum, zu klären, ob der Botschafter aus politischen Motiven getötet wurde.
Cheng selber hat seinen ersten Auftritt erst auf Seite 134. Macht ja nichts - der erfahrene Steinfest-Leser kennt ja den Detektiv chinesischer Abstammung bereits aus zwei früheren Büchern. Zwar in Wien aufgewachsen war er zur Zeit seines vorigen Falles "Ein sturer Hund" in Stuttgart tätig. Nun befindet er sich in Kopenhagen, von wo ihn sein Auftraggeber erst wieder in seine alte Heimat nach Wien zurücklotsen muß. Dies geht natürlich nur über den Umweg über Stuttgart, so wie er von Wien nach Kopenhagen gekommen ist, denn wenn man ein Zimmer durch die Tür betritt, verlässt man es ja auch nicht durch den Kamin. Grund genug für Steinfest, sich erst mal ausgiebig über den Charakter der erwähnten Städte auszulassen.
Auch Chengs Hund Lauscher ist wieder dabei, doch dessen Lebenserwartung ist nicht mehr allzu hoch und so bleibt diesem nicht viel anderes übrig, als "ein dickes Fell" zu bewahren, denn der Kampf mit den Problemen des Alters kann einem ganz schön zusetzen:
"Lauscher registrierte, wie das kleine Stück Kot durch die zarte Verkettung der Schneekristalle brach. Und auch wenn er so gut wie taub war, so vollzog sich ein Lärm in seinen Ohren, der Lärm von Schnee. Dazu kam die Kälte, die Nässe und das Gefühl, dass etwas von der Kacke an seinem rechten Hinterlauf hängengeblieben war. Sehr viel schlimmer ging es nicht mehr."
Ein Ausflug in die Science Fiction
Nun ist das oben Geschilderte aber erst der Anfang einer Geschichte, die alles andere als schnörkellos ist und ihren Ursprung eigentlich bereits im 18. Jahrhundert hat. Überhaupt ist es vermessen, hier von "einer" Geschichte zu sprechen. Jede Menge Seitenarme greifen in diese Geschichte hinein und werden von dem Autor zu einer komplexen Handlung verwoben. Immer neue Überraschungen sorgen dafür, dass der Plot niemals langweilig wird. Die Handlungen und die Beziehungen der beteiligten Personen sind weitaus verstrickter als es zunächst den Anschein hat. Sprachlich ein Genuss die mit Metaphern durchsetzte Schreibweise des Wiener Künstlers Steinfest. Dabei verzeiht man ihm selbst einen Ausflug in die Science Fiction. Schön zu lesen, wie er immer wieder verschiedene Klischees pointiert.
Die skurrilen Charaktere, die sich Steinfest ausdenkt, passen wesentlich beser nach Wien als nach Stuttgart. Im Geiste ausgestattet mit dem Wiener Dialekt kommen die kuriosen Gestalten noch weitaus besser zur Geltung.
Sehr ungewöhnlich ist der Perspektivwechsel im Abschnitt "Die Gude-Story", der zunächst für eine gewisse Eingewöhnungszeit und für einen Bruch in der Handlung sorgt. Doch Steinfest macht im Anschluß wieder alles passend, wenn auch sein "Epilog für die, die immer alles genau wissen müssen" nicht unbedigt das Nonplusultra darstellt, das man unter dieser Überschrift erwartet hätte.
Schön, dass man Steinfest die Gelegenheit gegeben hat, sich einmal 600 Seiten lang auszulassen. Auch in diesem Umfang kann man jedes seiner Worte genießen. Leser, für die ein Kriminalroman jedoch in allen Punkten plausibel und logisch oder gar realistiesch sein muß, sollten lieber die Finger davon lassen.
Heinrich Steinfest, Piper
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