Der Tod des Khan

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2005
  • 1
  • London: Constable, 2003, Titel: 'The damascened blade', Seiten: 287, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2005, Seiten: 373, Übersetzt: Tatjana Kruse
Der Tod des Khan
Der Tod des Khan
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Michael Drewniok
73°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2005

Stolz & Rache sind des stolzen Rächers Tod

Gor Khatri ist eine befestigte Garnison im Nordwesten der britischen Kronkolonie Indien. Am Ausgang des Khayber-Passes sollen die in diesem Jahr 1922 hier stationierten Soldaten unter ihrem Kommandanten Major James Lindsay ein wachsames Auge auf die afghanischen Bergstämme der Paschtunen halten, mit dessen Herrscher, dem Amir, ein eher brüchiger Friedensvertrag geschlossen wurde.

Diese Aufgabe ist schwierig, wie Lindsay seinem Freund, dem Commander Joseph Sandilands, der ihn gerade besucht, erklärt. Sie wird erheblich erschwert durch die Tatsache, dass sich einige wichtige aber schwierige Leute ausgerechnet in Gor Khatri treffen wollen. Da sind ein einflussreicher Handelsmagnat, ein leitender Beamter des "Indian Civil Service" und ein hochrangiger Militär der Royal Air Force. Auf der Durchreise nach Afghanistan kehrt die berühmte Missionarin und Ärztin Grace Holbrook ein. Eskortiert wird sie ausgerechnet vom Kriegerfürsten Zeman Khan, einem Cousin des Amirs, dem die Briten manche Schlappe verdanken. Die kapriziöse Millionärstochter Lily Coblenz sucht das Abenteuer, die schwangere Betty Lindsay ihren Ehemann James.

Die Neuankömmlinge sind einander wenig grün, die Stimmung ist gereizt. Als schon in der ersten Nacht Zeman Khan einem unbekannten Gift zum Oper fällt, droht eine Katastrophe. Seine Gefährten machen den Briten für den Tod ihres beliebten Fürsten verantwortlich und geben diesen eine Woche Zeit den angeblichen Mord zu klären. Zur Bekräftigung ihrer Forderung verschleppen sie einen Briten sowie Lily Coblenz und drohen mit Blutrache. Die einzige Chance für die Entführten besteht darin, dass der Mörder gefunden wird - ein Wettlauf mit der Zeit und eine Herausforderung, die Commander Sandilands, ein erfahrener Kriminalist von Scotland Yard, notgedrungen annimmt. Er kommt bei seinen improvisierten Ermittlungen einem Rachekomplott auf die Spur, das in einem verhängnisvollen Scharmützel vor zwölf Jahren seinen Anfang nahm und noch immer seine Opfer fordert...

Wer war es - und wieso hat er es getan?

"Whodunit?" Diese Frage stellen sich nicht nur unzählige Polizisten und Detektive in unzähligen Kriminalromanen. Es gibt sogar ein eigenes literarisches Subgenre, das eigenen Regeln gehorcht. Der Ablauf einer "Whodunit?"-Geschichte ist bekannt und muss es sein, denn die Leser verlangen das behaglich Bekannte, das höchstens variiert, nie aber verändert oder gar verraten werden darf. Also geschieht ein Mord, die Umstände sind mysteriös. Um Leiche und Ermittler schart sich eine überschaubare Gruppe potenzieller Schurken - auch die Zahl der Schauplätze bleibt überschaubar -, unter denen der Täter zu überführen ist. Sie alle verbergen dunkle Flecken auf ihren Westen und wirken nacheinander sehr verdächtig, doch als Schuldiger entpuppt sich - hat der Verfasser gut gearbeitet - stets derjenige, mit dem man nicht gerechnet hat. Wie nebenbei fließen Hinweise und Indizien in die Geschichte ein - so hat es schon einen Grund, dass dieser Roman den Originaltitel "Die damaszierte Klinge" trägt -, die (theoretisch) ein Miträtseln ermöglichen. Die große Enthüllung findet unter chronisch dramatischen Umständen im Kreis der besagten Verdächtigen statt.

Alle diese Elemente finden sich in Der Tod des Khan, doch sie wurden entstaubt, in eine exotische Kulisse verlegt und mit Elementen des Abenteuerromans ergänzt. Auch das ist nicht neu; Agatha Christie, Großmeisterin des "Whodunit?", hat es mit Romanen wie Tod auf dem Nil oder Mord in Mesopotamien bereits vorgeführt. Dennoch ist der zusätzliche Reiz da. Die Verfasserin sorgt geschickt dafür, dass die Ermittlungen unter Zeitdruck abgewickelt werden müssen: Gor Khatri ist kein Ort, an dem ein Mord gemächlich geklärt werden könnte. Sehr reizbare Bergstämme belauern dieGarnison, die gekidnappten Briten sitzen in einer kaum einzunehmenden Bergfestung.

Ohnehin schwebt die Drohung von Gewalt stets über der Szene. Indien ist eine Kolonie, deren Bewohner vor allem dort, wo die Briten ihre geballte militärische Macht nicht zum Einsatz bringen können, die Fremdherrschaft nur widerwillig dulden. Vor allem im nordindisch-afghanischen Grenzraum sorgen Freiheitskämpfer und Stammesfehden für ständige Gewalt (was sich bekanntlich auch in der Gegenwart nicht geändert hat). Der Prolog von Der Tod des Khan schildert eines der endlosen Scharmützel zwischen Briten und Afghanen, die jederzeit ausbrechen und sich rasch zu einem regelrechten Krieg ausweiten konnten.

Ein historischer Rahmen steht dem Krimi auch deshalb zu gut, weil er neue Regeln schafft, die durch Zeit und Umstände zu begründen sind. In afghanisch-indischen Grenzland muss die Ermittlung in einem Mordfall zwangsläufig einen anderen Verlauf nehmen wie in einem englischen Landhaus. Das gesellschaftliche Umfeld ist ein völlig anderes, die Beteiligten unterscheiden sich in ihrem Denken und Handeln stark. Cleverly sorgt zudem für ein möglichst gemischtes Figurenpersonal, was schwelende Konflikte zum Aufflammen förmlich zwingt.

Albtraum aus 1001 Nacht

Der Tod des Khan ist ein Historienkrimi, der den politischen Gegebenheiten der gewählten Epoche geschickt Rechnung trägt. Der Mord an Zeman Khan mag persönlich begründet sein, doch in der Realität des Jahres 1922 gewinnt er sogleich eine weitere, eben politische Dimension. Klug lässt Cleverly jene auftreten, die in dieser Welt das Sagen haben. Da ist ein Vollblutpolitiker, dem Land und Leute völlig egal sind und der Indien ausschließlich unter dem Kosten-Nutzen-Faktor betrachtet. Ihm gegenüber steht der Soldat, dem der Befehl gegeben wurde die Kolonie zu verteidigen; seine Beweggründe sind militärisch. Die Missionarin bewegen humanitäre Gründe, die Abenteurerin ignoriert das labile Gleichgewicht und sucht nach ihrem Traum von 1001 Nacht, der einheimische Herrscher bekämpft die fremdgläubigen Besatzer und ansonsten die Nachbarstämme: Die Figuren spiegeln wider, wie labil der Frieden ist und immer bleiben wird.

Eine Ausnahme stellt natürlich Joe Sandilands dar. Mit einer vehementen Rede lässt ihn Cleverly in einem frühen Kapitel über die verschlungenen Pfade der Gerechtigkeit klagen. Sandilands ist ein Vertreter klarer Fronten: Gut ist gut, böse ist böse und muss bestraft werden. Die böse Politik hindert ihn nur ständig daran. Ihr beispielhafter Repräsentant ist Sir George Jardine, eine weitere Hauptperson der Sandilands-Reihe. Sir George ist durch und durch Taktiker. Er weiß um die gewaltigen Probleme, die ein fremd beherrschtes Land heraufbeschwört, dessen Bewohner sich zudem einander nicht grün sind. List und Tücke, selbst Lug und Trug sind ihm als Instrumente recht, wenn sie ihm helfen den status quo aufrecht zu erhalten. Das dabei auch einmal ein Mörder durch die Maschen des Gesetzes schlüpft, lasst Sir George nicht schlechter schlafen. Sandilands ist es, dem das Biegen des Rechts ebensolche Seelenpein bereitet wie dessen Brechen.

Kein "Whodunit?" funktioniert ohne weibliche Beteiligung. Amouröse Verwicklungen sind als Ursache verbrecherischen Treibens viel zu verführerisch, als dass ein Krimiautor darauf verzichten würde. Zudem sind "Whodunits?" vor allem bei den Leserinnen sehr beliebt, die es verständlicherweise gar nicht schätzen, ihr Geschlecht ausgeklammert zu sehen. Cleverly besetzt gleich drei Rollen mit Frauen. Sie sind vermutlich emanzipierter als sie es in der historischen Realität gewesen wären, doch das ist notwendig, da für die Leserin das Interesse an einer korrekten historischen Darstellung dort endet, wo diese eine frei denkende, aktiv handelnde Frauenrolle verhindert würde. Für die reiche Erbin und die selbstbewusste Missionarin/Ärztin/Reisende gibt es glücklicherweise Vorbilder, so dass Cleverly hier die Fiktion nicht gar zu weit treiben muss.

Politisch korrekt schildert Cleverly die Paschtunen. Vorsichtig lässt sie diese malerisch gekleidet und als halbwegs "edle Wilde" mit maßvoll merkwürdigen Sitten für exotisches Flair sorgen. Grässliche Übeltaten werden den Afghanen nachgesagt, aber nur einmal und dann buchstäblich im Halbdunkel können wir sie im Prologkapitel dabei beobachten. Ansonsten treffen wir nur auf gut aussehende, wortgewandte Khans mit Rudolph-Valentino-Charme und arg übertrieben wirkenden Vorstellungen von Ehre und Verantwortung, die sich freilich auf britischer Seite ähnlich finden: Die Konvention ist Stütze und Gefängnis gleichzeitig; für die Story ist sie unentbehrlich, weil sich sonst bestimmte Handlungsstränge nicht entwickeln ließen.

Der Tod des Khan wurde mit dem "Golden Dagger Award" für den besten Historienkrimi des Jahres ausgezeichnet. Über die Argumente für diese Entscheidung lässt sich wie so oft diskutieren. Unter den (allzu) vielen Historienromanen, welche Vergangenheit und Verbrechen nur als Kulisse für schmalzige Lovestorys missbrauchen, ragt Cleverlys Werk freilich auf jeden Fall hinaus und sorgt für angenehme & angenehm altmodische Unterhaltung.

Der Tod des Khan

Barbara Cleverly, Goldmann

Der Tod des Khan

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