Roter Drache
- Heyne
- Erschienen: Januar 1988
- 86
- New York: Putnam, 1981, Titel: 'Red Dragon', Seiten: 348, Originalsprache
- München: Heyne, 1988, Seiten: 447, Übersetzt: Sepp Leeb
- München: Heyne, 1993, Seiten: 446
- München: Heyne, 1995, Seiten: 446
- München: Heyne, 2001, Seiten: 3, Übersetzt: Hans Peter Hallwachs, Bemerkung: gekürzt
- München: Heyne, 2002, Seiten: 454
- München: Heyne, 2004, Seiten: 446
- München: Heyne, 2013, Seiten: 454
Eine erstklassige Story über die Jagd auf einen schizophrenen Massenmörder
Will Graham ist eigentlich Spezialist für gerichtsmedizinische Untersuchungen. Er ist weder Profiler noch beim FBI oder der Polizei. Dennoch wird er von FBI-Agent Jack Crawford gebeten, als Sonderermittler an der Aufklärung einer Mordserie mitzuhelfen. Da Graham bei seiner letzten Menschenjagd - auf einen gewissen Dr. Hannibal Lecter - gerade noch mit dem Leben davonkam (er lag im Hospital und hat immer noch Alpträume), ist er keineswegs geneigt mitzumachen.
Zunächst. Aber da er selbst eine Familie hat und der Mörder bereits Familien ausgelöscht hat, betrachtet er es als seine Pflicht, gegen den Serienkiller vorzugehen. Natürlich bittet ihn seine Frau, nicht zu kämpfen. Was man nicht alles verspricht.
Der Serienkiller hat in Atlanta (Georgia) und Birmingham zehn Menschen getötet: zwei komplette Familien. Das FBI befürchtet den dritten Anschlag in drei Wochen: Es bleibt also nur wenig Zeit. Graham entdeckt, dass der Mörder die toten Mitglieder der jeweiligen Familie in neue Positionen arrangierte, so dass ihre toten Augen dem eigentlichen Akt zuzuschauen scheinen: der Vergewaltigung, Verstümmelung und Ermordung der Hausherrin.
Will Graham muss die psychologische Einsicht des Psychiaters Dr. Lecter in Anspruch nehmen. Ihre Dialoge sind ebenso bizarr wie jene, die Lecter mit Clarice Starling führen wird. Durch das Psychogramm erkennt Graham: Der männliche Weiße delektiert sich am Anblick seiner Opfer und macht Bilder. Als Graham und das FBI der "Zahnschwuchtel" mit Hilfe des Klatschreporters Freddie Lounds eine Falle stellen wollen (mit Graham als Köder), schlägt der Killer zurück: Das tut der Gesundheit des Reporters überhaupt nicht gut...
Und der Wahnsinnige, der sich für den "Großen Roten Drachen" hält und entsprechend tätowiert ist, ist seinen ratlosen Verfolgern einen Schritt voraus. Er hat sich mit Reba angefreundet und lädt - wider seine ureigenen Instinkte - die blinde junge Frau in sein Haus ein. Wenn sie sehen könnte, was er sieht: William Blakes Gemälde des "Großen Roten Drachen" (siehe Bild oben) im Schlafzimmer.
Doch dann hat Graham endlich die Erleuchtung, als er nach einem vermissten Filmprojektor sucht. Es kommt zu einem Showdown, wie es sich gehört: Nun kämpft Will Graham also doch. Aber es muss sein, um Reba vor dem sicheren Tod zu bewahren - und sein eigenes seelisches Gleichgewicht.
Der Roman erzählt von einer Menschenjagd wie einem Kampf um die Balance zwischen "Gesundheit" und "Wahnsinn", was im Endeffekt auf den scheinbaren Gegensatz zwischen "Gut" und Böse" hinausläuft. Denn was uns im Kino-Film verschwiegen wird, ist ja die Entstehungsgeschichte der psychischen Verfassung des schizophrenen Mörders. Thomas Harris hat sie in mehreren Rückblenden dargestellt. Sie führt zu einem Verständnis des Mörders, wenn auch nicht zu einen Ein-Verständnis mit dem, was er zu tun versucht, wenn er der Rote Drache ist.
Im Verlauf der Menschenjagd erfahren wir mehr und mehr über Will Graham. Genau wie seine Frau Molly und sein Stiefsohn Willy machen wir uns langsam ernsthafte Sorgen um seine geistig-seelische Gesundheit: Er versetzt sich zu stark in Opfer und Mörder hinein. Das führt zwar schließlich zur rettenden Erkenntnis, wer der Gejagte ist, doch Graham ist psychisch viel zu nahe dran am Wahnsinnigen, um nicht selbst Schaden zu nehmen.
Vor der Episode mit Freddie Lounds, etwa um die Seite 200, diskutieren die Angehörigen des FBI sowie Graham um das richtige Vorgehen: Wie stellt man ihm einen Falle? Wie benutzt man dabei einerseits Dr. Lecter und andererseits die Klatschzeitung? Das geht meiner Meinung nach viel zu lange hin und her (und schließlich in die Hose). Erst als der Mörder die arme Reba McClane kennenlernt, erhält die Handlung wieder dynamischen Impulse - sie führen schließlich zu einem der zwei Finales.
Und was uns heute merkwürdig vorkommt: Da wird immer noch mit altertümlichen "Datafax"-Geräten hantiert, als handle es sich um Großrechner, die man wie seinen Augapfel hüten muss. Über dieses Stadium der technischen Evolution sind wir zum Glück hinaus.
"Roter Drache", der erste Hannibal-Lecter-Thriller, ist eine erstklassige Story über die Jagd auf einen schizophrenen Massenmörder, der zeitweilig glaubt, er sei ein Drache. Ein Sonderermittler, Will Graham, soll ihn zur Strecke bringen - gar nicht so einfach. Zum anderen ist "Roter Drache" eine faszinierende psychologische Studie über das, was gemeinhin als "Wahnsinn" bezeichnet wird: der Mörder und Hannibal Lecter - sind beide verrückt? Doch möglicherweise ist Will Graham gar nicht so verschieden von ihnen. Er versteht sie auffallend gut.
Thomas Harris, Heyne
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