In der Schwebe
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2001
- 13
- New York: kPocket Book, 1999, Titel: 'Gravity', Seiten: 342, Originalsprache
- München: Goldmann, 2001, Seiten: 445, Übersetzt: Andreas Jäger
- Augsburg: Weltbild, 2003, Seiten: 445
- München: Blanvalet, 2006, Seiten: 445
Millenniums-Blob aus dem Meer
Nach einer langen Dürreperiode befindet sich die bemannte Raumfahrt wieder im Aufwind. Im Erdorbit kreist die internationale Raumstation ISS mit ihrer sechsköpfigen Besatzung. Nach dem tödlichen Verkehrsunfall seiner Frau auf der Erde muss der Wissenschaftler William Haning die ISS vorzeitig verlassen. Für ihn springt Emma Watson ein, deren Besuch eigentlich erst in drei Monaten fällig gewesen wäre. Die junge Astronautin verlässt die Erde nicht ungern, macht sie doch gerade eine schwere Scheidung durch. Dr. Jack McCallum, Emmas Noch-Gatte, war bis vor einem Jahr selbst Astronaut und Flugarzt der NASA. Nach einer Krankheit wurde er für fluguntauglich erklärt. Inzwischen ist er verbittert aus dem Dienst geschieden und arbeitet nun als Unfallarzt in der Notaufnahme eines zivilen Krankenhauses.
Ein bizarrer Zwischenfall bringt ihn zurück ins Raumfahrtzentrum. An Bord der ISS werden im Auftrag diverser Forschungsinstitute medizinische und biologische Forschungen und Experimente durchgeführt. Dr. Haning waren dabei Anomalitäten in einer Kultur von Archäen, bakterienartigen, einzelligen Organismen aus der Tiefsee, aufgefallen. Durch einen unglücklichen Unfall werden Teile dieser Kultur freigesetzt. Die Archäen gelten als harmlos, zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand, dass die Einzeller durch einen unbekannten Zusatz verändert wurden und sich in eine aggressive Lebensform verwandelt haben, die aktiv in der Raumstation umher geistert, alle Insassen befällt und dabei die DNS aller Wirte in seinen körpereigenen Bauplan integriert.
Der Biologe Kenichi Hirai ist der Erste, der unter grauenvollen, an die spektakulären Folgen der Ebola-Erkrankung gemahnenden Umständen stirbt. Bis im All und auf der Erde jeweils der Groschen fällt, gibt es noch weitere Opfer. Panik bricht aus, und die Regierung lässt die NASA-Bodenstation von Truppen besetzen, die eine Rückkehr der infizierten Astronauten verhindern sollen - unter allen Umständen ...
Empörend für jeden Freund von Science Fiction
Ist es nicht empörend für die Freunde der Science Fiction, dass jeder Autor, der bereits auf anderem Gebiet literarische Erfahrungen gesammelt hat und nun über einen Wechsel nachdenkt, sich berufen fühlt, dieses Genre neu zu erfinden? Auch Tess Gerritsen macht hier keine Ausnahme. Voller Elan hat sie sich ihres Themas bemächtigt, hat umfangreich recherchiert, ist den Mitarbeitern der realen NASA tüchtig auf die Pelle gerückt und hat schließlich eine spannende Handlung ersonnen, um das erworbene Wissen an die Leserschaft zu bringen. Das Ergebnis ist ein grundsolider SF-Thriller, der allerdings keine - nicht die geringste! - Überraschung zu bieten hat ... Jede Kulisse, jede Szene, jede Figur ist aus tausend durchschnittlichen Romanen, Filmen und Fernsehserien bekannt. Es gibt keine Abweichung vom längst Vertrauten - aber eine Menge längst verhasster Klischees ... Tatsächlich fällt nur eine Abweichung von der Norm auf: Gerritsen sorgt dafür, dass auf der Erde und im All die Frauenquote erfüllt wird. Das mag unfreundlicher klingen, als es gemeint ist, denn die Abwesenheit der sonst im Katastrophenfall für die Rettung der Welt zuständigen Nussknackerkinn-Klone fällt durchaus positiv auf.
"Outbreak" im Weltall oder "Das Ding", und zwar in der John Carpenter-Version - das sind die beiden vermutlich wichtigsten Vorbilder, wobei Wolfgang Petersens Kinofilm die Stimmung von "In der Schwebe" besser wiedergibt: konventionelle, stromlinienförmige Unterhaltung, gut besetzt und vorzüglich inszeniert, aber letztlich unbefriedigend. Wackere Durchschnittsamerikaner werden von furchtlosen Landsleuten, geistesblitzbefeuerten Experten und findigen Ausländern (in dieser Reihenfolge) gegen eine (natürlich nur kleine und überhaupt nicht repräsentative) Clique machtgieriger und skrupelloser Politiker und Wirtschaftsbosse, unterstützt, während Vorsichtshalber-Feuer-frei-Krieger auf darauf lauern, das Problem aus dem Welt zu bomben. Dieses Szenario ist zumindest aus der Sicht des Europäers doch ein wenig zu simpel gestrickt.
Ein Hauch von Horror in der Handlung
Wie das ja oft so ist im Phantastischen, reißt das Monster die festgefahrene Handlung immer wieder angenehm aus ihrem tief ausgefahrenen Gleis. Tess Gerritsen ist Medizinerin, und das macht sie sehr erfinderisch darin, sich ein zwar auch nicht wirklich neues, aber sehr überzeugendes Untier auszudenken - eine Art Millenniums-Blob, wenn man so will. Aufgrund seiner von reichen Schaueffekten begleiteten Ernährungsweise gibt es genug Anlass, mehr als einen Hauch von Horror in die Handlung einzubringen.
Das ist auch bitter nötig in einer Geschichte, die sich ansonsten gern in einem Wust von Technobabbel und Soap Opera-Elementen verliert. Gerritsen hat sich wie gesagt viel Mühe gegeben, das technische Umfeld möglichst realistisch zu gestalten, aber sie ist nicht nur Medizinerin, sondern hat ihre Schriftsteller-Karriere mit acht ausladenden Herz-Schmerz-Schwarten gestartet, bevor sie zum Thriller wechselte - das eine mag und das andere kann sie nicht verbergen. (Wer Näheres wissen möchte, versuche es unter http://www.tessgerritsen.com; dies ist allerdings eine dieser anbiederischen amerikanischen Fan-Websites, die mehr elektronischer Schrein als Informationsbrett sind.) Besonders im Finale heißt es für den Leser wirklich, die Zähne zusammenzubeißen, denn nun wird die Schema F-Tüte bis zum Boden geleert!
Tess Gerritsen, Goldmann
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