Der letzte Moment

  • HarperCollins
  • Erschienen: Januar 2005
  • 4
  • London: HarperCollins, 2005, Originalsprache
  • Augsburg: Weltbild, 2006, Seiten: 413
Der letzte Moment
Der letzte Moment
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Wolfgang Weninger
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2005

Eine astreine Ermittlerstory

Dreißig Jahre ist es schon her, dass der berüchtigte Serienkiller Marsden Hexcamp im Gerichtssaal bei der Urteilsverkündung erschossen wurde. Hexcamp war ein Künstler des Grauens, der seine Morde zelebrierte und damit ein großes Gesamtkunstwerk seines tödlichen Genies schaffen wollte.

Die beiden Polizisten Harry Nautilus und Carson Ryder aus der amerikanischen Stadt Mobile werden als Polizisten des Jahres geehrt. Die beiden einzigen Mitglieder des brillianten Psycho- und Soziopathologischen Ermittlungsteams PSET müssen sich mit einer Frauenleiche herumschlagen, die in einem Motel massakriert und, mit zahlreichen Kerzen bestückt, aufgebahrt wurde. Und sie bleibt nicht die einzige Leiche an der sich Nautilus und Ryder die Zähne ausbeißen müssen. Der Zusammenhang zwischen den Morden sind kleine Fetzen eines Gemäldes, die auf eine Verbindung zu Marsden Hexcamp hinweisen. Aber er kann unmöglich noch leben, also muss jemand aus dem Dunstkreis seiner damaligen Anhänger die schrecklichen Taten begangen haben.

Bei ihren Ermittlungen, in die Harry und Carson notgedrungen die attraktive Journalistin Danbury einbeziehen müssen, stoßen die Polizisten auf einen offensichtlich florierenden Markt, auf dem Erinnerungsstücke von Massenmördern gehandelt werden, die von privaten Sammlern als hochdotierte Kunstobjekte angesehen werden. Doch es ist nicht leicht, zu diesem verschwiegenen Kreis Zutritt zu bekommen.

Carson hat allerdings noch ein As im Ärmel und das ist sein Bruder, der selbst als Massenmörder im Gefängnis einsitzt. Dessen interne Verbindungen zu den mörderischen Kollegen bringen Carson die Möglichkeit, eine ganz besondere Reliquie des Todes auf den Markt des Grauens zu werfen und endlich verzeichnen die Polizisten einen Fortschritt ...

Warum man den aussagekräftigen Titel des zweiten Buches von Jack Kerley The Death Collectors für den deutschsprachigen Markt in Der letzte Moment umgetauft hat, können wieder mal nur die Marktstrategen im Verlagswesen erahnen, diesmal jene aus dem Ullstein Taschenbuch Verlag.

Jack Kerley, ehemals selbst Marketingfachmann, kennt als passionierter Fischer die Gegend um Mobile Bay wie seine Westentasche und beschreibt sehr anschaulich, wie es in so einer Kleinstadt in Alabama zugeht, die in letzter Zeit eher durch den Hurrican Katarina als durch die Romane des Autors zu trauriger Berühmtheit kam.

Zu diesem Thriller beeinflusste ihn, nach eigener Aussage, die Faszination rund um die Tatsachengeschichte der Manson Familie, einer mörderischen Sekte aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, und seine Liebe zur Kunst. Die ermittelnden Hauptfiguren Carson Ryder, der Jungspund im Team, und Harry Nautilus, der erfahrene Haudegen, hat Jack Kerley schon in seinem Erstling Einer von hundert (The Hundredth Man) auf Serienmörderjagd geschickt. Und schon damals hat Krimi-Couch-Rezensent Jörg Kijanski hervorgehoben, dass das Tempo, in dem die beiden Polizisten ermitteln, eher gemächliches Kleinstadtniveau aufweist.

Aber die Herren von der PSET sind rundum sympathisch. Kerley hat ein Polizistenduo geschaffen, das sich gegenseitig respektiert und unterstützt und trotz der Anfeindungen von internen und externen Stellen stets zusammen hält, dabei aber nicht vergisst, konzentriert und in kleinen Schritten richtige Polizeiarbeit zu machen. Hier entstanden keine Supercops amerikanischer Thrillermentalität, sondern einfache Männer, die genügend Grips und Durchhaltevermögen aufweisen, durch Interviews und Kombinationsgabe zu den überraschenden Schlusswendungen zu kommen.

Der letzte Moment ist eine astreine Ermittlerstory, die durch die Kombination eines Polizisten mit mörderischem Bruder noch zusätzlich an privaten Komponenten gewinnt und auch ein wenig Liebe und Gefühl zur holden Weiblichkeit darf natürlich nicht fehlen. Aber alle privaten Irrungen und Wirrungen des erzählenden Carson Ryder lenken nicht zu sehr von der Handlung ab, sondern sind stimmig in das Geschehen integriert. Der Spannungsfaden hält konstant, allerdings ist er auch nicht zum Reißen gespannt.

Mr. Kerley hat eine sehr brauchbare Geschichte konstruiert, bei der man ordentlich miträtseln kann und den Täter bis kurz vor dem Ende auch als erfahrener Krimileser nicht unbedingt erahnt. Der Autor dreht und wendet die Geschichte, baut genügend Fallen für eine Schnitzeljagd ein und kann mit einer nicht ganz alltäglichen Story aufwarten, obwohl er sich im ziemlich ausgereizten Milieu der Serienmörder bewegt. Dazu kommt, dass es an der Übersetzung von Bettina Zeller absolut nichts zu bemängeln gibt und sich der Roman mithin locker und leicht liest. Die 411 Seiten sind eine Lektüre, die deutlich über dem Durchschnitt liegt, aber mit der ganz großen Krimispannung nicht glänzen kann. Auf eine Fortsetzung mit dem sympathischen Duo Ryder und Nautilus darf man mit Recht gespannt warten.

Der letzte Moment

Jack Kerley, HarperCollins

Der letzte Moment

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