Der Menschen dunkles Sehnen

  • Knaur
  • Erschienen: Januar 2005
  • 29
  • London: Chatto & Windus, 2004, Titel: 'The Various Haunts of Men', Seiten: 438, Originalsprache
  • München: Knaur, 2005, Seiten: 559, Übersetzt: Susanne Aeckerle
  • München: Knaur, 2007, Seiten: 558
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Jörg Kijanski
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2005

Lebensechte Charaktere und atmosphärische Dichte

Lafferton ist eine kleine Stadt in England, deren markantester Punkt neben der alles überragenden Kathedrale ein Hügel ist, auf welchem sich mehrere Wernsteine befinden, denen besondere Kräfte zugesprochen werden. Doch dieser mystische Ort hat nicht nur positive Seiten, denn eines Morgens verschwindet die 53-jährige Pflegeschwester Angela Randall, die auf dem Hügel eigentlich nur joggen wollte. Ihre Vorgesetzte gibt umgehend eine Vermisstenanzeige auf, da Randall ein absolut zurückgezogenes Leben führte und zudem als besonders pflichtbewusst gilt. DS Freya Graffham nimmt sich mit ihrem Partner DC Nathan Coates der Sache an, aber wie fast überall, spielen auch im kleinen Lafferton finanzielle Ressourcen eine wichtige Rolle und da man gerade einen großen Schlag gegen die örtliche Drogenszene plant, wird der Fall der verschwundenen Randall recht zügig von der Prioritätenliste gestrichen, zumal es keinerlei Fortschritte bzw. Hinweise auf den Grund ihres Verschwinden gibt. Lediglich ein in ihrer Wohnung gefundenes kostbares Geschenk deutet darauf hin, dass es in ihrem Leben wohl doch einen Partner oder einen heimlichen Geliebten gegeben haben muss.

Ansonsten spielen sich in Lafferton die üblichen Alltagsgeschichten ab. Die junge Debbie ist übergewichtig und leidet zudem unter allzu vielen Pickeln, die ihr Aussehen gänzlich unattraktiv erscheinen lassen. In ihrer Not wendet sie sich an den Wunderheiler Dava, der ihr mittels einer ganzkörperlichen Therapie zu helfen verspricht. Währenddessen trauert die betagte Witwe Iris Chater ihrem jüngst verstorbenen Mann nach und hofft, über ein Medium mit ihm in Kontakt zu geraten. Dr. Cat Deerborn ist zunehmend besorgt über die zahlreichen "Wunderheiler", die sich in einem benachbarten Ort ansiedeln, vor allem als ihre an Krebs erkrankte Freundin Karin ihr anvertraut, sich von einem Psychochirurgen behandeln lassen zu wollen.

Und während das Alltagsleben in Lafferton weiter seinen gewohnten Gang nimmt, verschwindet auf besagtem Hügel der Terrier von Jim Williams im dichten Nebel auf nimmer Widersehen und kurz darauf auch Debbie, die eigentlich nur einen Morgenspaziergang unternehmen wollte...

"Der Menschen dunkles Sehnen" dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit eine vor allem weibliche Leserschaft finden, denn mit ihren detaillierten Alltagsschilderungen und Charakterzeichnungen schreibt Susan Hill im Stile einer Ruth Rendell, Elizabeth George und wie sie alle heißen. Was vorstehend nur grob angerissen wurde stellt einen wesentlichen Bestandteil der ersten rund 200 (!) Seiten dar, in denen kriminalistisch betrachtet rein gar nichts passiert, vom Verschwinden Angela Randalls mal abgesehen. Dafür werden zahlreiche Personen ausführlichst dargestellt und in den meisten Fällen ist dies dann glücklicherweise für den weiteren Plot sogar von Bedeutung. Wie der Titel vermuten lässt, geht es viel um alternative Behandlungsformen, spirituelles Heilen, Osteopathie, Akupunktur, Psychochirurgie (is' klar...) und andere Quacksalber.

Auch wenn man sich lange Zeit immer wieder fragt, wann denn nun endlich mal was passiert, denn die Ermittlungen im Fall "Randall" wurden aus Kostengründen inzwischen eingefroren, ist man gleichzeitig erstaunt, wie weit bzw. schnell man sich im Buch vorangearbeitet hat. Die Erzählweise von Hill ist sehr kurzweilig und macht einige Längen im Handlungsstrang daher problemlos wett. Auf den verbleibenden 350 Seiten nimmt dann mit dem Verschwinden von Debbie die Story ein wenig an Fahrt auf, wenngleich sich Hill ihrem ausschweifenden Erzählstil hinsichtlich des Alltagslebens ihrer Protagonisten treu bleibt. Zwischendurch erfährt der Leser über Tonbandaufzeichnungen zudem zahlreiche Details über das Leben und die Motive des Täters.

Der Plot ist gut durchdacht und die Auflösung akzeptabel. Der Leser darf raten und hat durchaus Chancen, die Lösung zu Beginn des letzten Drittels zu erahnen, bevor sie dann von der Autorin vorweggenommen wird. Das Finale ist beeindruckend, weicht es doch vom genreüblichen Mainstream deutlich ab.

Wer mehr Wert auf lebensechte Charaktere und atmosphärische Dichte legt denn auf Action und bluttriefende Morde, ist mit dem vorliegenden Buch von Susan Hill bestens bedient. Angesichts des Endes mal eine wohltuende Abwechslung.

Der Menschen dunkles Sehnen

Susan Hill, Knaur

Der Menschen dunkles Sehnen

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