Zacharias
- Europa
- Erschienen: Januar 2005
- 3
- Paris: Plon, 1999, Titel: 'Zacharie', Seiten: 263, Originalsprache
- Hamburg; Leipzig; Wien: Europa, 2005, Seiten: 240, Übersetzt: Cornelia Hasting
Ein Thriller für alle die glauben, das Krimi-Genre habe nichts Neues mehr zu bieten
John la Galite ist in Frankreich bereits ein sehr bekannter Bestsellerautor. Jetzt liegt sein vielleicht bestes Werk "Zacharias" auch in deutscher Übersetzung vor. Der Thriller wurde von der Kritik mit Lob überhäuft, verkaufte sich in Frankreich 100.000 mal und gewann den renommierten "Grand Prix RTL/Lire". Das verwundert auf den ersten Blick ein bisschen, denn "Zacharias" kommt mit seinen 200 Seiten ein bisschen unscheinbar daher. Aber der erste Eindruck kann ja bekanntlich täuschen.
Slow-Motion eines Selbstmordes aus der Sicht eines 12 jährigen Jungen
Der zwölfjährige, an Diabetes erkranke Junge Zacharias lebt mit seiner Mutter in einem Hochhauskomplex einer französischen Vorstadtsiedlung. Die Mutter des sensiblen und hochintelligenten Jungen arbeitet als Nachtschwester. Die beiden haben ein sehr liebevolles Verhältnis zu einander, Zacharias ist trotzdem meist auf sich allein gestellt. Das Leben von Mutter und Sohn zeichnet sich durch wenig materiellen Wohlstand, feste Gewohnheiten und kleine Glücksmomente aus, bis Zacharias eines Tages Zeuge eines Selbstmords wird:
"Eine Schneeflocke hat sich auf den Ärmel meines Anoraks gesetzt, ich habe hochgeschaut. Die Frau ist auf der Höhe vom sechsten Stock. Meine Mutter und ich wohnen im siebten. Die Frau auch. Sie ist unsere Nachbarin. Sie hat sich gerade aus dem Fenster gestürzt. [...] Die Frau fällt schnell. Ohne einen Schrei. Sie ist groß und dünn, trägt ein Kleid und schwarze Strümpfe. Ihr Haar wird nach oben gezogen. Gerade hat sie einen Schuh verloren. Ihr Gesicht ist vom Wind zerdrückt. Ihre Arme rudern im Leeren wie verkümmerte Flügel. [...] Sie hat die Leere gewählt und mir ist schwindelig. Ich sehe, wie ein Mensch stirbt"
In der Nachbarschaft sind außerdem Frauen überfallen worden, ein Mörder hat bereits drei Opfer auf dem Gewissen. Kurze Zeit später zieht ein unbekannter Motorradfahrer in die Wohnung der Selbstmörderin ein. Zacharias beobachtet ihn und stellt fest, dass er bisweilen vom gegenüberliegendem Haus aus die Nachbarn ausspioniert. Während Zacharias Mutter sich zu dem geheimnisvollen Mann hingezogen fühlt, fängt der Junge an zu ermitteln. Hat der Nachbar mit dem Motorrad etwas mit den Morden zu tun? Ist etwa seine Mutter in Gefahr?
Ein schwerer Unfall und ein raffinierter Plan
Der neue Nachbar Jacob erleidet einen schweren Motorradunfall, bricht sich den Hals und liegt fortan als Pflegefall bewegungsunfähig in seiner Wohnung. Zacharias' Mutter nimmt aufgrund ihrer finanziellen Schwierigkeiten einen Zusatzjob als Pflegerin an. Die Pflege des Nachbarn und die Arbeit im Krankenhaus lassen Zacharias Mutter kaum noch Zeit für ihren Sohn, die wenigen Glücksmomente bleiben aus. Zacharias schmiedet einen Plan. Zuerst fingiert er in der Schule einen Zuckerschock, dann begleitet er seine Mutter in die Nachbarwohnung und endlich gelingt es ihm, in Jacobs Pflege mit einbezogen zu werden. Zacharias Mutter traut ihrem Sohn schließlich zu, die Fürsorge stundenweise allein zu übernehmen und holt ihren Schlaf nach.
Phase Zwei des Planes sieht vor, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Perfide Spielchen ermöglichen es Zacharias, mit Jacob zu kommunizieren und ihn zu verhören. Die Morde haben seit dem Unfall aufgehört. Ist Jacob tatsächlich der Frauenmörder? Durch gezielte Fragen und Beobachtungen kommt Zacharias dem Täter langsam auf die Spur.
Ein gewöhnungsbedürftiger Stil und ein Wechselspiel der Gefühle
Als Leser weiß man lange nicht so genau, was man von der Geschichte halten soll. Diese kindliche, einfache Sprache suggeriert Naivität und Unschuld. Die sensible Schilderung von Zacharias Liebe zu seiner Mutter oder über seine gefühlvolle Begegnung mit der Nichte der Selbstmörderin erzeugen beim Leser Mitgefühl und Zuneigung, Zacharias Beobachtungen und Schlussfolgerungen eher Faszination, die verstörenden Fantasien und kleinen Grausamkeiten rufen dagegen Verunsicherung hervor.
"Zacharias" ist nicht gerade ein flüssig zu lesendes Buch. Die Aneinanderreihung kurzer Hauptsätze unterbricht ständig den Lesefluss. Die Geschichte wird nicht stringent in einem Spannungsbogen erzählt, sondern enthält immer mal wieder große Unterbrechungen und Handlungssprünge.
Nach dem aktionsgeladenem Auftakt flacht die Handlung erst einmal ab, die Ereignisse in Zacharias Alltag plätschern vor sich hin. Hier liegt der einzige wirkliche Schwachpunkt des Romans: In einem 200 Seiten langen Buch sind 100 Seiten, in denen sich nur wenig von der eigentlichen Geschichte abspielt, einfach zu viel. Nach einem Wendepunkt entwickelt sich die Handlung schrittweise, bis am Schluss die ganze Wahrheit schonungslos offenbart wird.
Das Ende trifft den Leser völlig unvorbereitet
Als Leser ahnt man, dass Zacharias Sicht die Sachverhalte nur einseitig, eingeschränkt und unvollständig schildern kann. Man kann soviel in die Erzählung hinein interpretieren und fragt sich immer wieder, was eigentlich nicht erzählt wird. Man befürchtet beinahe, es am Ende doch zu erfahren. Diese ständige Unsicherheit, dass man nie genau weiß, in welche Richtung sich die Geschichte drehen wird, macht den besonderen Reiz dieses Buches aus.
Die Aufklärung der Ereignisse treffen den Leser dennoch unvorbereitet. Einzelne Facetten mag man erahnt haben, die letztlich entscheidende Auflösung des Plots war nicht zu erwarten und löst Betroffenheit hervor. Nachdem man das Buch ausgelesen hat, blättert man ein paar mal zurück, um die Entwicklung nachzuvollziehen. "Zacharias" ist ein Buch, das langsam verarbeitet wird und ganz sicher nicht so schnell in Vergessenheit gerät.
Bleibt nur noch zu sagen: Super gemacht, John la Galite, hier ist wirklich mal ein innovatives, sehr eigenwilliges Werk gelungen. Das ist wirklich kein einfach zu verstehender, dafür aber ein ganz besonderer Thriller.
John La Galite, Europa
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