Die Schatten von Pelican Bay

  • Zsolnay
  • Erschienen: Januar 2005
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  • Wien: Zsolnay, 2005, Seiten: 496, Übersetzt: Hanni Ehlers
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2008, Seiten: 496, Übersetzt: Hanni Ehlers
  • Amsterdam: Augustus, 2002, Titel: 'Pelican Bay', Originalsprache
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Eva Bergschneider
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2005

Eine außergewöhnlich spannende Reise zwischen Vergangenheit und Heute

Die niederländische Schriftstellerin Nelleke Noordervliet ist in ihrer Heimat längst dafür bekannt, ganz besonders kritisch hinterfragende, historische Romane zu schreiben. Sie schafft es, geschichtliche Zusammenhänge durch besonders kraftvolle Bilder zu verdeutlichen und einem kritischen Blick zu unterziehen.

In Deutschland ist vor allem ihr furioses Familien-Epos "Das Paradies ist nicht weit" bekannt geworden. Nelleke Noordervliet stellt in diesem Roman unter Beweis, dass sie durch unterschiedliche Perspektiven ein besonders differenziertes Bild ihrer Charaktere erschafft, die jenseits von Doppelmoral und Gesellschaftszwängen agieren.

Mit "Die Schatten von Pelican Bay" liegt nun der erste Kriminalroman der Autorin vor und man darf gespannt sein, ob Nelleke Noordervliet einen Mordfall genauso mutig und messerscharf dargestellt in Szene zu setzen versteht.

Die Vergangenheit der niederländischen Kolonialherrschaft

Ada van de Wetering hat im Nachlass ihres gerade verstorbenen Vaters einen Brief ihres Vorfahren Jacob Rivers, ehemals van de Wetering, gefunden, indem er den grausamen Mord an seiner unmittelbar vor der Entbindung stehenden Frau Fanny beschreibt, der sich vor fast 200 Jahren auf der Insel Curacao ereignet hat.

Dieser Brief beschäftigt Ada so sehr, dass sie sich auf dem Weg zu den niederländischen Antillen macht, um dort diesen Mordfall aufzuklären. Ein zweiter Grund für ihren Aufbruch sind ihre Schuldgefühle gegenüber dem jüngeren Adoptivbruder, der mit 18 Jahren seine niederländische Familie verließ und zurück in seine Heimat ging. Ada hofft, Antonio dort zu finden, um ihr schwieriges Verhältnis zueinander bereinigen zu können.

Die Reise verläuft in jeder Hinsicht anders, als geplant. Bereits bei ihrer Ankunft wird Ada einer peinlich genauen und demütigenden Leibesvisitation unterzogen. Schließlich nimmt sich der örtliche Polizeiinspektor Marcus G. Penn ihrer an und bringt sie in der Pension seiner Mutter Edith unter. Ada fasst allmählich Vertrauen zu der eigensinnigen und selbstbewussten, aus England stammenden alten Dame, die ihrerseits gerade ihren einheimischen Ehemann verloren hat. Ada beginnt damit, die Geschichte Jacob Rivers zu recherchieren und stellt dabei fest, dass unter der einheimischen Bevölkerung der Fall als aufgeklärt gilt, mit dem verurteilten Sklaven habe man den Falschen gehängt und der wahre Mörder seiner Frau sei Jacob selbst gewesen.

Ada lernt das jüdische Ehepaar da Silva kennen, die ihrerseits Nachfahren von Henriquez da Silva, eines Mannes jüdischer und afrikanischer Abstammung, sind, der mit Jacob Rivers befreundet war. Das Ehepaar befindet sich im Besitz einiger Unterlagen, die Jacob Rivers seinem Freund überlassen hat und die einigen Aufschluss über den Charakter und die Lebensumstände des niederländischen Plantagenbesitzers geben. Im Laufe zahlreicher Gespräche wird Ada schließlich erlaubt, Einsicht in diese Unterlagen zu nehmen und so erfährt sie nach und nach die Geschichte über Jacob Rivers Werdegang, über die politische und gesellschaftliche Struktur in den Kolonien sowie den beginnenden Aufruhr der afrikanischen Sklaven gegenüber den weißen Herren.

Zu den Wurzeln der eigenen Persönlichkeit

Ada gelingt es außerdem, ihren Bruder ausfindig zu machen. Anfangs fällt es ihr schwer, das Vertrauen dieses etwas undurchsichtigen jungen Mannes zu gewinnen. Schließlich offenbart Antonio Ada schonungslos ehrlich seine Sicht der Dinge. So unternimmt sie mit ihm gemeinsam eine Reise in die eigene Vergangenheit, lernt sich selbst und die Geschichte ihre Familie richtig einzuordnen und erfährt die Gründe für ihre eigenen widersprüchlichen Gefühle und Konflikte mit Antonio und ihrem Vater. Als Kinder der 60er Jahre, wurden beide vom Hippie-Kult geprägt und haben in unterschiedlicher Weise unter der erzwungenen extremen Freizügigkeit dieser Zeit zu leiden gehabt.

So vereinigen sich in diesem Roman zwei Geschichten, jeweils aus der Sicht der Hauptdarsteller erzählt:

  • einerseits die über das Leben des Plantagenbesitzers Jacob Rivers vor 200 Jahren auf Curacao,
  • andererseits Adas Geschichte in der heutigen Zeit, ihre Recherchen über den Mordfall Fanny Rivers, sowie ihre Selbstfindung.

Leidenschaftlich und authentisch bis zur Schmerzgrenze

Nelleke Noordervliet schreibt ungewöhnlich lebendig, in ausdrucksstarken Bildern so mutig detailgenau, dass man sich als Leser mehr als einmal peinlich berührt fühlt, man wird vor keiner noch so intensiven oder abartigen Fantasie verschont.

Lyrisch-romantisch dargestellten Szenen folgen bösartige Auseinandersetzungen voller Provokation, Zynismus und Gewalt. Sex und Leidenschaft wird sinnlich-erotisch, aber auch brutal und abstoßend beschrieben.

Mythologische Betrachtungen und psychologische Ausführungen untermauern die Hintergründe der Geschichten. Diese sind sehr individuell und für den Leser nicht immer leicht nachzuvollziehen, teilweise zu ausschweifend gestaltet, führen sie am Thema vorbei.

Ein Roman, glaubwürdig in unterschiedlichsten Genre

Diesen Roman überhaupt einer Kategorie zuzuordnen, ist letztlich unmöglich. Der Leser erlebt einen sehr politischen Historienroman, der geschichtliche Fakten und die Entwicklung der Kolonialzeit, Sklaverei und Rassismus, nicht nur unmissverständlich offenbart, sondern immer wieder aus ganz verschiedenen Perspektiven darstellt, hinterfragt und wertet.

Der Leser erlebt ein packendes Familiendrama mit interkulturellen Konflikten, das nicht nur schonungslos ehrlich und emotional ist, sondern individuelle, ausführliche Psychogramme der Charaktere enthält.

Man liest in einem Gesellschaftsportrait, sowohl über die heutige Zeit, als auch über das ausgehende 18. Jahrhundert, ein Spagat zwischen Historie und Moderne. Das alles wird eingebettet in einen spannenden Kriminalfall, der zugleich eine Abhandlung über Täter und Opfer, Schuld und Sühne darstellt.

Kein Buch für Menschen mit unumstößlichen Wertvorstellungen

Die Überraschungsmomente dieses Romans stecken nicht dort, wo der Leser sie vermutet. Es gibt keine klassische Auflösung. Die besondere Spannung in diesem Roman wird dadurch vermittelt, dass der Leser in eine Welt der widersprüchlichen Gefühle und Werte, in Grenzbereiche jenseits üblicher Moralvorstellungen eintaucht.

Nelleke Noordervliets "Die Schatten von Pelican Bay" ist eine besondere Herausforderung, ein ganz besonders vielschichtiger Roman, der dem Leser ganz neue Sichtweisen zu Themen wie Rassismus, Moral und zu den eigenen Wertvorstellungen aufzeigt. Dabei kommt die Unterhaltung keineswegs zu kurz, denn der Roman ist flüssig zu lesen, humorvoll, originell und in jeder Hinsicht ungewöhnlich.

Ein absolut empfehlenswertes, wunderbares Buch, dass einen lange nicht loslässt und viel Gesprächsstoff bietet.

Die Schatten von Pelican Bay

Nelleke Noordervliet, Zsolnay

Die Schatten von Pelican Bay

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