Father Browns Einfalt
- J. Kösel & F. Pustet
- Erschienen: Januar 1927
- 4
- London: Cassell & Co., 1911, Titel: 'The Innocence of Father Brown', Seiten: 335, Originalsprache
- München: J. Kösel & F. Pustet, 1927, Titel: 'Die verdächtigen Schritte & Die Sünden des Prinzen Saradin', Seiten: 175, Übersetzt: Hedwig Maria von Lama, Bemerkung: 2 Bände
- Bremen: Jacobi, 1977, Titel: 'Die Einfalt des Pater Brown', Seiten: 157, Übersetzt: Heinrich Fischer, Bemerkung: Großdruck
- St. Augustin: Richarz, 1983, Titel: 'Die Einfalt des Pater Brown', Seiten: 157, Übersetzt: Heinrich Fischer, Bemerkung: Großdruck
- Zürich: Haffmans, 1991, Seiten: 295, Übersetzt: Hanswilhelm Haefs
- Frankfurt am Main; Leipzig: Insel, 2008, Seiten: 355, Übersetzt: Hanswilhelm Haefs
- Schwäbisch Hall: Steinbach, 2010, Seiten: 4, Übersetzt: Michael Schwarzmaier
- Zürich: Diogenes, 2004, Titel: 'Die seltsamen Schritte', Seiten: 259, Übersetzt: Heinrich Fischer
Skurriler Mix aus Krimi-Klassiker und Humanisten-Seminar
Band I der Father Brown Reihe enthält die Kurzgeschichten:
Das Blaue Kreuz (The Blue Cross)
Hercule Flambeau, König der Diebe, mischt sich in London unter die Teilnehmer eines Eucharistischen Kongresses; Valentin, sein alter Gegner und Chef der Pariser Polizei, ist ihm hart auf den Fersen, um eine wertvolle Reliquie zu retten, deren Hüter, ein kleiner Geistlicher namens Brown, freilich sehr gut selbst auf sich und seinen Schatz aufpassen kann ...
Der verborgene Garten (The Secret Garden)
Ausgerechnet im Garten des berühmten Polizeichefs Valentin verliert ein amerikanischer Nabob seinen Kopf; er wird nicht der einzige bleiben ...
Die sonderbaren Schritte (The Queer Feet)
Meisterdieb Flambeau sucht sich für seinen neuen Fischzug einen sehr elitären englischen Club aus, in dessen Mauern sich auch Father Brown aufhält ...
Die Flüchtigen Sterne (The Flying Stars)
Unter die allzu übermütigen Gäste einer prominenten Weihnachtsgesellschaft mischen sich ein Sozialist, ein katholischer Priester - und Meisterdieb Flambeau ...
Der unsichtbare Mann (The Invisible Man)
Ein echter Niemand, von aller Welt übersehen, müsste prinzipiell der perfekte Mörder sein, doch Father Brown blickt wieder einmal tiefer ...
Die Ehre des Israel Gow (The Honour of Israel Gow)
Im wilden schottischen Hochland verschwand der exzentrische Earl of Glendyle; in seinem verfallenen Schloss finden Father Brown und sein neuer Freund, der inzwischen zum Detektiv konvertierte Flambeau, höchst rätselhafte Spuren, die eine makabre Geschichte erzählen ...
Die falsche Form (The Wrong Shape)
"Ich sterbe von eigener Hand, und dennoch sterbe ich ermordet", lauten die letzten Worte des verschrobenen Schriftstellers, doch zwei kleine Striche lassen Father Brown glauben, dass die Wahrheit wesentlich profaner ist ...
Die Sünden des Prinzen Saradine (The Sins of Prince Saradine)
Flambeau und sein Freund Father Brown unternehmen eine Flusspartie; sie landen in einem Märchenland und geraten in eine sizilianische Blutrache ...
Der Hammer Gottes (The Hammer of God)
Den alten Wüstling ereilt das Schicksal, das ihm der fromme Bruder stets prophezeite - mit zertrümmertem Schädel liegt er vor dem Kirchturm, nachdem er offenbar eine fremde Ehefrau zu viel entehrt hatte ...
Das Auge Apollos (The Eye of Apollo)
Brandneu ist das Haus, in dem Detektiv Flambeau sein neues Büro eröffnet, da stürzt schon jemand in den Fahrstuhlschacht, als Father Brown seinen Freund besuchen möchte ...
Das Zeichen des zerbrochenen Säbels (The Sign of the Broken Sword)
Wo versteckt man ein Blatt? In einem Wald natürlich, doch Father Brown entdeckt, dass sich dieses Prinzip auch auf einen Mord anwenden lässt ...
Die drei Werkzeuge des Todes (The Three Tools of Death)
Wurde Sir Aaron Armstrong erschossen, gehängt oder erdolcht?, fragt sich die Polizei; weder noch, meint Father Brown, und setzt aus den Indizien seine verblüffende Lösung des Falles zusammen ...
Die nur scheinbar kleine Welt des Father Brown
Gilbert Keith Chesterton (1874-1936), Literat, Sozialreformer, kritischer Mahner seiner allzu korrupten Regierung, Menschenfreund - und geistiger Vater eines klein gewachsenen, aber großköpfigen Männleins, das strikt gegen jedes gängige Helden- Klischee gebürstet wurde und trotzdem - oder gerade deswegen - literarische Unsterblichkeit erlangte: Father Brown (den nur die allzu saumseligen Eindeutscher der Vergangenheit zum "Pater" machten, obwohl dieser Titel doch einem Ordensgeistlichen zukommt, während Brown eindeutig dem Weltklerus angehört - welcher Laie kennt freilich schon den Unterschied?).
Er wurde mit Bedacht bar jedes äußerliche Zuges geschaffen, der ihn als heldenhaften Verteidiger von Recht & Ordnung charakterisieren könnte, denn Chesterton hatte wesentlich Größeres mit ihm vor: Father Brown ist nichts weniger als ein Sendbote, der auf Erden dem Bösen in seinen mannigfaltigen Gestalten nachspürt, um es im Wissen um die göttliche Kraft des Guten in seine Schranken zu weisen. Das muss nicht zwangsläufig mit der Entlarvung eines Schurken enden; recht oft entkommen sie der irdischen Gerechtigkeit, was sie allerdings nicht - da gibt es weder für Brown noch für Chesterton den Hauch eines Zweifels - vor den Schranken des Jüngsten Gerichts retten wird.
Weil er offenen Auges durch diese Welt geht, hat Father Brown viel gelernt über das Wesen des Bösen. Er erkennt es deshalb eher als seine Zeitgenossen, die meist gefangen sind in gesellschaftlichen Konventionen und Denkmustern, die sie schwerfällig und angreifbar werden lassen. Wenn ein Verbrechen geschieht, stürzen sich daher auch jene, die redlich um Aufklärung und Begründung bestrebt sind, stets auf das allzu Offensichtliche. Genau damit rechnet das Böse, und im Windschatten solcher menschlichen Blindheit wächst und gedeiht es.
Father Brown aber blickt tiefer und hinter die Kulissen. Er bringt dafür die besten Voraussetzungen mit, denn er ist Katholik und Priester. In der zynischen Gegenwart des 21. Jahrhunderts verbindet man mit beidem längst nicht mehr Weisheit und Vorbildcharakter, aber Chesterton schuf seinen unheldischen Helden (um einen der Stabreime zu bemühen, die dieser Schriftsteller so liebte) schließlich schon vor fast einem Jahrhundert. Einer dieser hier besprochenen Sammlung dankenswerter Weise angefügten biografischen Skizze können wir entnehmen, dass Chesterton im Katholizismus die beste Möglichkeit sah, die engen geistigen Fesseln jener Epoche zu sprengen, die man die "viktorianische" nennt. Die englische Staatskirche sah er als integrales Element des Establishments, dessen politischen und sozialen Ungerechtigkeiten und Korruptionen er deutlich erkannte, verachtete und bekämpfte. Chesterton trat aktiv, unermüdlich und ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit ein für Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Nächstenliebe - nicht zwangsläufig kirchliche, aber christliche Werte, ohne dass ihn dies den scharfen Blick für die Realitäten des Lebens vernebelte. Selbst ist Chesterton übrigens erst 1922 zum Katholizismus übergetreten - da schrieb er schon seit 13 Jahren Father Brown-Geschichten.
Die wurden zwar schon früh und dann immer wieder auch in Deutschland gedruckt, aber das Vergnügen hält sich in der Rückschau in Grenzen. Seit jeher klafft zwischen dem Father Brown, wie Chesterton ihn sah, und dem Pater Brown, der dem deutschen Publikum präsentiert und von ihm aufgenommen wurde, ein breiter Riss. Brown ist eben nicht das pfiffig-fromme Pfäfflein, das zum Wohle des Herrn und zum eigenen kriminalistischen Vergnügen Verbrechen aufklärt, wobei immer genug Zeit bleibt, der überschlauen Polizei oder allzu selbstzufriedenen Kirchenvorderen eine Nase zu drehen - in allen bescheidenen Ehren natürlich, denn Autorität durfte niemals ernsthaft angezweifelt werden. In dieser Hinsicht wurde das Brown-Bild sehr zu seinem Nachteil von zwei seinerzeit ungemein erfolgreichen Kinofilmen geprägt (ein dritter floppte allerdings), in denen Heinz Rühmann die Hauptrolle gab; das öffentlich-rechtliche Fernsehen gestaltet noch heute an kirchlichen Feiertagen gern sein Nachmittagsprogramm damit.
Aber dies war eben nicht Father Brown sondern Pater Rühmann. Ähnlich verfälschend sollen auch die deutschen Übersetzungen ante Haffmans mit dem Father umgesprungen sein, so der strenge Hanswilhelm Haefs in seinen Anmerkungen zur hier vorgelegten Übersetzung, die nicht nur ob ihrer Originaltreue bis auf weiteres als Referenzwerk gelten muss. Wie wir nun erfahren, befleißigte sich Chesterton eines sehr eigenwilligen Stils, den die Thomas Mann-geschulten Teutonen in der Übersetzung "korrigierten" und "aufwerteten". Haefs rang dagegen mit jedem Wort, ohne freilich dabei zu merken, dass er auf seine Art genauso verbissen wie seine gescholtenen Vorgänger zu Werke geht. Gleichgültig, denn ansonsten gibt hier keine Kompromisse mehr: Die fünf Haffmans- Bände um Father Brown sammeln erstmals und in chronologischer Reihenfolge alle Geschichten, die guten wie die weniger guten, die lehrreich-frommen wie die hauptsächlich unterhaltsamen. Das macht es möglich nachzuvollziehen, wie Chesterton erst allmählich begriff, welche Figur ihm da gelungen war und wie man sie am effektvollsten auftreten ließ. Bis einschließlich "Die Sünden des Prinzen Saradine" findet man die Stories altbacken, steif, übertrieben gleichnishaft und höchstens unter nostalgischen Gesichtspunkten fesselnd. Das ändert sich mit "Der Hammer Gottes". Nun erzählt Chesterton tatsächlich Kriminalgeschichten, in die er seine Lehre behutsam einfließen lässt. Endlich vermag der Leser nachzuvollziehen, was Father Brown zum Klassiker werden ließ, kommt echte Vorfreude bei dem Gedanken auf, auch zu den nächsten vier Sammelbänden zu greifen.
Da heisst es sich freilich zu sputen. Den Haffmans Verlag deckt längst der kühle Rasen. Die letzten Titel werden jetzt verramscht, was es möglich macht, für den Preis eines Taschenbuches fünf gebundene Father Brown-Bände zu erstehen - eine Gelegenheit, die wohl so schnell nicht wiederkehren wird. Statt dessen gehört das Feld wieder dem Pater Brown, welchen wir mit Haefscher Unterstützung klug Gewordenen nun gar nicht mehr mögen.
G.K. Chesterton, J. Kösel & F. Pustet
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