Die Macht der Erinnerung
- Bastei Lübbe
- Erschienen: Januar 2005
- 3
- Parma: Guanda, 2003, Titel: 'Una brutta faccenda', Seiten: 245, Originalsprache
- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2005, Seiten: 299, Übersetzt: Christiane Winkler
Diesem Kommissar wünscht man weitere Fälle
Florenz 1964. Der kleinwüchsige Casimiro berichtet eines Abends Commissario Franco Casini, dass er in einem Olivenhain über eine Leiche gestolpert sei. Vor Ort angekommen fehlt von dieser jedoch jede Spur. Stattdessen erleben die beiden eine unangenehme Überraschung in Form eines Dobermannes, der sie angreift. Casini greift kurz entschlossen zu seiner Pistole und erschießt den Hund. Eigentlich bereits auf der Rückfahrt folgt Casini seinem Instinkt und kehrt noch einmal zu dem Hain zurück. Der tote Dobermann ist verschwunden.
Einige Tage später macht sich Casini Sorgen um seinen zwergenhaften Freund, da er von ihm seit dem nächtlichen Vorfall nichts mehr gehört hat. Nachdem er mit Hilfe eines Nachbarn dessen Wohnung aufbricht, findet Casini die Leiche Casimiros ein einem Koffer, eingepackt in einem Plastiksack.
Commissario Casini hat neben dem Mord an seinem Freund jedoch noch ein sehr viel schwerwiegenderes Problem zu lösen, denn innerhalb weniger Tage werden die Leichen von zwei jungen Mädchen gefunden. Beide wurden erwürgt und weisen eine Bisswunde auf ihrem Bauch auf. Bei den parallel verlaufenden Ermittlungen stößt Casini alsbald auf die "Weiße Taube", einer weltweit agierenden jüdischen Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die bei den Nürnberger Prozessen verurteilten, aber danach untergetauchten Nazis aufzuspüren, um sie ihrer Strafe zuzuführen.
Der Commissario tritt bei seinen Ermittlungen mangels Zeugen und anderer brauchbarer Spuren recht lange auf der Stelle. Und so plätschert die Geschichte ganz geruhsam dahin, vertreibt sich Casini die Zeit sehr oft mit Nachdenken und Gesprächen mit seinem Assistenten Piras, besucht regelmäßig sein Lieblingsrestaurant und entspannt gelegentlich abends bei der früheren Prostituierten Rosa. Immer wieder greift Casini zum Bier (ist notfalls im Karteikasten seines Büros verfügbar) und genehmigt sich bei nahezu jeder Gelegenheit (Zeugenbefragung u.ä.) Cognac oder Grappa, wovon ihn auch die anstehende Rückfahrt mit seinem Käfer nicht abhält. Selbstredend fast, dass die obligatorische Zigarette permanent im Mundwinkel hängt. Sympathisch kommt Casini aufgrund seiner Laster daher, wobei er immer wieder an die erst zwanzig Jahre zurückliegenden Ereignisse während des Krieges zurückdenken muss, in denen er zunächst für die Wiederstandsbewegung "San Marco" kämpfte, bevor er nach Kriegsende selber für die "Weiße Taube" aktiv wurde.
So spannt der Autor in seinem zweiten Fall des Commissarios den Bogen von den Kriegsjahren, deren Folgen noch immer gegenwärtig sind, bis hin zum tristen Ermittlungsalltag. Dass die beiden Fälle (zumindest teilweise) ihren Ursprung in der Vergangenheit finden, verwundert letztlich nicht wirklich und wird zudem bereits vom Titel suggeriert. Der Aufbau ist wie erwähnt sehr ruhig, immer wieder wird das Tempo herausgenommen und Casinis Gepflogenheiten mehr Platz als zwingend notwendig eingeräumt. Die Lösungen der beiden Fälle sind zwar alles andere als ein Highlight, aber durchaus akzeptabel. Ein Buch, das man sich für den kommenden Herbst oder Winter für einen gemütlichen Abend vor dem Kamin (sofern vorhanden) vormerken kann. Kurzweilige Unterhaltung mit einem Kommissar, dem man weitere Fälle wünscht.
Marco Vichi, Bastei Lübbe
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