Schwarz auf rot
- Zsolnay
- Erschienen: Januar 2005
- 4
- New York: Soho Press, 2004, Titel: 'When Red is Black', Originalsprache
- Wien: Zsolnay, 2005, Seiten: 300, Übersetzt: Susanne Hornfeck
- München: dtv, 2007, Seiten: 300
Eine politisch zufriedenstellende Lösung
Shikumen-Häuser sind in China traditionelle Bauten aus grauem Backstein mit schwarzlackierten Türen und Türrahmen aus braunem Stein mit kleinen Innenhöfen, mehreren Flügeln und hölzernen Wendeltreppen.
Wohnraum in den chinesischen Millionenstädten ist knapp und eigenständige Wohnungen mit mehreren Zimmern nur den Reichen vorbehalten. So drängen sich in einem Shikumen-Haus schon mal fünfzehn oder mehr Familien, die jeweils meist ein Zimmer bewohnen und eine Gemeinschaftsküche nutzen, in der die Kohleöfen Reihe an Reihe stehen. In einer kleinen Kammer eines solchen Hauses lebte auch die Schriftstellerin Yin Lige. Die ehemalige Rotgardistin galt als Dissidentin und war bei den Mitbewohnern unbeliebt. Nun ist sie in den frühen Morgenstunden ermordet worden. Die Eingänge des Hauses waren verschlossen und kein Fremder wurde beobachtet, so dass der Täter zwangsläufig unter den Hausbewohnern zu finden sein muß.
Gaumenfreuden wie in einem italienischen Kriminalroman
Als "Oberinspektor Chens dritter Fall" wird Schwarz auf rot auf dem Titel angekündigt. Dies ist so nicht ganz richtig, denn eigentlich hätte es "Hauptwachtmeister Yus Fall" heißen müssen, da Oberinspektor Chen aus privaten Gründen Urlaub genommen hat. Chen, der etliche autobiografische Züge des Autors aufweist, hatte eigentlich Schriftsteller werden wollen und ist nur zufällig bei der Polizei gelandet. So schreibt er auch weiterhin in seiner Freizeit Gedichte und übersetzt Kriminalromane ins Englische. Nun hat er von dem Geschäftsmann Gu einen Übersetzungsauftrag für ein Geschäftspapier bekommen, der ihm weitaus mehr Geld einbringt als der Arbeitsaufwand gerechtfertigt. Dazu wird ihm auch noch eine "kleine Sekretärin" gestellt, die ihm alle einfachen Arbeiten abnimmt und für sein leibliches Wohl sorgt. Ein Angebot, das er einfach nicht ablehnen kann.
Beim Thema Gaumenfreuden braucht sich Qiu Xiaolong übrigens vor keinem italienischen Krimiautor zu verstecken. Ich verweise dabei insbesondere auf Seite 106, wo die kleine Sekretärin Weiße Wolke wahre Kostbarkeiten zubereitet, die zugegebenermaßen nicht jedermanns Geschmack sein dürften.
Hauptwachtmeister Yu auf Wohnungssuche
Chens Urlaub passt Parteisekretär Li überhaupt nicht, da der Mord an der Schriftstellerin Yin aus politischen Gründen sofortige Aufklärung verlangt. Notgedrungen muß er den Fall also an Hauptwachtmeister Yu übergeben. Dieser ist zwar stolz wegen des in ihn gesetzen Vertrauens, hat jedoch ganz andere Probleme, ist er doch am grübeln, ob die Arbeit als unterbezahlter Polizist das Richtige für ihn ist. Eine Wohnung war ihm fest zugesagt worden. Doch nun wurde die Wohnung ganz plötzlich anderweitig gebraucht. Auch hier ist die Ursache Politik. Ein enormer Gesichtsverlust für Yu, da bereits alle Freunde und Verwandte von der neuen Wohnung wussten. Nun muss Yu weiter mit seiner Frau Peiqin und seinem Sohn in einem Zimmer eines Shikumen-Hauses wohnen.
Während Yu nun versucht, zu rekonstruieren, wo sich die einzelnen Hausbewohner zur Tatzeit befanden, hilft ihm seine Frau auf andere Weise. Sie nimmt sich das einzige veröffentlichte Buch von Yin vor, in dem sie über ihre große Liebe zu dem inzwischen verstorbenen Schriftsteller Yang schreibt, denn sie vermutet den Schlüssel zur Lösung in der romantischen und verbotenen Beziehung zwischen Yin und Yang.
Parteitreues Verhalten ist wichtig
Natürlich kann sich auch Oberinspektor Chen auf Druck von Li nicht vollständig aus dem Fall heraushalten, da er weiß, wie wichtig auch für ihn parteitreues Verhalten ist. Doch ist er nicht total angepasst, sondern setzt seinen Willen auch mal durch und so belässt er alle Entscheidungsgewalt bei Yu, für den er sich verantwortlich fühlt und den er auch bei der Suche nach einer Wohnung unterstützen möchte.
Qiu Xiaolong zeigt dem Leser eine Kultur, die sich grundlegend von der Unsrigen unterscheidet. Man lernt eine Gesellschaft kennen, in der politische und soziale Komponenten eine bedeutende Rolle spielen und in der die Unterschiede zwischen verschiedenen Schichten enorm sind. Der Aufbruch vom Kommunismus zum Kapitalismus wird an einzelnen Beispielen aufgezeigt und verdeutlicht die aktuellen Probleme des Staates. In China kann man auch nicht einfach ein Verbrechen aufklären, so wie man das in der westlichen Welt macht. Nein, es muß eine Lösung gefunden werden, mit der man "politisch zufrieden" sein kann.
Der Kriminalfall ist nicht nur schmückendes Beiwerk
Schwarz auf rot ist mehr als ein gewöhnlicher Krimi. Es ist kein Buch für Leser, die Hochspannung und einen ausgeklügelten Krimiplot sowie eine Ermittlung mit Fakten und Beweisen erwarten, sondern ein Roman, in dem Literatur und Poesie eine wichtige Rolle spielen, in dem man die Zustände des Lebens in einer modernen chinesischen Großstadt kennenlernt und der Einblicke in die jüngere Geschichte des asiatischen Weltreichs gibt. Dennoch ist der eigentliche Kriminalfall nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern bietet eine übezeugende Auflösung, die nicht nur die Partei, sondern auch den Leser voll zufriedenstellt. Wie so oft aber mussten auch bei der Lösung des Falles die richtigen Beziehungen helfen. Und Chen muß erkennen, dass man nichts geschenkt bekommt, sondern dass für jeden Gefallen schließlich irgendwann eine Gegenleistung verlangt wird.
Zum Abschluss noch ein Lob an den Zsolnay-Verlag, dessen Buchausgaben einen einheitlich beschrifteten und ansprechend gestalteten Schutzumschlag aufweisen. Dass die Schrift nicht passenderweise schwarz auf rot, sondern rot auf schwarz ist, dürfte Zufall sein. Zudem liegt den Büchern ein thematisch passend gestaltetes Lesezeichen bei. Vorbildlich.
Xiaolong Qiu, Zsolnay
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