Zwei Rosenblätter

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1959
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  • London: Collins, 1958, Titel: 'The treble chance murder', Seiten: 192, Originalsprache
  • München: Goldmann, 1959, Seiten: 181, Übersetzt: Ruth Kempner
  • München: Goldmann, 1973, Seiten: 180
Zwei Rosenblätter
Zwei Rosenblätter
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2023

Toter Lump im Teich: eine Dorfidylle.

Wooton Mead ist ein kleiner, vom Fortschritt gemiedener Ort in der englischen Grafschaft Kent. Genau diese Abgeschiedenheit lockt Chefinspektor Bill „Ironsides“ Cromwell, der möglichst fern der Polizeiarbeit für Scotland Yard seinen Sommerurlaub verbringen will. Damit der berühmte Ermittler nicht erkannt wird, steigt er unter einem Decknamen im „Goldenen Hufeisen“ ab und verbringt einige behagliche Tage, bis zumindest das Verbrechen ihn in Wooton Mead entdeckt.

An der Theke des genannten Gasthofes feiert Immobilienmakler Peter Barlowe einen gewaltigen Wettgewinn. Allerdings beschuldigt ihn David Conway des Betrugs. Als Sohn des sittenstrengen Ortspfarrers hatte er seine Wetten von Barlowe und unter dessen Namen setzen lassen. Schriftlich wurde nichts festgehalten, sodass Barlowe juristisch auf der sicheren Seite ist und die wütenden Attacken seines nun ehemaligen Freundes ignoriert.

Kurz darauf fischt man Barlowe tot aus dem Dorfteich. Doch er ist nicht im Suff ertrunken, sondern wurde vergiftet. Die in Mordfällen wenig erfahrene Lokalpolizei ist hoch erfreut, als Cromwell die Ermittlungen übernehmen muss: Scotland Yard weiß natürlich von seinem Aufenthalt in Wooton Mead. „Old Iron“ ist wütend und geht noch ruppiger mit seinen Mitmenschen um als sonst, zumal Assistent Johnny Lister, der seinen Chef normalerweise zügelt, ebenfalls urlaubsbedingt abwesend ist.

Die Schar der Verdächtigen ist größer als gedacht und schließt nicht nur die Gattin der Ermordeten, sondern auch den Pfarrer und diverse Bürger ein. Barlowe war ein Schuft und Betrüger; viele wünschten ihm den Tod. Der schlägt noch einmal zu, weshalb sich Cromwell dem Mörder schließlich als Köder darbietet ...

Die beruhigende Kraft des Bewährten

Zum 30. Mal ließ „Victor Gunn“ (alias Edwy Searles Brooks, 1889-1965) „Old Iron“ Cromwell 1958 ermitteln. Um der Geschichte ein wenig Abwechslung zu verschaffen, spielt Assistent Lister zunächst eine Nebenrolle, bevor er im letzten Drittel unvermittelt ins Geschehen drängt: So wirkt es, was unterstreicht, dass Gunn ein Vielschreiber war, der eher auf Routine als Raffinesse setzte. Der Weg war das Ziel, und wenn es aus Zeitgründen notwendig war, den Plot unter Wahrung publikumsgeschätzter Methoden (oder Formeln) voranzutreiben, legte der Verfasser keine Skrupel an den Tag.

Es lassen sich manche Einwände gegen die Cromwell/Lister-Romane erheben, die sich unterm Strich sehr ähneln. Allerdings ist es gerade diese Vertrautheit, die der typische Serienleser wünscht: Keine Experimente bitte, der Lesestoff soll verlässlich bieten, was den Lektüreabend angenehm und aufregungsfrei gestaltet. In dieser Hinsicht liefert Gunn, was gewünscht wird - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die Abwesenheit jener Qualitäten, die einst als ‚literarisch‘ oder gar ‚künstlerisch‘ galten, sorgt dafür, dass die Gunn-Romane weiterhin funktionieren. Hier gibt niemand vor, das Krimi-Rad neu zu erfinden, sondern spinnt ein nicht glänzendes, aber solides Garn, wobei er bis ins Finale keine Masche fallenlässt. Der „Fall“ oder seine Aufklärung mag schematisch wirken (und ist es auch), doch der Verfasser versteht sein Handwerk und sorgt für bescheidene, aber freizeittaugliche Unterhaltung.

Ein Ermittler kennt keinen Urlaub

Beinahe unbemerkt wird der Zufall in einer Weise bemüht, die normalerweise negativ auffallen müsste. Parallel werden Cromwell in England und Lister in Italien in den Mordfall Barlowe verwickelt. Der ereignet sich genau dann, als der berühmte Chefinspektor Urlaub in Wooton Mead macht. Ansonsten wird genannter Zufall ordentlich strapaziert, um möglichst viele Verdächtige zu fabrizieren, die den Widerling Barlowe aus dem Weg geräumt haben könnten und dabei ohne Alibi blieben.

Bill Cromwell ist eine Schablonen-Figur. Wir erfahren nie etwas über seine Vorgeschichte oder sein Privatleben. Gunn nutzt ihn als Ermittler und Griesgram, der nicht einmal seinen Assistenten über Fortschritt oder Stocken seiner Polizeiaktivitäten informiert, sondern erst im Finale offenlegt, was aus seiner Sicht längst klar ist: ein uralter Genre-Trick, den der Autor in gewisser Weise parodiert, weil er ihn so deutlich als solchen einsetzt.

Wie austauschbar auch die übrigen Figuren sind, macht Gunn deutlich, als er den schwerfälligen Kollegen Grimes aus dem Sattel wirft, als Lister doch plötzlich in Wooton Mead auftaucht. Es gibt keinen Bruch im Erzählfluss, weil beide Figuren gleichermaßen Stellvertreter für die Leser sind und jene Fragen formulieren, die man dem Chefinspektor gern stellen würden. Dabei geben sie sich betont begriffsstutzig, obwohl Cromwell sich zwischendurch durchaus zu Erklärungen herablässt. Gunn achtet jedoch darauf, dass er seinen Informationsvorsprung halten kann.

Es war einmal: Cromwells Krimi-Märchenreich

Wooton Mead ist ein typischer Gunn-Mikrokosmos. Der Ort mag in England liegen, aber schon, dass die Handlung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg spielt, können wir kaum glauben, obwohl Cromwell es einmal selbst zur Sprache bringt. Gunn bietet Krimi-Nostalgie pur. Moderne Hektik ist Gift für Cromwell, der seinem Job eher wie einem Hobby nachgeht. Die Vorgesetzten lassen ihn machen, nie gibt es Zeitdruck, und die lästigen Medien halten sich zurück. Johnny Lister ist von Haus aus reich und vertreibt sich die Zeit mit Polizeiarbeit.

In Wooton Mead stößt Cromwell auf die üblichen Figuren, die den „klassischen“ englischen Krimi angeblich ausmachen; dies galt schon zu Gunns Zeiten vor allem deshalb, weil es in Romanen, Filmen und TV-Serien zelebriert wurde. Möglichst außer Sicht einer rationalen Gegenwart, in der Mord eben nicht frei nach Thomas de Quincey als „schöne Kunst“ betrachtet wird, ermittelt Cromwell unter Archetypen. Da gibt es den pompösen Gutsherrn, den in seinem Amt verknöcherten Pfarrer, den jungen, von den Dörflern ob seiner ‚modernen‘ Behandlungsmethoden mit Misstrauen betrachteten Arzt, geistig grob gestrickte Handwerker und Bauern und selbstverständlich eine junge Schönheit, die ‚gerettet‘ werden muss, auch wenn es dieses Mal darum geht, einen zukünftigen Gatten vom Mordverdacht zu reinigen.

Gunn strickt hier mechanisch Maschen. Er nutzt Stereotypen, um Cromwell als fähigen Ermittler zu zeigen, der sich nicht im klebrig-gemütlichen Spinnennetz kleinstädtischer Ehrbarkeit verheddert, sondern die so geprägten Figuren immer wieder vor die Köpfe stößt und ihre Limitierungen offenlegt. Dass seine Leser dennoch die einschlägigen Szenen dörflicher Kitsch-Harmonie genießen können, zeigt Gunn als wahren Profi, der auch dieses Mal sein Garn zügig und plausibel ins Finale bringt, ohne zu langweilen oder durch allzu aufdringliche Volkstümlichkeit zu ärgern.

Fazit

Band 30 der Cromwell/Lister-Serie bietet bekannte Krimi-Hausmannskost in nostalgisch-gemütlichem Ambiente. Der Plot funktioniert, und gerade die Abwesenheit jeglichen ‚Stils‘ rettet diesen soliden Durchschnittskrimi vor dem Vergessen durch Unleserlichkeit.

Zwei Rosenblätter

Victor Gunn, Goldmann

Zwei Rosenblätter

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