Flugrausch
- Soho Press
- Erschienen: Januar 2005
- 2
- Crows Nest: Allen & Unwin, 2003, Titel: 'Kittyhawk Down', Seiten: 275, Originalsprache
- New York: Soho Press, 2005, Originalsprache
- Frechen: Delta Music, 2006, Seiten: 5, Übersetzt: Volker Niederfahrenhorst
- Zürich: Unionsverlag, 2007, Seiten: 315
Kalkül siegt über Inspiration
Der australische Autor Garry Disher ist ein kleines Phänomen: Nicht nur, dass er zu den wenigen wirklich ursprünglichen australischen Krimi-Autoren gehört, die den Weg auf den deutschsprachigen Buchmarkt geschafft haben (im Gegensatz um Österreicher Marcus Starck, zum Schweizer Alex Winter oder zur Deutschen Manuela Martini), er spielt auch gekonnt die Klaviatur der Belletristik in verschiedensten Tonlagen: Kinderbücher, Gangster-Krimis (seine Wyatt-Reihe ist durchaus maßgebend) und eben Polizeiromane. Drachenmann, Vorgänger von Flugrausch, ist der erste Teil einer Reihe um Kommissar Hal Challis und wurde von Presse und Lesern begeistert aufgenommen. Kann Flugrausch nun diese Erwartungshaltung erfüllen?
Inhaltlich passiert auf knapp 300 Seiten gedrängt viel und andererseits doch wenig, um einen roten Faden erahnen zu können: Challis muss sich mit einer Wasserleiche auseinandersetzen, die mit einem Anker in der australischen See versenkt worden ist. Ein Durchgeknallter vergewaltigt Paare(!) auf der Halbinsel, die Hal Challis sein Zuhause nennt. Die Kids nehmen Drogen bis zur Besinnungslosigkeit, seine Frau terrorisiert ihn, er schaltet in seinem Hangar ab und bastelt an seinem Flugzeug und muss herausfinden, dass seine Flugplatz-Nachbarin bei ihren Rundflügen gewaltige Marihuana-Felder abgelichtet hat. Viele kleine, manch größere Verbrechen, viele kleine Schicksale, manch größere persönliche Katastrophen, die Disher zu einem Gesamtbild eines australischen Mikrokosmos zusammenwebt. Doch wieviel haben die Nebenschauplätze mit dem eigentlichen Fall zu tun? Und was ist eigentlich der "eigentliche Fall"?
Dishers Kunst besteht darin, dies alles, die Tragödien auf engstem Raum, versteckt unter dem friedlichen Bild australischer urbürglicher Provenienz, zu einer Gesamtanklage zusammenzuschweißen, was den Leser mindestens so bedrückt wie Protagonist Hal Challis in den Roman startet. Doch macht das einen Roman, der den Vorschusslorbeeren gerecht wird?
Im bemerkenswert informativen Anhang über Autor und Buch - den man mittlerweile von der metro-Reihe gewöhnt ist, dem dennoch aber noch genau so viel Anerkennung wie beim ersten Entdecken gebührt - erfährt der Leser viel darüber, was sich Garry Disher bei Flugrausch gedacht hat und welche Ansprüche er selbst an seine Werke stellt. So ist beispielsweise zu lesen:
"Ein noch so schön-schauriger Plot ist wertlos, wenn der Plot nicht in sich schlüssig und logisch ist. Ein Roman kann sprachlich noch so so gut geschrieben sein oder die Protagonisten noch so viel Identifikationspotential für den Leser liefern, wenn aber die Handlung - ganz gravierend vor allem bei einem Kriminalroman - zu konfus, abstrus und unrealistisch ist, dann krankt der gesamte Roman."
Letzteres kann man Disher wirklich nicht vorwerfen. Der Plot ist verzwickt und Disher legt genug falsche Fährten - die auch nicht im Nirvana versanden. Eben so, wie man es von einem intelligenten Kriminalroman erwarten darf. Gekonnt fügt er die losen Enden am Ende zusammen und so ist Flugrausch tatsächlich schlüssig und logisch.
Allerdings macht Dishers Statement auch klar, wo seine Prioritäten beim Schreiben lagen und offenbart dadurch, woran der Roman tatsächlich krankt. Seine Figuren bleiben erstaunlich farblos, erwecken auch nicht ansatzweise ein Potential zur Identifikation, in der Konstellation denkt man leider sogar an mental-gestörte Stereotypen: Ein zurückgezogener, introvertierter Kommissar mit Problemen mit seiner (Ex-)Frau, eine karrieristisch-feministische Journalistin, der etwas minderbemittelte, aber ungemein von sich selbst überzeugte Vorstadt-Rambo-Pöbel-Streifenpolizist, das Gewissen in Form einer Gutmensch-Polizistin, die sich gleichwohl um ihre pubertierende Tochter kümmern sollte es aber nicht hinbekommt.
Figuren wie Plot sind absolut nicht typisch-australisch, sondern könnten eins zu eins auch irgendwo an die US-amerikanische Grenze zu Mexiko, nach Sizilien oder die südspanische Küste umgezogen werden. Denn auch da würde Dishers politische Kritik ziehen, aber der Leser lernt: Auch der siebte Kontinent hat ein Problem mit Immigranten und die Jugend fröhnt den gleichen Drogen wie überall auf der Welt, soweit sie es sich leisten kann.
Dazu kommt: Dishers Sprache ist so dermaßen nüchtern, dass dieser Stil nicht bemerkenswert originell oder zum Plot passend beim Leser ankommt, sondern teilweise schlicht paralysiert. Disher selbst sagt dazu:
"Das Schreiben ist gelungen, wenn die Wörter auf den Seiten singen. Dann ist meine schriftstellerische Arbeit von Erfolg gekrönt. Wenn aber die Wörter wie Steine auf den Seiten lasten, dann habe ich mein Ziel verfehlt."
Ganz so weit will der Rezensent in seinem Urteil dann doch nicht gehen. Aber von "singenden Wörtern" kann nun wirklich keine Rede sein. Höchtens von einem monotonen Singsang. Allein ein Bild wie dem der "singenden Wörter" ist Disher im gesamten Roman nicht gelungen. Dishers Sprache zeichnet sich durch absolute Klarheit, Nüchternheit, Schnörkellosigkeit und durch einen deutlichen Abstand zu Figuren und Plot aus.
Dies unterstreicht zwar Dishers Vorhaben, die Handlung selbst (und damit seine Gesellschafts-Kritik) in den Vordergrund zu stellen, wirkt dann aber doch zu kühl, zu wenig sprachlich kreativ, zu abgeklärt, vielleicht sogar akademisch. Kalkül siegt über Inspiration und man möchte dem Autor zurufen: Garry, schalte für einen Absatz deinen Kopf aus und schreibe einfach mal drauf los.
Wenn so der Lesegenuss an sich dadurch auf der Strecke bleibt, kann der Plot noch so gut gestrickt sein - unterm Strich bleibt ein Roman, der zwar deutlich macht, dass auch die australischen Ödnis nicht von Drogen, Korruption und Gewalt verschont bleibt - und so sich in fast nichts von anderen Weilen großer Industrienationen unterscheidet - der aber auch nicht dazu mitreißen kann, unbedingt mehr von Hal Challis und Co. lesen zu wollen. Da greift man lieber zu Dishers weitaus flotteren Wyatt-Reihe. Flugrausch ist trocken wie der australische Wüstensand. Schade.
Garry Disher, Soho Press
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