Der Fall des Lemming
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2004
- 16
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2004, Seiten: 256, Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2005, Seiten: 252, Originalsprache
Daumen hoch!
Endlich!!! Es wurde mal wieder Zeit... Nach langer Zeit war für mich Slupetzkys "Der Fall des Lemming" das erste Buch, bei dem ich bis kurz vor Schluss nicht erraten habe, wer der Mörder sein könnte. Überzeugend deshalb, weil die Lösung dann nach Verknüpfung aller Details durch und durch logisch erscheint und nicht etwa ein Mörder wie ein Kaninchen aus dem Zylinder gezaubert wird, der auf den 230 Seiten zuvor kein einziges mal vorkam. Der Fall des Lemming überzeugt durch Skurrilität, stark überzeichnete Charaktere, Witz und Charme.
Lemming heißt eigentlich Leopold Wallisch und war mal bei der Polizei. Nach einem Saufgelage, das mit einem nächtlichen Nacktspaziergang durch Wien endete, sorgte sein Vorgesetzter, ein verkappter Fascho, für seine Entlassung. Nun arbeitet er als Privatdetektiv und beschattet vermeintliche Ehebrecher. Als solcher gilt ihm der pensionierte Lehrer Dr. Grinzinger, der kurz nachdem Lemming die Überwachung gestartet hat, auch schon mit einer klaffenden Wunde am Hinterkopf tot im Walde liegt. Kurz zuvor hat er noch beobachten können, wie der Rentner eine Brille in einem Kästchen unter den Tannen verbuddelt hatte.
Intelligente Unterhaltung
Aber die Brille bleibt nicht die einzige Merkwürdigkeit. Zunächst versucht Lemmings ehemaliger Chef vehement, dessen Arbeit als Detektiv zu sabotieren. Dann hat nach Aussage der Witwe Grinzinger sie selbst nämlich die Detektei nur auf Geheiß ihres Mannes mit der Überwachung beauftragen müssen; eine vermeintliche Geliebte hat es nie gegeben. Ein gehörnter Nebenbuhler scheidet somit als Tatverdächtiger aus. Wer könnte sonst ein Motiv haben? Der Lemming schnüffelt ein wenig an der ehemaligen Schule des Ermordeten herum und stößt auf ein Drama, das sich vor über 20 Jahren in einer von Grinzingers Klassen ereignet hat. Die Schüler hatten sich damals zum sogenannten "Iden-Club" zusammen gerottet - ein Zufall, dass Grinzinger ausgerechnet am 15. März, also den Iden des Märzes, sterben musste?
Der Roman liest sich in einem weg. Wunderbar geschrieben in verständlicher, aber keinesfalls niveauloser Sprache. Auch der gelegentlich eingestreute Wiener Schmäh stört dieses Bild nicht. Herrliche Einfälle, mit denen Slupetzky die Handlung würzt. Besonders zu gefallen weiß ein nicht ganz so fideler Castro: ein Jagdhund, der als Drogenkurier missbraucht wurde und in dessen Magen offenbar ein Kondom mit Haschischöl geplatzt ist, weswegen sich das arme Tier auf einem Dauertrip befindet. In der Mitte des Buches bringt der Autor dann plötzlich eine zweite Handlungsebene ein, die zunächst komplett aus dem Zusammenhang gerissen scheint, berichtet aus dem Dschungel von Französisch Guayana, von griechischen Inseln, Israel und Triest, wobei er gerade bei der Erzählung aus Israel beeindruckende Geschichts- und Ortskenntnis beweist. Es wird einfach alles zu einer runden Sache und als es dem Autor dann auch noch gelingt, eine Bettszene über mehrere Seiten anspruchsvoll zu umschreiben und mit einem großen Knall enden zu lassen, dürften spätestens so einige Kollegen aus der Schreiberzunft ehrfurchtsvoll ihren Hut ziehen.
Slupetzky vs. Steinfest - Lemming vs. Lukastik
Der Vergleich zu Heinrich Steinfests Nervöse Fische muss hier angebracht werden. Was Anspruch und Sprachgenie anbelangt, steckt hier Slupetzky klar zurück, weswegen Steinfests Chefinspektor Lukastik mit geringem Vorsprung mein Favorit bleibt. Während Steinfest jedoch aus den banalsten Dingen noch eine Absurdität gewinnen kann und sich systematisch in die klitzekleinsten Details verliert, stürmt Slupetzky in der Handlung voran. Beide bedienen sich beinahe comicartig überzeichneter Charaktere, jedoch ein saufender, arbeitsloser Lemming ist einfach "volksnäher" und dem Leser eingänglicher als ein etwas weltfremder und doch stets philosophierender Anhänger Wittgensteins namens Lukastik. Beide können begeistern, jedoch bei allen kreativen Einfällen widmet sich Slupetzkys Lemming eindeutig mehr dem Mainstream. Und das Gute zuletzt: heute wissen wir bereits, dass es nicht bei nur einem Fall des Lemming bleiben wird...
Stefan Slupetzky, Rowohlt
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