Das schwarze Herz
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2000
- 49
- London: Hodder & Stoughton, 1999, Titel: 'Every dead thing', Seiten: 485, Originalsprache
- Berlin; München: Ullstein, 2000, Seiten: 524, Übersetzt: Jochen Schwarzer
- München: Ullstein, 2001, Seiten: 524
- Augsburg: Weltbild, 2003, Seiten: 524
Buchstäblich das Gesicht verlieren ...
Im Dezember des Jahres 1996 lernt Charles "Bird" Parker, Detective des New York Police Department, den "Fahrenden Mann" kennen, einen Serienmörder von geradezu mystischer Grausamkeit. Dieser ermordet Frau und Kind Parkers auf seine ganz "persönliche", perfide Weise: Er häutet sie bei lebendigem Leibe und stellt mit den Leichen Szenen aus historischen Anatomie-Lehrbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts nach.
Der "Fahrende Mann" möchte seinem "Publikum" auf "kunstvolle" Weise die Sterblichkeit des Menschlichkeit nahe bringen, vermutet die Psychologin Rachel Wolfe, aber das ist für Parker natürlich kein Trost. Er wird durch die grauenvolle Tat völlig aus der Bahn geworfen, quittiert den Dienst, taucht einige Monate unter, versucht sich zu fangen und beginnt vor allem damit, den Täter auf eigene Faust zu suchen - vergeblich. Aber der "Fahrende Mann" hat Parker nie aus den Augen gelassen. Als dieser nach New York zurückkehrt, meldet er sich ebenso einfallsreich wie blutig zurück und kündigt Parker weitere Morde an.
Während Polizei und FBI hektisch, aber erfolglos die Spur des "Fahrenden" aufzunehmen versuchen, ermittelt Parker, der inzwischen als "halboffizieller" Privatdetektiv aktiv geworden ist, einen scheinbar ganz anderen Fall. Die junge Catharine Demeter ist verschwunden. Ihre Freundin Isobel Barton macht sich Sorgen und heuert Parker an, sie zu finden. Offensichtlich ist sie in ihre Heimatstadt Haven im tiefen Süden der USA untergetaucht - doch wieso?
Gefährlich: der sadistisch-geistesgestörte Sohn des Paten
Zu Parkers Schrecken stellt sich heraus, dass auch die örtliche Mafia ihre Hände im Spiel hat. Sonny Ferrera, sadistisch-geistesgestörter Sohn des mächtigsten Paten der Stadt, ergötzt sich an mörderischen Snuff-Spielchen. Eine regelrechte Folter- und Mord- Industrie hat sich in seinem Umfeld etabliert, um für ständigen Nachschub an minderjährigen Opfern zu sorgen. Parker kommt einem unmenschlichen Psychopathenpaar auf die Spur, das Sonny seit Jahren "beliefert". Er kann die gesamte Kindermörder-Mafia auffliegen lassen. Niemand überlebt das anschließende Massaker, doch im Moment des Todes spielt einer der Täter einen letzten Trumpf aus: Der "Fahrende Mann" stand in Kontakt zu seinen mörderischen "Kollegen"!
Parker steht mit leeren Händen da und muss wieder bei Null beginnen. So versucht er, die "Lehrjahre" des "Fahrenden Mannes" zu rekonstruieren, da wird dieser erneut aktiv. Eine beispiellose Blut- und Gewaltorgie setzt ein; der Täter wird immer brutaler, die Abstände zwischen den Morden verkürzen sich. Außerdem beginnt der "Fahrende" mit seinen Jägern zu spielen. An Parker scheint ihm auf seine krankhafte Art am meisten zu liegen, und dieser fragt sich verzweifelt, was ihn mit dem Mörder verbinden könnte. In den Sümpfen von Louisiana nimmt er die Spur des "Fahrenden" auf, gerät dabei in einen örtlichen Gangsterkrieg, lernt einige eher zwielichtige Gesetzeshüter kennen und ist rasch in einem lebensgefährlichen Katz-und-Maus-Spiel gefangen. Mehr als einmal muss Parker seine für Freund wie Feind unerwartete Unterstützung zum Einsatz bringen: Angel und Louis, das schwule Paar aus dem Ghetto von New York, Profis in Sachen Mord und Einschüchterung, doch auch ihre (un-)heimliche Begleitung schützt Parker nicht vor der Rückkehr in den Albtraum seines Lebens ...
Durchgeknallte Massenschlächter treten sich auf die Füße
Schon wieder geht ein Serienkiller auf seine düstere Reise durch Amerika. Realitär mag dieser merkwürdige Menschenschlag ja an Zahl stetig zunehmen, doch in der Kriminalliteratur beginnen die mehr oder wenig durchgeknallten Massenschlächter inzwischen merklich auf der Stelle und einander auf die Füße zu treten.
Wie hebe ich mich als Schriftsteller von den lieben Kollegen ab, wenn ich dennoch den x-ten Hannibal-Klon auf die ahnungslose Normalbürgerschaft loslassen möchte? Richtig - ich kreiere ein Monster, das noch ein paar Umdrehungen irrsinniger und vor allem brutaler ist als seine Vorgänger. Allerdings wird es auch hier langsam schwierig, noch eine Nische zu finden, dabei originell und vor allem halbwegs realistisch (wenn man das im Unterhaltungsroman überhaupt verlangen kann) zu bleiben.
John Connelly kann erstaunlicherweise alle drei Grundvoraussetzungen erfüllen. Dass er die Komponenten dann auch noch zu einer rasanten, gleich zweifach (dazu unten mehr) höllisch spannenden und sogar psychologisch stimmigen Geschichte zusammensetzt, nimmt endgültig für "Das schwarze Herz" ein und führt dazu, dass man sich den Namen dieses in Deutschland neuen Schriftstellers merken wird.
Eigentlich tut Connolly alles, um es sich mit den Kritikern zu verderben
Dabei tut Connolly eigentlich alles, um es sich mit der strengen Kritiker zu verderben. Von Andeutungen und "versteckter" Gewalt - dann gilt sie eigentümlicherweise als legitimes Handlungselement - keine Spur. Statt dessen wird aus allen Rohren gefeuert, gestochen oder sonstwie gemetzelt, und die Zahl der auf diese Weise zu Tode gekommenen Opfer und Täter wird nur noch übertroffen durch die Zahl der mehr oder weniger (meist mehr) verwesten Leichen, die an meist höchst ungemütlichen Orten zum Vorschein kommen und deren Zustand geradezu liebevoll beschrieben wird - keine Lektüre für die Freunde des englischen Landhaus-Krimis also!
Connollys Bemühungen, einem allzu strapazierten Thema neue Aspekte abzugewinnen, tragen dennoch nicht durchgängig Früchte. "Das schwarze Herz" präsentiert eigentlich zwei separate Handlungsstränge, deren Verbindung nur locker und arg konstruiert ist. Die Entlarvung des kindermordenden Mafiosi und die Ausrottung seiner Bande gipfelt in einem furiosen Höhepunkt, der an düsterer Eindringlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Da hat der Roman aber gerade erst seine Halbzeit erreicht und die Geschichte vom "Fahrenden Mann" völlig aus den Augen verloren. So überrascht es nicht, dass der Spannungsbogen erst einmal abbricht. Nur allmählich kommt die Handlung wieder in Gang, aber sie nimmt einen völlig anderen Verlauf als bisher und entwickelt sich nicht wirklich logisch aus der Vorgeschichte.
Das klassische Kino-Monster
Allerdings heißt das nicht, dass Connolly der Versuch misslänge, das Interesse seiner Leser zurückzugewinnen. Die zweite Hälfte des Roman gehört dem "Fahrenden Mann". Die Figur wird geschickt nach dem Vorbild des klassischen Kino-Monsters eingesetzt, das am wirkungsvollsten erschrecken kann, wenn es nicht ständig ins Bild tritt, sondern sich im Schatten hält. Sparsam dosiert und dieses Mal hauptsächlich durch seine Taten, nicht durch sein Tun wirkend, gewinnt der "Fahrende Mann" tatsächlich die Qualitäten jenes biblischen Dämonen, als dessen Inkarnation er sich sieht. Dass viel von dieser Wirkung im konventionellen Finale verpufft, ist ein grundsätzliches Problem, das nicht Connolly anzulasten ist.
Auch dem Südstaaten-Schauplatz weiß Connolly neue Aspekte abzugewinnen, und sei es nur durch den weitgehenden Verzicht auf morsche Mississippi-Romantik und "In der Hitze der Nacht"-Klischees. Die Figuren sind bis auf wenige Ausnahmen wie die im südlichen Ambiente notorische, in Würde verblühte, schwergewichtig-schwarze "Big Mamma" vorzüglich gezeichnet. Wie es sich für einen Thriller auf der Höhe seiner Zeit gehört, haben auch die "Guten" durchweg mindestens einen attraktiven Knacks - das lässt sie menschlicher erscheinen und erregt außerdem die Aufmerksamkeit stets nach einer interessanten Rolle spähender prominenter Schauspieler bei einer möglichen und hoffentlich einträglichen Verfilmung. Folgerichtig wurden bereits im Roman die Rollen streng nach Proporz besetzt - der weiße Held, seine (in Grenzen) emanzipierte Gefährtin (unentbehrlich als Sympathieträgerin und vor allem als Beinahe-Opfer im großen Finale) und einige größere und viele kleine Nebenrollen für schwarze Darsteller; der Schauplatz ermöglicht es dieses Mal, auf den üblichen Alibi-Hispanier oder -Asiaten zu verzichten.
John Connolly, Ullstein
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