Die rote Lampe
- Scherz
- Erschienen: Januar 1959
- 4
- New York: George H. Doran, 1925, Titel: 'The Red Lamp', Seiten: 317, Originalsprache
- Bern: Scherz, 1959, Seiten: 191, Übersetzt: Maria Meinert
- Bern; München; Wien: Scherz, 1987, Seiten: 178
- Frankfurt am Main: Fischer, 2009, Seiten: 232
Rote Lampe gibt grünes Licht für Gauner & Geister
Nach dem Herztod des sonderlichen Horace Porter ging Twin Hollows, das alte, einsam am Meer gelegene Haus unweit des kleinen Ortes Oakville im US-Staat Massachusetts, vor einem Jahr in den Besitz des Neffen über. William ist ein biederer Professor, der sich über das Erbe freut und mit seiner kleinen Familie den Sommer dort verbringen möchte. Während Nichte Edith hellauf begeistert ist, zeigt sich Gattin Jane abweisend. Sie ist hellseherisch begabt und wird von Unheil verkündenden Träumen geplagt, die Twin Hollows als Ort des Grauens zeigen.
Darin stimmen ihr die Bürger von Oakville zu. Schon bevor es den alten Horace dahinraffte, soll es mächtig gespukt haben in dem alten Haus. Eine übel beleumundete Spiritistin hat hier einst Séancen abgehalten und Horace sich gefürchtet, wie ein zufällig gefundenes Brieffragment belegt. Seit seinem Tod leuchtet des Nachts immer wieder die rote Lampe, die er in seinem Arbeitszimmer installieren ließ. Auch Geistergestalten sieht man manchmal um das leer stehende Gebäude gaukeln.
William erhört Janes Flehen. Man zieht in das Pförtnerhaus und vermietet Twin Hollows an einen hoffentlich weniger empfindsamen Sommergast. Der alte Mr. Bethel und sein zwielichtiger Sekretär Gordon sind allerdings wenig angenehme Nachbarn. William wird ohnehin wenig Erholung finden in diesem Sommer. Ein unheimlicher Tierschinder terrorisiert die Bauern von Oakville und hinterlässt auf den Kadavern hingemetzelten Schafe das Hexenzeichen. Sogar ein heidnischer Opferaltar wird entdeckt. In und um Twin Hollows tummeln sich Straßenräuber, Attentäter, Einbrecher und Geister in nie gekannter Zahl. Dann verschwinden die ersten Menschen. Manche werden an den Strand der nahen Bucht gespült, andere tauchen nicht wieder auf. Die Polizei tappt im Dunkeln und beginnt William zu verdächtigen, der sich als Amateurdetektiv versucht und dabei ein Talent an den Tag legt, sich selbst verdächtig zu machen. Glücklicherweise steht ihm der junge Halliday, Ediths Verlobter, zur Seite - oder muss er zum Kreis der Verdächtigen gezählt werden ...?
Krimi-Spuk auf hohem Niveau
Ein kleines Juwel ist dieser klassische "Landhaus-Krimi" aus dem Jahre 1925. Trügerisch leichtgewichtig, dabei aber klug konstruiert kommt die Geschichte daher. Aufgebaut ist sie wie so oft bei Mary Roberts Rinehart als monumentaler Rückblick, d. h. das Geschehen ist zum Zeitpunkt der Erzählung längst Geschichte. Einer kurzen Einleitung, die in der Gegenwart spielt, folgen die Tagebucheinträge des William Porter aus dem vorjährigen Schicksalssommer in Twin Hollows. Kurz vor dem großen Finale brechen sie ab und gehen - die Spannung geschickt steigernd - in eine interpretierende Rückschau der Ereignisse und ihre Auflösung über.
Der Plot selbst ist verwickelt, um nicht zu sagen überkompliziert, aber er ist auf seine verquere Art schlüssig. Das Gewicht liegt ohnehin auf der Schaffung einer Stimmung vager Bedrohlichkeit, in der die Aktivitäten der auftretenden Figuren verschwimmen. Jede und jeder ist verdächtig, und es spricht für Rineharts Talent, ihre Leser bis zuletzt im Unklaren zu lassen.
Erstaunlich ist die Entscheidung der Autorin, das Rätsel der roten Lampe nicht vollständig zu enthüllen. Der Spuk als solcher wird nachträglich rational erläutert, aber einige Seltsamkeiten bleiben bestehen, und Rinehart macht keinen Hehl daraus, dass es in Twin Hollows in der Tat nicht mit rechten Dingen zugeht. Diese phantastische Dreingabe stört überhaupt nicht, sondern steigert höchstens den Reiz.
Geister- und Mörderjagd: kein Zuckerschlecken
Mit dem gar nicht so klugen Professor Porter ist Rinehart eine hervorragende Hauptfigur gelungen. Sie formt ihn fern jener süßlichen Schnurrigkeit, für die der "Kuschel-Krimi" bekannt und berüchtigt ist. Porter ist ein eher passiver Mensch, ein überforderter Jedermann, der in der Krise eifrig versucht ein kriminalistisches Knäuel zu entwirren. Dabei geht schief was nur schief gehen kann. Auch das entwickelt sich aus der Handlung und ist nicht auf Komik getrimmt.
Angenehm durch Abwesenheit glänzen lästige Archetypen wie der knorrige Ex-General, der zerstreute Pfarrer, der treudumme Dorfpolizist etc. Vielleicht liegt es daran, dass "Die rote Lampe" den klassischen Krimi nicht exhumiert, sondern tatsächlich in seiner großen Zeit entstanden ist. Zur Harmonie der Geschichte trägt weiterhin bei, dass Rinehart mit den schon damals zum Klischee gerinnenden Elementen des "Cozys" nicht spielt (wie z. B. wenig später John Dickson Carr, der sie ironisch übertreibt und - freilich mit bemerkenswertem Geschick - ins Künstliche überhöht), sondern sie einsetzt, um ihre Geschichte möglichst unterhaltsam zu erzählen.
Einen verbissen ermittelnden Inspektor oder einen genialen Detektiv gibt es übrigens auch nicht. Zwar tritt die Polizei in mehreren Inkarnationen auf, bekleckert sich aber nicht mit Ruhm. Der Amateur löst hier das Rätsel - und es ist nicht Porter, was "Die rote Lampe" noch heller leuchten lässt.
Die Frauenrollen sind zeittypisch angelegt, ohne deshalb die Leserin von Heute zu erzürnen. Jane Porter ist zwar ´nur´ Gattin, aber kein repräsentatives Aushängeschild oder Hausmütterchen. Nichte Edith drängt es zur Ehe, doch sie ist es, die diesbezüglich die Fäden in die Hand nimmt, und sich sogar - hier denkt Rinehart zweifellos an ihre eigene Vergangenheit - selbst um einen Job bemüht, den ihr Verlobter lange nicht zu finden vermag.
Womit dem Leser klassischer Krimis genug Anreize zur Lektüre dieses fälschlich der Vergessenheit anheimgefallenen und im Rahmen der Reihe Fischer Crime Classics endlich wieder ´geborgenen´ und vom Krimi-Couch-Chefredakteur Lars Schafft kommentierten Romans geliefert sein dürften ...
Mary Roberts Rinehart, Scherz
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