Die Schätze des Pharao
- Heyne
- Erschienen: Januar 2000
- 2
- London: Collins, 1992, Titel: 'The Mamur Zapt and the Spoils of Egypt', Seiten: 190, Originalsprache
- München: Heyne, 2000, Seiten: 272, Übersetzt: Peter Pfaffinger
Geheimdienstler gegen Grabräuber
Im Ägypten des Jahres 1908 kommt der "Mamur Zapt" - ein hoher englischer Polizeioffizier - einer Bande skrupelloser Grabräuber auf die Spur, die wertvolle Antiquitäten aus dem Land schaffen und vor Mord nicht zurückscheuen, wenn man ihnen zu nahe kommt ... Der zweite Roman der lang laufenden Serie um den Geheimdienstmann Gareth Owen besticht nicht durch eine flotte Handlung, sondern durch die dichte Atmosphäre, die authentisches Zeitkolorit und Nostalgie mal mehr, mal weniger kunstvoll mischt und keinen hochspannenden, aber einen handwerklich soliden Historienkrimi für einem vergnüglichen Leseabend entstehen lässt.
Antiquitäten - betörend schön & tödlich
Kairo, die alte Metropole am Nil, ist im Jahre 1908 die Hauptstadt der autonomen osmanischen Provinz Ägypten. Doch das morgenländische Imperium - der "kranke Mann am Bosporus” - ist politisch zerrüttet und wirtschaftlich am Ende. In Ägypten mussten die Osmanen schon vor dreißig Jahren die Hilfe der Briten erbitten, um sich an der Macht zu halten. Die Briten kamen gern - und blieben. Seither ist der Zhedife - der einheimische ”Herrscher über Ägypten” - nur mehr eine Galionsfigur; die wahre Macht übt der Generalkonsul aus, der seine Anweisungen aus London erhält.
Die Ägypter hat niemand um ihre Meinung gefragt. Sie sind die Jahrhunderte währende Fremdherrschaft allerdings gewöhnt und haben sich in ihrer Mehrheit damit abgefunden. Nichtsdestotrotz gibt es eine nationalistische Untergrundbewegung, die von den Briten scharf im Auge behalten wird. Das ist die Aufgabe der Geheimpolizei, der in Kairo Captain Gareth Owen, der ”Mamur Zapt”, vorsteht. Offiziell sorgt er für die öffentliche Ordnung in der Stadt und verfolgt Verbrechen, die an Reisenden aus dem Ausland begangen werden.
In diesem Zusammenhang lernt Owen die junge und sehr energische amerikanische Kunstexpertin Enid Skinner kennen. Sie unternimmt eine Studienreise, möchte Land und Leute kennen lernen und versucht herauszufinden, wie viel die Briten in Ägypten tatsächlich zu sagen haben. Letzteres tut sie im halboffiziellen Auftrag ihres Onkels, der womöglich der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird. Unter diesen Voraussetzungen bemühen sich ihre britischen Gastgeber, Miss Skinner sehr zuvorkommend zu behandeln, obwohl diplomatische Zurückhaltung für sie ein Fremdwort ist.
Grabräuber mit Beziehungen
Gareth Owen wird von Miss Skinner sogleich in einen ihrer Kreuzzüge verwickelt. Sie macht sich stark für eine strenge Ausfuhrkontrolle für altägyptische Bodenaltertümer. Überall im Land graben ausländische Archäologen im Auftrag europäischer und amerikanischer Museen, Kunsthändler oder privater Sammler nach den Schätzen der Pharaonenzeit. Mit großer Selbstverständlichkeit werden sie anschließend außer Landes geschafft. Es gibt kaum ein Unrechtsbewusstsein, denn schließlich kommen die Kostbarkeiten in die kundigen Hände derer, die sie zu würdigen wissen. Auch die Ägypter haben nichts gegen diesen Kunst-”Handel” einzuwenden, denn er bringt Geld ins Land. Den Rahm schöpfen zwar neben dem Zhedifen die örtlichen Paschas und anderen aristokratischen Würdenträger ab, aber die ”normale” Bevölkerung findet immerhin sichere Arbeitsplätze auf den Grabungen und verdient mit Grabraub, Schmuggel und dem Verkauf von Fälschungen gut nebenbei.
Der Ausverkauf der ägyptischen Pharaonenschätze hat sich zu einem blühenden Geschäftszweig entwickelt. Deshalb verhallen die Protestrufe der wenigen Mahner, die diese Kleinodien im eigenen Land halten wollen, bisher ungehört. Sollte sich allerdings jemand finden, dessen Stimme Gewicht hat und sich im Ausland gegen die organisierten Plünderungen erhebt, könnte das lukrative Geschäft in Gefahr geraten. Hat aus diesem Grund jemand versucht, Miss Skinner vor einen Straßenbahnwagen zu stoßen? Als sie wenig später die Ausgrabungsstätte Deir al Bahari im Süden des Landes besucht, wird in einer alten Grabstätte ein weiterer Anschlag auf ihr Leben verübt. Captain Owen reist Miss Skinner nach. Er möchte die Gelegenheit nutzen, sich endlich einmal selbst ein Bild von der Grabungs- und Kunsthandelspraktiken zu machen - und stößt unverhofft in ein Wespennest ...
Kein Land aus 1001 Nacht
”Die Schätze des Pharao” ist das sechste (nicht der zweite, wie uns der Klappentext weismachen möchte) von mehr als einem Dutzend Abenteuern des ”Mamur Zapt” Gareth Owen im Ägypten der britischen Kolonialzeit.
Die buchstäblich farbenfrohe Kulisse des Orients ist es, die den Mamur-Zapt-Krimis ihre Originalität verleiht. Ägypten um die Jahrhundertwende ist ein hochinteressanter Schauplatz, der sich für einen Thriller geradezu anbietet, liefern sich hier doch gleich vier Staaten (Osmanisches Reich, Ägypten, England und Frankreich) einen stillen, aber hinter den Kulissen erbittert geführten Machtkampf um das strategisch wichtige Land als Einfallstor zum afrikanischen Kontinent.
Im vorliegenden Band rücken die politischen Querelen ein wenig in den Hintergrund. Pearce greift ein Thema auf, das den meisten Lesern so wahrscheinlich unbekannt ist. Wenn man heute durch die großen Museen für Altertumskunde in Europa streift und die riesigen Sammlungen exquisiter Kunstschätze aus Ägypten, dem antiken Griechenland oder Rom bestaunt, denkt man meist nicht weiter darüber nach, wie alle diese Kostbarkeiten an Orte gelangten, für die sie definitiv niemals bestimmt waren. Diese Häuser sind die eindrucksvollen Zeugen einer Ausgrabungspraxis, wie sie einst allerorts üblich war: Finanziere eine archäologische Grabung in einem fremden Land, zahle den Einheimischen ein wenig Kleingeld (du kannst es ja beschönigend ”Zoll” nennen) und lasse alles dorthin schaffen, wo du es zu sehen wünscht. Klar, dass hier dem Missbrauch buchstäblich Tür und Tor geöffnet wurden.
”Die Schätze des Pharao” spielt in einer Epoche, in der sich erster Protest gegen solchen systematischen Plünderungen zu formieren beginnt. Es muss bitter für Idealisten vom Schlage einer Miss Skinner gewesen sein feststellen zu müssen, dass sie sich in ihrem Bestreben, die Kunstschätze Ägyptens zu retten, nicht nur den Zorn der ausländischen ”Kunstfreunde”, sondern ebenso der Ägypter selbst zuzogen, für die sie besagte Schätze doch retten wollten. Nach Jahrhunderten der Fremd- und Misswirtschaft existierte in der breiten Bevölkerung einfach kein Bewusstsein für oder Stolz auf die eigene große und großartige Geschichte mehr. Erst das Ende der Kolonialzeit brachte hier einen Wandel.
Immer mit der Ruhe, denn es ist heiß
Aus der geschickten Umsetzung dieses Themas und den sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht "Die Schätze des Pharao” seinen Unterhaltungswert. Auch der Rückblick in die Geschichte der britischen "Schatten-Kolonie” Ägypten besticht durch das offensichtliche Wissen des Autors um Land und Leute; Michael Pearce (geboren 1933) kennt die späte Phase der afrikanisch-britischen Kolonialgeschichte noch aus seiner Jugend im ägyptischen Sudan, in den er nach einigen Jahren in England als Lehrer zurückkehrte.
Wohl aus diesem Grund ist Pearce die Figurenzeichnung ausgezeichnet gelungen. Was aus der "Mamur Zapt”-Serie hätte werden können, zeigen die in denselben Kulissen spielenden, überlangen, vor angelesenem Buchwissen raschelnden, peinlich "komischen” Abenteuer um die viktorianische Archäologin Amelia Peabody (schon der Name: ein platter Scherz), ihren Göttergatten und ihren unsäglichen Wundersohn Ramses, mit denen Elizabeth Peters seit Jahren die Freunde des historischen Kriminalromans traktiert.
Gareth Owen ist nicht der Tee trinkende, knarzige britische Offizier, der die "Wilden” väterlich Mores lehrt, sondern ein Mann, der selbst zu einer "Minderheit” in seiner alten Heimat zählt - er ist Walliser, was seinen Aufstieg in die höheren gesellschaftlichen Schichten und damit eine echte berufliche Karriere verbaut, ihn aber hellhörig macht für die Stimmen des "gemeinen Volkes”.
Weder Burnusteufel noch Schleierhexen
Auch die einheimischen Ägypter müssen sich nicht mit der Rolle des pittoresken, wahlweise treuherzigen oder schurkischen "Eingeborenen” bescheiden. Pearce erspart ihnen auch das Schicksal des "politisch korrekten” historischen Thrillers, der die Rolle des Bösewichts stets dem "Ausländer” überträgt, während die "edlen Wilden” sich als tragische Helden und Opfer darstellen lassen müssen. Doch Pearces Ägypter sind - egal ob armer Wasserhändler, frustrierter Regierungsbeamter oder feudaler Pascha - Menschen mit den üblichen Ecken und Kanten. Die Schwierigkeiten einer quasi mittelalterlichen Gesellschaft im beginnenden 20. Jahrhundert gehen nicht nur auf die koloniale Fremdherrschaft zurück, sondern sind durchaus "hausgemacht”. Pearce verdichtet dies geschickt in der schwierigen Beziehung Owens zur unkonventionellen Aristokratentochter Zeinab, die weder von den Vorgesetzten und Kollegen des einen noch von der Familie der anderen gern gesehen wird.
Dass Michael Pearce neben feinem Humor Sarkasmus keineswegs fremd ist, stellt das zwiespältige, aber sehr konsequente Finale seiner Geschichte unter Beweis. Glanzvoll kann Captain Owen die diversen Verbrechen des bis dato rätselhaften Falls aufklären und alle daran Beteiligten festsetzen - nur um sie sogleich wieder ziehen lassen zu müssen, da ihnen die riesigen Gesetzeslücken in Sachen Kunst-"Handel” besser bekannt sind als dem Mamur Zapt. Der Verzicht auf den im "klassischen” Krimi auch heute noch üblichen Sieg des "Guten” rundet das Bild eines nicht besonders tiefgründigen, aber in den Grenzen seines Genres stimmigen und immer unterhaltsamen Romans ab.
Michael Pearce, Heyne
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