Erbarmungslos
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2005
- 9
- New York: W. Morrow, 2001, Titel: 'Fury', Seiten: 323, Originalsprache
- München: Goldmann, 2005, Seiten: 384
- München: Goldmann, 2007, Seiten: 384
Ellroy meets Deaver?!
Man will es keinem Leser verübeln, wenn er bei Phrasen wie "brutaler Serienvergewaltiger", "Fall neu aufrollen" und "Wettlauf gegen die Zeit" die Hände überm Kopf zusammenschlägt und nur "nicht noch so ein Thriller!" denkt. Wenn die ersten Seiten dann auch noch dermaßen unelegant und uninspiriert wirken wie bei G.M. Fords Debüt "Erbarmlungslos" - wofür brauchen wir in einem Absatz schon vollständige Sätze mit Subjekt und Prädikat? - wieso sollte man weiterlesen? Weil der erste Eindruck nicht immer der richtige sein muss. Und dass ein Roman auch völlig anders wirken kann, wenn man als Leser nur anders an ihn herangeht.
Kurz zu den wenig innovativen Fakten: Es gab eine Reihe von brutalen Vergewaltigungen und Morden in Seattle. Dingfest will die Polizei dafür einen gewissen Walter Leroy Himes machen, eine arme, beschränkte Kreatur, die nun auf die Todesspritze wartet. Nun wendet sich die Hauptbelastungszeugin an einen gewissen Frank Corso, Star-Journalist mit Allüren und extrem kontaktscheu. Dieser wird von der "Seattle Sun" reaktiviert, nachdem er in einer früheren Story extremst daneben gegriffen hatte und aussortiert worden war. Der ziert sich, steht aber zu seinem Wort gegenüber der Verlegerin (ja, der Mann hat Moral und Gewissen!) und nimmt die Aussage der Zeugin auf, beginnt zu recherchieren, schnappt sich eine junge Fotografin als Kompagnon und siehe da - sitzt dieser Himes wirklich zu Unrecht im Knast? Soll er sogar unschuldig hingerichtet werden? Das, was Corso herausfindet spricht mehr als dafür, denn die Morde gehen weiter. Und das Seattle Police Department leugnet und leugnet.
Der Teufel steckt im Detail
Als Story mag das alles anfänglich nicht so recht überzeugen. Es gibt weitaus clevere Plots (wie die eines Jeffery Deavers), es gibt Autoren, die ihr Handwerk besser beherrschen. Aber der Teufel steckt im Detail - womit wir zu eingangs erwähnter Herangehensweise an einen Roman zurückkommen.
Die von G.M. Ford (was für ein Pseudonym(?), hätte die Übersetzerin doch nur Opel gehießen) konstruierte Story hat nämlich durchaus die ein oder brisante Fragestellung. Klar, es geht um die Todesstrafe. Interessant macht Ford sie allerdings erst dadurch, dass er den verurteilten Himes tatsächlich wie ein Monster zeichnet, dass die Taten - selbst wenn er sie begangen hätte - ganz und gar nicht bereut. Und als Leser ertappt man sich dabei, Himes vorzuverurteilen. Tatsächliche Schuld hin oder her. Ford macht klar: In jedem von uns herrscht eine Grauzone, eine Doppelmoral, die er in "Erbarmungslos" auszuloten versucht.
Anders als bei vielen anderen amerikanischen Thrillern gibt es bei Ford überhaupt kein Schwarz und Weiß, er taucht Seattle in eine tiefgraue Brühe, aus der weder die beiden Protagonisten noch die Opfer noch die Täter herausstechen. Corso ist ein Kotzbrocken, Kollegin Dougherty alles andere als ein weiblicher "American Dream", die Presse steht irgendwo zwischen Selbstauftrag und Auflage, Richter zwischen Gesetz und Golfplatz. Und siehe da: Plötzlich passt die Sprache auch. Wieso ausschmücken, was schlimm genug ist? Ja, G.M. Fords geht eher Richtung amerikanischer Noir der Hardboiled-Schule à la James Ellroy denn zu Massmarket-Thrillern eines Thomas Harris. Und der eigentliche Fall des "Trashmans", wie die Medien den Serial Killer taufen, gehört fast schon zu "ferner liefen"-
Noch nicht erbarmungslos genug
Dennoch: Seien wir vorsichtig, Ford in einem Atemzug mit Ellroy zu nennen. Dafür ist "Erbarmungslos" dann eben doch nicht erbarmungslos genug und das Anbändeln von Corso und Dougherty passt ebenso wenig wie die Mutation eines zurückgezogenen Journalisten zum Moralapostel.
G.M. Ford wird sich für eine Richtung entscheiden müssen: Wird aus seiner Corso-Reihe ein "Seattle-Noir" so wie Ellroys Romane für Los Angeles? Oder geht er unter als ein B-Autor, der zu viele Zutaten zusammengemischt hat, ohne etwas Mundendes zu kreieren?
"Erbarmungslos" ist insofern ein - so abgedroschen es klingt - vielversprechendes Debüt. Ford hat das Zeug dazu, mit einem Journalisten als Held eine sehr eigenständige, harte, ungemütliche Schiene des Thrillers für sich zu beanspruchen. Bis dahin ist es noch ein steiniger Weg, aber die ersten Schritte hat er hinter sich. Um Ford auf diesen zu folgen, sollte sich der Leser darauf gefasst machen, mit illusionslosen Wahrheiten vor den Kopf gestoßen zu werden. Wem dies gelingt, wird mit einem der bemerkenswertesten Thriller-Debüts der letzten Jahre belohnt.
G.M. Ford, Goldmann
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