Moldawisches Roulette
- dtv
- Erschienen: Januar 2004
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- München: dtv, 2004, Seiten: 277, Originalsprache
- Daun: TechniSat Digital, Radioropa Hörbuch, 2006, Seiten: 6, Übersetzt: Sabine Swoboda
In Chisinau fehlt Wein
Als am Ende des Romans "Moldawisches Roulette" Pia Ritter erschöpft und hungrig in der Mitte ihrer Freunde in einem jüdischen Restaurant feiert, blickt sie zurück auf ein erstes halbes Jahr in einem vergessenen Land, das in seiner Geschichte zu lange von seinen politischen Machthabern unterdrückt wurde. Moldawien ist das Armenhaus Europas und war eine der ersten Teilrepubliken der ehemaligen UdSSR, die während Glasnost und Perestroika ihre Unabhängigkeit erklärte. Elfi Hartenstein beschreibt in ihrem Debütroman nicht nur einen Staat in der Hand von Mafia und Korruption, sondern klagt zugleich die Weggucker-Mentalität der Moldawier an, die vor Verbrechen und Vetternwirtschaft ihre Augen offenbar nur zu gerne schließen.
Pia, Deutsch-Dozentin an der Uni von Chisinau, hat Probleme sich ihrem neuen Alltag anzupassen. Sie fährt lieber mit dem - für Durchschnitts-Moldawier - unbezahlbar teuren Taxi zu ihrem Arbeitsplatz und vermisst die vollen Regale der deutschen Supermärkte. Fremd ist ihr jedoch auch das Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip, das hier im Alltag mehr zählt als irgendein Gesetz. Tu was für mich und ich werde was für dich tun.
Hundert auf Rot, hundert auf Schwarz
In einem Casino beobachtet sie einen Mann, der offenbar am Roulette-Tisch Geld wäscht. Allerdings wird sie selbst bei ihren Beobachtungen entdeckt von einem Mann, den sie wenige Tage zuvor auf einer Führung durch die staatlichen Weinkellereien getroffen hatte: Ion Rusnac. Als Pia sich mit einem Reporter nochmals die Keller ansehen will, kümmert sich dieser Mann persönlich um die beiden. Dabei zieht er Pia beiseite, weil er sie um einen "Gefallen" bitten will, scheitert jedoch an ihrer Unbestechlichkeit. Kurz darauf meldet das staatliche Fernsehen den Diebstahl wertvoller Weinflaschen aus dem Museum der staatlichen Weinkellerei.
Pia berichtet ihrem Freund Wolf in Deutschland von den Geschehnissen und der kennt zufällig einen Steuerberater, der für eine große deutsche Winzergenossenschaft arbeitet, von der Rusnac erstaunlich hohe Summen Bargeld erhalten hat. Gefahr türmt sich auf für die junge Dozentin, denn ihr Ansprechpartner im Bildungsministerium soll urplötzlich eine Stellungnahme zu ihr und ihrem Besuch in den Weinkellern abgeben. Eine andere Kollegin will plump Informationen aus ihr heraus quetschen und schließlich explodieren Bomben und fallen Schüsse.
Den Krimiplot originell oder innovativ zu nennen, wäre eine gewagte These. Es ist solides Handwerk, was Elfi Hartenstein ihren Lesern serviert, überzeugend und flüssig geschrieben. Das sich Schwarzgeld (ob es wirklich welches ist, sei mal dahin gestellt) vorzüglich in Spielcasinos waschen lässt, ist lange schon kein Geheimnis mehr. Unterschlagung, Korruption und Vetternwirtschaft bilden dazu einen gelungenen Hintergrund, um die Geschichte rund zu machen. Auch Nervenkitzel ist vorhanden; wer jedoch plötzliche Wendungen und ein auf ganzer Linie überraschendes Ende erwartet, ist bei diesem Roman falsch.
In Moldawien ist´s kalt
Eher findet man hier eine Studie der Gesellschaft in einem ehemaligen GUS-Staat, der nach der Unabhängigkeitserklärung die typischen Probleme mit der gewonnenen Eigenständigkeit hat. Hartenstein schildert die Probleme des Alltags: die nicht funktionierende Heizung im bitterkalten Herbst, die Freude über warmes Wasser aus der Leitung, aber auch die vielfach willkürlichen Polizeikontrollen, bei denen versucht wird, von ihr als vermeintlich reicher Ausländerin Geld abzuzocken. Gleichzeitig ist es wohl eine Aufarbeitung eigener Erfahrungen der Autorin, für die die Protagonistin wohl als Alter Ego herhalten darf, und beschreibt die Probleme, sich in einem fremden Land anzupassen und sich in fremder Kultur zurecht zu finden. Pia bleibt fremd und baut nicht zuletzt darauf ihre Gesellschaftskritik auf, die letztendlich wirkungslos verhallt. Sie beobachtet Missstände und verurteilt sie nach ihren deutschen Maßstäben, anstatt zu versuchen, die Ursachen zu verstehen.
Am Ende bleibt Resignation: Pia mag sich im Kreis einiger Moldawier, die aufrechte und ehrliche Charaktere sind, wohl fühlen und sie alle mögen dafür gesorgt haben, dass ein Ganove gefasst wurde. Aber das bleibt nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Eine ganze Gesellschaft, die vor Ungerechtigkeiten und Vorteilsnahme die Augen schließt, kann von keinem couragierten Einzelkämpfer geändert werden. Auch nicht mit einem nett zu lesenden Roman, der in einem fernen Land wie Deutschland erscheint. Der Winter in Moldawien ist kalt und das wird er auch bleiben.
Elfi Hartenstein, dtv
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