Schwarzes Echo
- Kampa
- Erschienen: Januar 1994
- 12
- Boston: Little, Brown and Co, 1992, Titel: 'The black echo', Seiten: 375, Originalsprache
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1994, Seiten: 496, Übersetzt: Björn Ingwersen
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1995, Seiten: 495
- München: Ullstein, 2000, Seiten: 511
- München: Heyne, 2002, Seiten: 511
- Zürich: Kampa Verlag 2021
Die Tunnelratten von Los Angeles
Der Lake Hollywood ist das Trinkwasserreservoir für die Großstadt Los Angeles. Die Hügel der Umgebung sind durchzogen von Zu- und Ableitungsrohren, die den Obdachlosen und Fixern der Umgebung einen willkommenen Unterschlupf bieten. Dass es hier Tote gibt, ist ein Ärgernis, an das sich die Polizei gewöhnt hat.
Als dieses Mal anonym eine Leiche am Damm gemeldet wird, hat Hieronymus „Harry“ Bosch Bereitschaftsdienst. Er ist ein Vollblut-Kriminalist und auch nach vielen Polizeijahren nicht in Routine erstarrt. Bosch erkennt den Toten: William Meadows war vor zwanzig Jahren mit ihm Soldat in Vietnam, wo sie Seite an Seite den Vietkong im Gewirr jener Gänge bekämpften, die dieser tief unter der Erdoberfläche angelegt hatte. Der mörderische Kampf in der Finsternis ließ eine verschworene Gemeinschaft entstehen ließ: die „Tunnelratten“.
Meadows gehörte zu den Veteranen, deren Psyche in Vietnam Schaden nahm. Lange Jahre war er rauschgiftsüchtig, doch die Indizien, die jetzt auf eine Überdosis hindeuten, wurden manipuliert. Die Ermittlungen ergeben weiter, dass Meadows in einen spektakulären Bankeinbruch verwickelt war, der Los Angeles im Vorjahr in Atem hielt und bei dem die Täter mit einer Riesenbeute unerkannt entkommen waren.
Diesen Fall will Harry Bosch übernehmen. Er bohrt weiter und tiefer. Der Tod von William Meadows erweist sich als Spitze eines Eisberges, dessen Basis ein groß angelegtes Komplott aus Erpressung und Korruption bildet. Prominente Politiker, einflussreiche Geschäftsleute und Polizisten sind gleichermaßen darin verwickelt. Als Bosch ihnen auf die Spur kommt, setzen seine Gegner alles daran, den lästigen Spielverderber aus dem Weg zu räumen ...
Adrenalin-Junkie als Ordnungshüter
Ein Romandebüt ist eine spannende Sache: Wie gut gelingt es dem frisch gebackenen Schriftsteller, Unerfahrenheit durch Intensität wettzumachen? Ein Erstling ist meist das Ergebnis ausgiebigen Recherchierens und langwierigen Schreibens, und manchmal merkt man dem Ergebnis das auch an.
Schwarzes Echo gehört nicht in diese Debütkategorie. Es mag daran liegen, dass hier zwar jemand seinen ersten Roman schrieb, andererseits jedoch mit der Feder längst umzugehen wusste: Michael Connelly studierte Journalismus, belegte Kurse in „Kreativem Schreiben“ und arbeitete als Kriminalreporter in Los Angeles. Auf diese Weise lernte Connelly nicht nur das Schriftstellerhandwerk, sondern auch das Polizeimilieu und Verbrecherszene seiner neuen Heimatstadt kennen. Ein halbes Jahrzehnt (= 1992) später war es soweit: Harry Bosch betrat die literarische Szene, und er tat es mit einem Paukenschlag!
Der traumatisierte, halbwegs geläuterte, halbwegs gemeingefährliche Vietnam-Veteranen, der (zu) viel für sein Land - gemeint ist stets die USA - durchgemacht hat, wurde durch schlechte Romane und miserable Filme zum ziemlich lächerlichen Klischee. Zwar müht sich Connelly redlich und durchaus mit Erfolg, der Figur neues Leben einzuhauchen, aber es kommt nicht von ungefähr, dass Bosch‘ Vietnam-Zeit in den weiteren Bänden der Serie unauffällig in den Hintergrund rückt. (Erst 2009 kehrte er in Nine Dragons, dt. Neun Drachen, nach Asien zurück, wo er sich u. a. seiner Vergangenheit stellen musste.
Kampflust in einer Welt ohne Ideale
Auch für Bosch ist der Vietnamkrieg irgendwie nie zu Ende gegangen, was sich in seinem unkonventionellen Dienstverhalten widerspiegelt. Sein kriminalistisches Talent geht mit einem praxisorientierten Ignorieren der Vorschriften einher, das Vorgesetzte gar nicht gern sehen. Mit Druck wird eine ehemalige „Tunnelratte“ allerdings spielend fertig. (Der Titel Schwarzes Echo ist angeblich dem Militär-Slang der „Tunnelratten“ entnommen und spielt auf die echten oder eingebildeten Sinneseindrücke der Tunnelkämpfer in der Dunkelheit an.) Unter Stress und Lebensgefahr blüht Bosch eher auf, was seine Gegner überrascht: Sie setzen auf Hinterlist, während Bosch direkt auf sie zustürmt!
Die Jahre in Vietnam reihen sich nahtlos in eine Außenseiter-‚Karriere‘ ein, die eine höchst komplexe Persönlichkeit entstehen ließ. Sie unterscheidet sich angenehm von den üblichen „Guter-Cop-sieht-rot“-Knallchargen, die viel zu oft das Genre bevölkern. Wenn Harry Bosch wieder einmal bei Polizei, Politik oder Presse aneckt, dann wirkt er auch deshalb so überzeugend, weil Michael Connelly seine langjährige journalistische Erfahrung einfließen lässt. Das Ambiente ‚stimmt‘, wenn der Verfasser das komplizierte Gefüge unterschiedlicher Polizei- und Justizbehörden beschreibt, die eigentlich an einem Strang ziehen sollen aber nicht können, weil praktisch jeder sein eigenes Süppchen kocht.
Meisterhaft stellt Connelly dabei besonders die schleichenden Übergänge zwischen Ehrgeiz, allmählichem Werteverfall und offener Korruption dar. Ein ehrlicher Cop ist faktisch rettungslos verloren in dieser Schlangengrube, doch den gibt es ohnehin nicht (mehr) in Connellys Welt. Harry Bosch ist keine Ausnahme: Er muss zwar viel einstecken, weiß sich aber stets zu revanchieren. Dabei jongliert Connelly geschickt mit der Ambivalenz seiner Figur. Hat Bosch gewusst, dass der verdächtige Frauenmörder unbewaffnet war, als er ihn allein aufsuchte, um ihn auszuschalten, ohne auf Verstärkung zu warten? Die Frage bleibt unbeantwortet, aber die Antwort könnte durchaus „Ja!“ lauten.
Das Bosch-Universum
Nicht nur die Chronologie der Bosch-Romane ist wesentlich dichter als in anderen Thriller-Serien mit wiederkehrenden Helden. Von den meisten Figuren, die wir in Schwarzes Echo kennenlernen, werden wir später wieder lesen. Auch Nebenstränge der Handlung greift Connelly gern erneut auf; der gar nicht tote „Dollmaker“ wird Bosch beispielsweise in The Concrete Blond (1994; dt. Die Frau im Beton noch zu schaffen machen.
Im Laufe der Jahre hat Connelly ein eigenes Universum geschaffen, in dem seine unterschiedlichen Figuren orts- und zeitgleich nebeneinander ‚leben‘ und sich über den Weg laufen können. In The Narrows (2004; dt. Die Rückkehr des Poeten) untersucht Harry Bosch beispielsweise den Tod des FBI-Profilers Terry McCaleb, der 1998 in Blood Work (dt. Das zweite Herz) einen eigenen Fall geklärt hatte. Der „Poet“ genannte Serienkiller hatte seinen ersten Auftritt wiederum im Roman The Poet (1996; dt. Der Poet), der gleichzeitig den ersten Auftritt des Journalisten Jack McEvoy markierte. Mickey Haller, ein ebenso wendiger wie windiger Anwalt, den Connelly seit 2005 als Serienfigur einsetzt, muss gar entdecken, dass Harry Bosch sein Halbbruder ist, und seit 2018 ermittelt er auch zusammen mit Detective Renée Ballard.
Solche „Crossovers“ sind bei den Fans beliebt und sorgen dafür, dass sie stärker an das Gesamtwerk binden. Notwendig sind solche Verbindungen aber nicht. Harry Bosch wirkt besonders überzeugend, wenn er wieder einmal allein auf weiter Flur steht: Statt Trübsal zu blasen oder nachzugeben, bläst er zur trickreichen Gegenattacke. Diese Widerstandswille sowie die authentisch wiedergegebenen „police procedurals“ haben Harry Bosch die Jahre gut und unterhaltsam überstehen lassen, auch wenn die Wucht der deutlich kantigeren Persönlichkeit, die Connelly uns in Schwarzes Echo vorstellt, nur noch eine Erinnerung ist.
Fazit:
Der erste Harry-Bosch-Roman zeigt einen noch beinahe manischen Vietnam-Veteranen, der den Krieg im Zivilisations-Dschungel fortsetzt: Wie meist ist auch der Auftakt dieser Serie den späteren Bänden eindrucksvoll überlegen.
Michael Connelly, Kampa
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