Das Souvenir des Mörders
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2005
- 24
- London: Orion, 1997, Titel: 'Black and Blue', Originalsprache
- München: Goldmann, 2005, Seiten: 448, Übersetzt: Giovanni Bandini
- New York: St. Martin, 1999, Originalsprache
- Köln: Random House Audio, 2006, Titel: ' ', Seiten: 6, Übersetzt: Gerd Köster
Rankin spinnt ein spannendes und höchst komplexes Garn
Gleich vierfach hat das Schicksal - das es nach Ansicht der Schotten ohnehin auf sie ganz besonders absieht - Detective Inspector John Rebus dieses Mal geschlagen. Da ist zunächst seine Strafversetzung vom "heimatlichen" Revier St. Leonard's nach Craigmillar, das verrufendste Polizeirevier von Edinburgh, das die hier tätigen Beamten "Fort Apache, Bronx" nennen. Zu vielen hochgestellten Persönlichkeiten ist er auf die Zehen getreten, so dass er nun hier Dienst schieben muss, wo die Kollegen ihn, den Paria, weitgehend meiden.
Außerdem jagt ihn die Presse. Ein alter Fall von 1977 wurde von den Medien aufgegriffen. Damals hatten Detective Inspector Lawson Geddes und sein junger Untergebener John Rebus einen gewissen Leonard Spaven als Mörder überführt. Im Gefängnis war dieser zu einem berühmten Schriftsteller avanciert. Später brachte er sich um, nachdem er stets seine Unschuld beteuert und geklagt hatte, die Polizei habe ihn in eine Falle gelockt. Dies könnte zutreffen, wie Rebus sich unbehaglich eingestehen muss. Geddes hatte Spaven um jeden Preis als Mörder stellen wollen. Jetzt hat sein ehemaliger Vorgesetzter Selbstmord begangen: ein Schuldeingeständnis? Rebus soll vor der Kamera Stellung nehmen, was er nicht zu tun gedenkt, bis er Genaues weiß. Er nötigt seinen Kollegen Detective Sergeant Brian Holmes den Spaven-Fall noch einmal heimlich aufzurollen und zu überprüfen. Dies geschieht im Wettlauf mit der eigenen Behörde, die selbst nachprüfen lässt, ob damals fehlerhaft gearbeitet wurde.
Die Nachforschungen führen Rebus in den Nordosten Schottlands
Dann ist da ein aktueller Mord: Ein Erdölarbeiter ist gefesselt aus einem hoch gelegenen Fenster gestürzt. Die Spuren deuten auf die Täterschaft von Andrew Kane, genannt "Tony El", hin. Der sadistische Schläger war bisher für Joseph "Uncle Joe" Toal, einen gefürchteten Gangsterboss in Glasgow, tätig. Die Polizei wird hellhörig: Plant dieser etwa seine "Geschäfte" nach Edinburgh auszuweiten? Toal behauptet Tony El längst nicht mehr zu beschäftigen. Angeblich hält sich der neuerdings in Aberdeen auf. Diese schottische Stadt ist erfreulich weit entfernt von Edinburgh und Ancram. Deshalb beschließt Rebus seine Nachforschungen in den schottischen Nordosten zu verlegen.
Das lässt ihm außerdem die Muße sich mit einem anderen Fall beschäftigen. Seit einiger Zeit treibt "Johnny Bible" sein Unwesen in Schottland - ein Serienmörder, der gern die Bibel zitiert, Frauen auflauert, sie vergewaltigt und erdrosselt. Merkwürdig ist, dass es Ende der 1960er Jahre schon einmal einen Mehrfachkiller gab, der drei Opfer in Glasgow nach identischem Muster umbrachte. Die Presse nannte ihn damals "Bible John". Ist er es, der wieder aktiv geworden ist? Hat er einen Nachfolger gefunden?
So ist es in der Tat - und der "echte" Bible John" zeigt sich höchst empört über den "Parvenü", der es wagt ihn nachzuahmen. Narzistisch und so gefährlich wie einst beschließt er Johnny Bible zu finden und umzubringen, denn er fürchtet, dessen Aktivitäten könnte die Polizei nach vielen Jahren auch auf seine Spur bringen. Rebus könnte ihm womöglich auf die Spur kommen, so dass Bible John überlegt, diesen vorsichtshalber auszuschalten ...
Willkommen in der globali-kriminalisierten Gegenwart!
Mit "Das Souvenir des Mörders" stößt Ian Rankin mit seiner Rebus-Saga endgültig in eine neue Dimension vor. Auch die ersten sieben Romane der Serie ließen es an einer ausgefeilten Handlung nie fehlen. Sie beschränkten sich indes recht klassisch auf einen zentralen Kriminalfall, den es zu lösen galt. Nunmehr erweitert sich das Blickfeld. Rebus wird zum Wanderer in einer Welt, die für das Verbrechen grenzenlos geworden ist. Politik und Großkonzerne mauscheln mit nationalen und internationalen Banden, die Presse lässt sich als Handlanger der korrupten Eliten instrumentalisieren, nicht einmal die verschiedenen Ordnungsmächte sind vor Korruption und Misswirtschaft gefeit. Es ist eine neue, globalisierte, schmutzige Welt, in die Rebus jetzt gerät. Kein Wunder, dass er nun die doppelte Seitenzahl benötigt um wenigstens in Teilbereichen Gerechtigkeit walten zu lassen. Mit mehr als 600 Seiten stellt "Das Souvenir des Mörders" auch in dieser Beziehung einen Quantensprung dar.
Fragt sich indes, ob dies unbedingt von Vorteil ist. Rankin hat sich Luft geschaffen und seinen Helden aus dem Alltagstrott gerissen, was der Serie zweifellos neues Leben einhaucht. Indes nimmt er sich manchmal ein bisschen zu viel auf einmal vor. Im Grunde sind es drei Kriminalfälle, derer sich Rebus annehmen muss. Um dies nicht gar zu deutlich werden zu lassen, schafft Rankin einige Querverbindungen, die logisch nur bedingt nachvollziehbar sind.
Das soll nicht heißen, dass es kein Vergnügen bereitet den aktuellen Rebus-Kapriolen zu folgen. Immer neue, überraschende Wendungen weiß der Verfasser seiner Geschichte zu geben. Zu geschickt weiß er reales Tagesgeschehen mit seiner fiktiven Edinburgh-Chronik zu verquicken, deren Kontinuität zudem gewahrt bleibt. Rankin lässt uns wissen, was aus Figuren geworden ist, die wir in früheren Bänden kennen gelernt haben. Die Welt ist zwar groß, aber sie ist zumindest in Edinburgh ein Dorf geblieben. Man läuft sich immer wieder über den Weg. Dieses "Pflegen" älterer Handlungsstränge trägt zur Vertrautheit der Serie viel bei. Dazu kommt wieder viel sarkastischer Humor, der sich vor allem über die Medien, den Polizeialltag und Rebus' Kollegen ergießt. Schotten mögen von düsterem Gemüt sein, aber sie können sich wenigstens über sich & ihr Elend lustig machen!
Der Kriminalist als Stehaufmännchen
Würde man ihn nicht längst besser kennen, konnte man auf den Gedanken kommen, John Rebus leide unter dem "Wallander-Syndrom", das die Betroffenen zum depressiven Suhlen im Schlamm einer notorisch schlechten Welt zwingt. Aber Rebus ist nur angezählt und noch längst nicht am Boden. Dazu ist er viel zu eigensinnig. Die Vorgesetzten züchtigen, die Stadtprominenz hasst, die Presse piesackt ihn? Rebus, der es weder anders erwartet noch wirklich will, blüht förmlich auf, flüchtet in die Arbeit und läuft erneut zur kriminalistischen Hochform auf. Die langen Jahre der meist trüben Polizeiroutine haben ihn nicht ausbrennen lassen wie DS Holmes. Rebus hat sich in einen "Frontermittler" verwandelt, der das Recht nicht beugt aber in seinem Sinne auslegt. Dabei legt er sehr viel Initiative und Kreativität an den Tag. So bereitet es ihm keine Schwierigkeiten, den Gangster "Big Ger" Cafferty, seine alte, endlich gefangen gesetzte Nemesis, als Instrument einzusetzen, das ihm den Weg zu "Uncle Joe" Toal ebnet.
Privat sieht es für den Kettenraucher, Trinker und Einsiedler Rebus dieses Mal besonders düster aus. Im Kern ist er jedoch unbeschädigt, denn er findet die Kraft, einen persönlichen Fehler aus seiner Vergangenheit aufzuarbeiten: Den Fall Spaven wirklich zu klären ist Rebus ein inneres Bedürfnis. Hinzu tritt die - von Ian Rankin gern und nur halb im Scherz ins Spiel gebrachte - schottische Melancholie, welche - gepaart mit einem calvinistischen Hang zur Selbstgeißelung - ein integrales Element des Rebusschen Wesens ist. Letzteres zielt vor allem sein Liebesleben, das Rebus selbst zerstörerisch wie selten zuvor in ein Minenfeld verwandelt.
Realer Mörder im Rebus-Kosmos
Rebus' eigentlicher Gegner ist "Das Souvenir des Mörders" "Bible John". Rankin wagt hier ein Risiko: Er macht eine authentische Person zur Figur einer fiktiven Geschichte. Tatsächlich hat der echte Bible John zwischen Februar 1968 und Oktober 1969 drei Frauen getötet; seine Identität ist bis heute unbekannt. Akkurat bezieht Rankin die wenigen bekannten Fakten in seine Story ein. "Sein" Bible John ist gleichzeitig der Versuch ein Täterprofil zu erstellen bzw. das Profil, das von kriminalistischen Fachleuten erstellt wurde, zum Leben zu erwecken. Es gelingt Rankin mit erschreckender Prägnanz, den Serienkiller als "funktionierendes", als Alltagsmensch "getarntes", aber tatsächlich absolut amoralisches Wesen darzustellen. Bible John akzeptiert ausschließlich sich als Mensch. Um ihn herum bewegen sich ansonsten nur ihm unterlegene Kreaturen, die zur Befriedigung seiner Bedürfnisse ausnutzt oder umbringt. Deshalb ist er so wütend auf "Johnny Bible": Dieser gefährdet seine Sicherheit, imitiert ihn und missachtet damit offen seine Stellung an der Spitze der Nahrungskette. Das erträgt John nicht, es treibt ihn sogar aus seiner perfekten Deckung - letztlich unterliegt er doch seinen Zwängen, was er sich nie eingestehen würde.
So ist "Das Souvenir des Mörders" nicht nur vom Umgang her ein "großer" Roman. Den ohnehin fabelhaft schreibenden Ian Rankin hat endgültig der Ehrgeiz gepackt. Auch wenn es manchmal ein wenig anstrengend ist seinen gewagten Volten zu folgen, lohnt sich der Aufwand - mehr denn je!
Ian Rankin, Goldmann
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