Wendekreis der Nacht

  • Zsolnay
  • Erschienen: Januar 2004
  • 2
  • New York: HarperCollins, 2003, Titel: 'Tropic of Night', Seiten: 419, Originalsprache
  • Wien: Zsolnay, 2004, Seiten: 526, Übersetzt: Silvia Morawetz
  • München: dtv, 2006, Seiten: 519
Wendekreis der Nacht
Wendekreis der Nacht
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Peter Kümmel
68°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2004

Der Name Jane Doe ist jedem Kenner von amerikanischen Krimis bekannt. Denn so werden die weiblichen, nicht identifizierten Leichen genannt. So heißt aber auch die Erzählerin aus Michael Grubers Debütroman "Wendekreis der Nacht". Zumindest hieß sie früher mal so. Doch warum sie sich jetzt Dolores Tuoey nennt, das erfährt der Leser erst später.

Kapitelweise bekommt man abwechselnd drei verschiedene Handlungsstränge vorgelegt. Es beginnt mit eben jener Dolores, die gleich zu Beginn verkündet, dass sie eine Frau umgebracht hat. Doch der Eindruck, der zunächst suggeriert werden soll, wird sehr schnell revidiert. Es handelte sich dabei um einen Unfall, als Dolores eine Mutter daran zu hindern versuchte, ihre 4-jährige Tochter zu mißhandeln. Das Mädchen, Luz, hat Dolores dann mitgenommen und gibt sie mittels gefälschter Papiere als ihre eigene Tochter aus.

Warum und vor wem Dolores sich aber versteckt, das ergibt sich nach und nach aus dem zweiten Handlungsstrang. Dieser besteht aus dem Abdruck des Tagebuches der ehemaligen Anthropologin Jane Doe und beginnt damit, dass Jane zusammen mit ihrem Mann eine längere Reise nach Westafrika unternimmt. Bei dem Stamm der Olo in Mali lernt sie, dass außer unserer realen Welt auch eine unsichtbare Welt, eine Welt der Geister, der Dämonen und des Zaubers existiert und erfährt Dinge, die über ihren Verstand hinausgehen.

Völlig unabhängig davon ist lange Zeit Handlungsstrang Nummer 3: der dunkelhäutige kubanische Polizist Jimmy Paz ermittelt zusammen mit seinem sehr gläubigen Kollegen Cletis Barlow in einem besonders grausamen Mordfall. Eine schwangere Frau wurde getötet. Ihr wurde der Bauch aufgeschnitten und der Fötus entnommen. Dem Fötus wurde das Gehirn entfernt. Handelt es sich dabei um einen Ritualmord? Wichtigstes Indiz ist eine Nußschale, die Hinweise auf afrikanische Zeremonien gibt.

Jimmy Paz und sein Kollege tappen im Dunklen, doch Dolores weiß, dass nur ihr Mann für diese Morde verantwortlich sein kann. Und sie weiß auch, dass ihn aufgrund seiner magischen Fähigkeiten keiner aufhalten kann.

Mit Michael Gruber betritt ein Newcomer die Bühne des unausgesprochenen Wettstreits, den perversesten Serienmörder zu erfinden. Um noch mehr böse Macht zu erlangen, muß der Magier also schwangere Frauen töten und Teile des Gehirns ihrer Föten essen. Damit sollte ein Hannibal Lector schon mal mühelos übertroffen sein und Mo Hayders Vogelmann gar keine echte Konkurrenz sein.

Wie eine Mischung aus Krimi und Sachbuch erscheint Grubers Debütroman, doch weist er bereits in der Einleitung darauf hin. daß es sich um einen Roman handelt, dem einige Geschichten von Zauberei zugrunde liegen, wobei er selbst nicht weiß, wieviel davon "wahr" ist. Zumindest ein originelles und in der Kriminalliteratur ziemlich einzigartiges Thema hat der Autor gewählt. Die Schilderungen der Bräuche des afrikanischen Volkes machen teilweise großen Eindruck, auch wenn man sich dabei immer vor Augen halten sollte, dass es sich hier keineswegs um ein Sachbuch handelt.

Der Kontrast zwischen den beiden Schauplätzen des Buches könnte kaum größer sein. Auf der einen Seite der Trubel der Großstadt in Miami, auf der anderen Seite ein Naturvolk im tiefsten Afrika, das mit der uns bekannten Zivilisation nicht viel zu tun hat. Dazwischen die Protagonistin, die mit beiden Welten in Berührung gekommen ist und nun ihre Probleme hat, mit dem erlebten klarzukommen. Dies macht den Reiz des Buches aus.

Selten gibt es noch grundlegend neue Rätsel in der Kriminalliteratur, doch wie lässt sich ein Verbrecher ergreifen, der seinen Häschern mittels Drogen oder psychischer Mittel Halluzinationen vorgaukelt? Einen Mörder, der sich einfach dadurch Alibis verschaffen kann, dass er seine Anwesenheit an Orten vortäuscht, an denen er sich niemals befindet? Mag sein, dass ich zuviel verrate, doch die Auflösung ist ziemlich plump und erinnert mich an die berühmte Szene aus "Indiana Jones", in der Indy einen mit viel Brimborium schwerterschwingenden Typen lässig abknallt.

Gruber stattet seine interessanten Charaktere mit viel Tiefgang aus. Man spürt förmlich die Verschlossenheit von Jane und ihre Ängste und wie sie sich erst wieder langsam für ihre Umwelt öffnet. Und er sorgt für einen Spannungsaufbau wie aus dem Lehrbuch. Leider verliert er sich jedoch mit fortschreitender Handlung mehr und mehr in Nebensächlichkeiten, so daß die Spannung zunehmend verloren geht, erst recht, als der Täter ziemlich schnell bekannt ist. Als gegen Ende hin die Zauberei immer mehr in der Vordergrund tritt, wird das Geschehen immer verworrener.

Grubers Debütroman weist viele Stärken aber ebenso viele Schwächen auf. Gute Ansätze und Ideen lösen sich wie in der beschriebenen Geisterwelt auf. Besinnt sich Gruber bei der Fortsetzung der Jimmy Paz-Reihe auf seine Stärken, so könnte er damit noch Erfolge verbuchen.

Wendekreis der Nacht

Michael Gruber, Zsolnay

Wendekreis der Nacht

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