Thunderhead
- Droemer
- Erschienen: Januar 2001
- 26
- New York: Warner, 1999, Titel: 'Thunderhead', Seiten: 483, Originalsprache
- München: Droemer, 2001, Seiten: 559, Übersetzt: Thomas A. Merk
- München: Droemer Knaur, 2002, Seiten: 559
- Bergisch Gladbach: Lübbe Audio, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: Thomas Piper
Nur ein <i>Relikt</i> einstiger Größe ...
16 Jahre ist es her, dass der Träumer und Glücksritter Padraic Kelly auf einer seiner vielen Streifzüge durch die kaum erforschte Wildnis des US-Staates Utah verschollen ist. Da erhält Nora, seine Tochter, plötzlich einen Brief, den Kelly kurz vor seinem Verschwinden niederschrieb und der erst jetzt abgeschickt wurde. In diesem Schreiben wird eine Sensation angedeutet: Kelly glaubte, den Weg ins sagenhafte Quivira gefunden zu haben - in die verborgene heilige Stadt der Anasazi-Indianer, die einst den Südwesten Nordamerikas beherrschten. Unerhörte archäologische Schätze warten in Quivira auf den Entdecker, wenn man die Stätte denn orten könnte.
Ganz verloren ist das Wissen um Quivira wohl allerdings, wie Nora erkennt, als vermummte, wie wilde Tiere verkleidete Gestalten sie überfallen und von ihr die Herausgabe des Briefes fordern. Aber Nora lässt sich nicht abschrecken. Als Assistenzprofessorin am renommierten "Santa Fe Archaeological Institute" versteht sie es, den halb vergessenen Relikten der Geschichte nachzuspüren. Hinzu kommt, dass sie den Verlust des Vaters nie verwunden hat. Nun sieht sie ihre Chance, ihn zu rehabilitieren - und mehr noch: ihn zu finden!
Es gilt, noch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, bevor sich tatsächlich eine kleine Expedition im Auftrag des Instituts auf den Weg in das öde, von tiefen Schluchten zerklüftete Bergland von Utah aufmachen kann. Die Spur von Padraic Kelly ist schwach, die Reise nicht nur beschwerlich, sondern lebensgefährlich, denn das Gelände ist tückisch und unübersichtlich. Die Mitglieder der Reisegesellschaft sind nicht nur in ihrer Mehrzahl Wissenschaftler, die wenig Erfahrung haben im Reiten, Bergsteigen oder dem Durchqueren reißender Flüsse - sie sind auch sehr eigenwillige Menschen, die es nicht gewohnt sind, sich der Disziplin einer Expedition unterzuordnen. Spannungen treten auf und drohen die Gruppe immer wieder zu spalten.
Aber alle Schwierigkeiten verblassen bald angesichts der Erkenntnis, dass die Reisenden nicht allein in dem Gewirr unübersichtlicher Canyons und Klippen unterwegs sind. Jemand will ganz offensichtlich nicht, dass Quivera gefunden wird, und schreckt dabei nicht vor Gewalttaten zurück, die so bizarr sind, dass man sie einem Menschen kaum zutrauen mag. Die Forschungsreisenden erfahren schließlich, wieso das Ziel ihrer Reise "Quivira" - "Haus der blutigen Felswände" - genannt wird, aber es ist fraglich, ob sie diese Erkenntnis nicht gar zu teuer bezahlen müssen ...
Mysteriöse Kulturen in halb versunkener Vergangenheit! Rätselhafte Hinweise auf sagenumwobene Stätten in unzugänglichen Regionen! Schauerliche Flüche und grimmige Wächter über unermesslichen Schätzen! Unerschrockene Forscher, High-Tech-Equipment und digitale Hexerei im Rachen der Wildnis! Na, bringen diese wenigen Sätzen nicht das Blut jeder Leserin, jedes Lesers in Wallung? Das sollten sie auch, denn sie signalisieren schon seit ewigen Zeiten spannende Unterhaltung par excellence. (H. R. Haggards "König Salomons Schatzkammer"! J. Vernes "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde"! A. C. Doyles "Die vergessene Welt"!) Sie beschreiben allerdings auch eine bodenlose Kiste fauler Tricks, mit denen das Publikum gebannt und gefesselt werden soll, bis es am Ende der Vorstellung erkennt, im Grunde betrogen worden zu sein.
"Thunderhead" bringt das Gute wie das Schlechte des modernen Abenteuerromans geradezu exemplarisch ans Licht. Die Geschichte von der Expedition, die einem geheimnisumwitterten Indianerstamm hinterher forscht, ist zwar uralt, funktioniert aber zunächst prächtig. Auch die Ausgangsidee ist gelungen; die Anasazi und ihre höchst fremdartige Kultur bieten breiten Raum für farbenfrohe Spekulationen. Preston und Child haben sich außerdem tüchtig ins Zeug gelegt und Geographie wie Geschichte ihres Handlungsortes gleichermaßen sorgfältig recherchiert. So bleibt die Reise ins Unbekannte jederzeit glaubhaft.
Wenn man das nur von der Figurenzeichnung ebenfalls behaupten könnte ... Hier tritt zum ersten Mal zu Tage, was "Thunderhead" eigentlich ist: nicht "nur" ein Roman, sondern die Vorlage für das Drehbuch des gleichnamigen Films. Sämtliche Rollen - so kann man sie wohl ohne weiteres nennen - wurden streng nach dem Proporz des Hollywood- Kinos besetzt: die schöne Heldin, die schöne Schurkin (es fehlt nicht einmal die züchtige, amerikanisch-verklemmte Nacktszene in der Dämmerung, die bereits die Umschiffung der Zensur berücksichtigt), der gut aussehende Held, der gut aussehende Schurke, in den Nebenrollen das übliche Kanonenfutter, das die Handlung nicht überleben wird, ihr aber bis dahin hier und da kleine Glanzlichter aufstecken darf: der beste Freund der Heldin/des Helden (nicht ganz so stattlich); der verwitterte Cowboy (eine kleine, aber schöne Rolle für einen älteren Schauspieler; vor zehn Jahren hat Jack Palance sie in "City Slickers" gespielt); mindestens ein Angehöriger einer Alibi-Minderheit - hier zur Abwechslung kein edler Schwarzer, sondern ein stolzer Mexikaner (Minderheiten müssen im politisch korrekten Hollywood-Kino der Gegenwart immer Menschen ohne Fehl und Tadel sein) und selbstverständlich - schließlich spielt die Geschichte im Indianerland - der weise Medizinmann im Einklang mit Mutter Natur, der den Helden mit allerlei mystischem Gewese beisteht und vor dem großen Finale bescheiden in den Hintergrund tritt, denn dem Bösen treten auf dieser Welt noch immer am besten verwegene Bleichgesichter mit zweisilbigen Vornamen entgegen.
Ach ja, der geschwätzig-eifrige "rasende Reporter" darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Hier treffen wir sogar einen alten Bekannten wieder: Bill Smithback trat in dieser Rolle bereits im Preston/Child-Bestseller Das Relikt und in der Fortsetzung Attic auf. Die mehrfache Konfrontierung mit urzeitlichen Monstern hat ihn erstaunlich unberührt gelassen; jedenfalls barmt und zittert er in "Thunderhead" genauso stark wie seine ahnungslosen Leidensgefährten ...
Über dieses plakativ-platte "Böse", das im Film zum Buch später die Zuschauer etwa alle zehn Minuten aus ihrem Schlaf reißen wird, wollen wir an dieser Stelle lieber wenig sprechen; dies nicht nur, um dem Leser die "Überraschung" nicht zu verderben, sondern hauptsächlich deshalb, weil eine solche ausbleibt. Glücklicherweise (oder leider) sind die mörderischen Wächter über Quivira nur Statisten. Sie spielen für die Geschichte weiter keine Rolle und haben nur im Finale ihren großen Auftritt, wenn es gilt, die Geschichte in eine billige Verfolgungsjagd mit Schießerei im Gewitter (!) münden zu lassen.
"Thunderhead" belegt den Glanz und das Elend eines Autorenduos, dem einst ein unverhoffter, aber verdienter Volltreffer gelungen ist und das seither stur bei dem damals entdeckten Erfolgsrezept geblieben ist. Doch der belebende Cocktail ist mit jedem Aufguss merklich matter geworden. "Das Relikt", die Geschichte vom Monster im Museum, gehört zu den modernen Klassikern der Unterhaltungsromans; keine große Kunst, aber Unterhaltung in Reinkultur. "Attic", die Fortsetzung, die den Vergleich ermöglicht, ist es definitiv nicht mehr. "Thunderhead" ist, wenn man es recht betrachtet, sogar nur die Kopie der Kopie, denn Ausgangsidee, Umsetzung und Charakterzeichnung folgen bis ins Detail dem 1998er Preston/Child-Reißer Riptide, in dessen Thrillergetriebe es bereits hörbar krachte.
Ist man allerdings nicht mit dem "Relikt" in die Reihe der stromlinienförmigen, maßgeschneiderten Abenteuerromane von Douglas Preston und Lincoln Child eingestiegen, blieb einem die Enttäuschung über den Qualitätsverfall seit dem Erstling womöglich erspart. Wem das reicht, vor dessen geistigem Auge läuft ein farbiges, niemals auf der Stelle tretendes Garn im Stil und auf dem Niveau eines Dirk Pitt-Romans von Clive Cussler ab. Auch Erinnerungen an das zweite "Jurassic Park"-Abenteuer von Michael Crichton oder John Dartons Ethno-Schmonzette "Neandertal" werden wach.
Der knallige Titel "Thunderhead" spielt übrigens vermutlich auf die spektakulären Folgen heftiger Regengüsse über engen Ablaufschluchten an - Bilder, die wiederum geschaffen wurden für Aufsehen erregende Spezialeffekte aus Hollywoods Hexenküche.
Douglas Preston & Lincoln Child, Droemer
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