Der grüne Leguan
- DuMont
- Erschienen: Januar 1999
- 6
- Turin: Einaudi, 1997, Titel: 'Almost Blue', Originalsprache
- Köln: DuMont, 1999, Seiten: 206
- München: Goldmann, 2001, Seiten: 191
Ein sinnlicher Psychothriller
In Bologna werden mehrere Menschen ermordet, doch von einem Serienmörder will der Polizeipräsident nichts wissen. Nicht auszudenken wie die Bevölkerung in Panik ausbrechen könnte. Erst als sich die neu gegründete Abteilung für die Aufklärung von Gewaltverbrechen aus Rom, die auf Ermittlungen gegen Serienmörder spezialisiert ist, einschaltet, führen die Ermittlungen in die entscheidende Richtung. Zu offensichtlich ist für Inspektor Grazia Negro der Modus Operandi. Alle Opfer waren Studenten der heimischen Universität, alle Opfer wurden nackt aufgefunden.
Kurz nachdem Negro die Ermittlungen übernimmt geschieht ein weiterer Mord. Dieses Mal hinterlässt der Täter sogar eine vermeintlich eindeutige Spur, einen Fingerabdruck, welcher Alessio Crotti zugeordnet werden kann. Nur dumm, dass Crotti bereits vor einigen Jahren starb.
"Unser Mann hat noch einen Studenten ermordet. Nur dass er es im Körper von Maurizio Assirelli getan hat, der schon bei dem Mord davor umkam, und mit den Fingerabdrücken von Alessio Crotti, der ‚89 in der Klappsmühle gestorben ist. Außerdem hat dieses aus zwei Toten zusammengesetzte Wesen fast eine Woche lang mit jemanden gechattet, und zwar neben der verwesenden Leiche von Paolo Miserocchi, genannt Misero, einem Studenten und Drogendealer. Eigentlich glaube ich ja nicht an Gespenster, aber wie's aussieht, hast du mich in eine unbekannte Stadt geschickt, damit ich einen Zombie suche."
Simone Martini ist seit seiner Geburt blind und sitzt in seiner kleinen Mansardenwohnung, die er nie verlässt. Mit etlichen technischen Geräten (Scannern) ausgestattet, lauscht er dem CB-Funk oder Chats und macht so Jagd auf die "Stimmen der Stadt". So meint er auch eines Tages die Stimme des gesuchten Serienmörders erkannt zu haben. Gemeinsam macht sich das ungewöhnliche Duo Negro / Martini auf die Jagd...
Interessanter Erzählstil aus drei Perspektiven
Der grüne Leguan wird aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt. Da ist zunächst der gesuchte Serienmörder, von den Ermittlern bald "Leguan" genannt, sowie der blinde Simone und die Ermittlerin Grazia. Während der Leguan und Simone als Ich-Erzähler auftreten, wird über Grazia in der dritten Person geschrieben. Alle Figuren sind "sinnlich" veranlagt, so hört der Leguan ständig Geräusche in seinem Kopf; Glocken, Satansglocken, die ihn in die Hölle rufen und um dieser Gefahr zu entgehen mordet er immer weiter und nimmt die Identität seiner Opfer an.
"Ich höre sie, die Glocken der Hölle. Immer, jeden Tag und jede Nacht, immer höre ich die Glocken der Hölle, sie läuten zum Begräbnis, und sie läuten für mich."
Simone spürt hingegen über sein höchst sensibles Gehör Stimmen, welche er als Farben wahrnimmt. Das Ganze erinnert entfernt an Das Parfum und bietet eine grandiose Bildsprache, die einen in die Gedankenwelt Simones gekonnt einführt. Zu guter Letzt wird Grazia von Sinneseindrücken geprägt, die sich allerdings aus einer Mischung ihrer weiblichen Körperlichkeit und Intuition ergeben.
"Ich suche die Stimme."
"Bist du sicher, dass du dich noch an sie erinnerst?"
"Ja."
"Entschuldige. Ich wollte damit nicht sagen ... aber, hör zu, sei nicht beleidigt, ich frage aus reiner Neugier: Wie war diese Stimme?"
"Grün."
Zu erwähnen sei noch, dass Grazia bei ihren Ermittlungen nicht gerade begeistert unterstützt wird. Aufgrund ihres jungen Alters, ihrer Unerfahrenheit und vor allem der Tatsache, dass sie eine Frau ist, muss sie sich gegenüber ihren Kollegen behaupten, die ihr mit machohaften Ansprachen ("Kleines") und Verhaltensmustern auf den Nerv gehen. Außerdem ist zu beachten, dass der Roman in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre spielt, was beispielsweise im Hinblick auf die genutzte Technik (ja, es gibt hier noch Disketten) von Bedeutung ist. Und ja, eine Studentenwohnung kostet hier satte 2.800.000 ... Lire.
Wer einen im engen Wortsinn "sinnlichen" Thriller lesen möchte – es bandelt sich sogar eine kleine Romanze an – und sich von dem anfangs gewöhnungsbedürftigen Erzählstil nicht abschrecken lässt, könnte hier eine angenehme Überraschung erleben. Zumal das Buch "rockt", wie die Überschriften seiner drei Kapitel "Almost Blue", "Reptile" und "Hell's Bells" (gemeint sind die gleichnamigen Lieder von Chet Baker, Nine Inch Nails und AC/DC) bereits andeuten.
Carlo Lucarelli, DuMont
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