Mord im Revue-Palast
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2004
- 4
- Baarn: De Fontein, 2002, Titel: 'Moord in Tuschinski', Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2004, Seiten: 352, Übersetzt: Monika Götze
Liest sich wie ein Klassiker - und wird hoffentlich einer!
Großbritannien hat Sherlock Holmes und Lord Peter Wimsey. Die USA haben in S.S. Van Dines Philo Vance ihren Meisterdetektiv. Aber was ist mit Kontinental-Europa? Edgar Allan Poes Auguste Dupin (Der Doppelmord in der Rue Morge) war zwar der Anfang. Aber wo bleibt die Fortsetzung? Wo sind sie, die scharfsinnigen Analytiker auf dem europäischen Festland, die jeden noch so kniffligen Fall durch reines Kombinieren lösen? Die beiden Niederländer Dick van den Heuvel und Simon de Waal geben die Antwort. Der Mord im Revue-Palast ist der erste Teil einer Serie um C.J. Van Ledden Hulsebosch, seines Zeichens "Kriminalist" - und aus den Niederlanden.
Wir befinden uns im Amsterdam der späten Zwanziger Jahre. Noch ist nur zu erahnen, zu welcher multikulturellen Metropole sich die Stadt mausern wird. Zwar lässt Bürgermeister de Vlugt den Hafen ausbauen und zahllose Immigranten strömen aus den ehemaligen Kolonien und aus China nach Amsterdam. Aber von Großstadt mit Flair ist noch nichts zu spüren: Telefone sind rar, es gibt nur vierstellige Nummern. Die Kommissare düsen mit dem Fahrrad zum Tatort und blicken neidisch auf die weitaus fortschrittlicheren Kollegen jenseits des Kanals und des großen Teichs.
Des Sonnengotts Uraufführung
Kulturell steht Amsterdam aber bereits gut da. Der Deutsche Abraham Tuschinski hat das nach ihm benannte Theater eröffnet, in dem große Revuen und Kinofilme präsentiert werden. In eben jenen Revue-Palast entführen uns die beiden Autoren Heuvel und De Waal zu Beginn ihres Romans. Künstler und "Sonnengott" Frederik Schakels führt "Lass das Licht erstrahlen!" auf, eine großartige Premiere verspricht das Stück zu werden. Unter den Zuschauern befindet sich neben der High Society auch Apotheker C.J. Van Ledden Hulsebosch, allerdings eher unfreiwillig:
"Sehen Sie doch nur, was hier los ist!", begrüßte ihn seine Haushälterin mit vor Aufregung erröteten Wangen.
"Unnötiges Remmidemmi", murmelte der Apothker.
"Mir scheint, halb Amsterdam hat sich auf die Beine gemacht, um das mitzuerleben!"
"Und die andere Hälfte sitzt gemütlich zu Hause", saget Van Ledden Hulsebosch und stellte fest, dass er im Moment genau zur falschen Häflte gehörte.
Nun, die Revue ist tatsächlicht nicht Van Ledden Hulseboschs Fall. Der Gesang und das Ballett langweilen ihn so sehr, dass er in den bequemen Sesseln einnickt. Aber das Finale hat´s in sich und erregt des Apothekers Aufmerksamkeit. Frederik Schakel setzt zum großen Abschlusslied an, steht hell angeleuchtet inmitten der Bühe - als die Strahler-Auffhängung auf ihn niederrummst. Unfall? Oder gar Mord?
C.J. van Ledden Hulsebosch
Die Figur des Van Ledden Hulsebosch ist keinesfalls eine clevere Erfindung der beiden Autoren. Van Ledden Hulsebosch hat wirklich gelebt und in seiner Apotheke am Amsterdamer Nieuwendijk stand tatsächlich im Schaufenster "C.J. van Ledden Hulsebosch, Kriminalist".
Von den Zeitungen wurde der Apothker (1877-1952) wie kaum anders zu erwarten als der "Sherlock Holmes von Amsterdam" betitelt. Van Ledden Hulsebosch arbeitete mit der Polizei zusammen und war der erste forensische Spurensucher der Niederlande.
Mit seinen Experimenten und wissenschaftlichen Erkenntnissen war er seiner Zeit voraus: Er benutze bei der Ermittlung beispielsweise ultraviolettes Licht (mit einem von Madame Curie erworbenen Apparat) und führte die Technik des Fingerabdrucks ein.
Des Apothekers liebstes Hobby
Van Ledden Hulseboschs liebstes Hobby ist die Kriminalistik. Seit Jahren forscht er in seinem Labor mit Mikroskopen, Chemikalien und Schweine-Resten, die er mit Schwämmen füllt, um menschliche Körper nachzuahmen. Doch von seinem Know-How will Polizeipräsident Marcusse nichts wissen. Auch nicht, als der Apotheker veranschaulicht, dass die Seile, an denen die Auffhängung befestigt war, aller Wahrscheinlichkeit durchgeschnitten worden sind.
Marcusse kann diesem kauzigen, altklugen Apotheker nicht glauben. Sein Untergebener Jonathan Saltet, ein junger, ehrgeiziger Polizist, jedoch schon. Und so machen sich der Apotheker und der Polizist auf in die Ermittlungen. Bald stellt sich heraus: Frederik Schakels hatte so seine Geheimnisse. Führten diese zu seinem Tod?
Hier haben zwei Autoren mit Herzblut geschrieben
Schon die ersten Zeilen von Mord im Revue-Palast machen deutlich: Hier haben zwei Autoren mit Herzblut geschrieben. Die Figur des Apothekers C.J. van Ledden Hulsebosch ist wunderbar und liebevoll gezeichnet. Manchmal etwas sarkastisch, immer akribisch und dennoch sympathisch. Ein "Meisterdetektiv", der sich sogar selbst Fehler eingesteht. Worin er sich zu seinen "Kollegen" Holmes und Vance deutlich unterscheidet. Wussten die beiden Brüder im Geiste immer schon sehr früh, wo der Hase im Pfeffer liegt (und beide ließen dies entsprechend heraushängen), muss sich unser niederländische Kriminalist auch selbst eingestehen, dass er wie der Ochs´ vorm Berg steht.
Kompagnon Saltet ist hingegen das komplette Gegenteil zu einem Dr. Watson oder einem van Dine, die lediglich eine Art Protokollanten-Rolle übernehmen durften. Durch Saltets Ehrgeiz und Eigenständigkeit entsteht eine vortreffliche Dynamik in der Figurenkonstellation: Van Ledden Hulsebosch auf der einen Seite will keinen Zweifel an seinem Nummer-1-Status aufkommen lassen - und Saltet auf der anderen will ihm gerade diesen streitig machen. Klar, dass beide sich zusammenraufen und früh erkennen, dass sie nur gemeinsam Erfolg haben können.
So streifen die beiden ungleichern Ermittler durch die Vergangenheit des Mordopfers und die Gassen Amsterdams. Und da wird ein weiteres Mal ersichtlich, welche Mühe sich die Autoren Heuvel und De Waal mit Mühe bei ihrem Erstling gemacht haben. Etliche Anekdoten zur Stadt und sehr schöne Detailbeschreibungen sorgen für eine atmosphärische Zeitreise in die Zwanziger.
Angenehme, intelligente Entspannung
Mord im Revue-Palast liest sich folglich wie ein Klassiker, als sei das Buch tatsächlich vor über 60 Jahren geschrieben worden. Etwas gemütlich, gelegentlich aus- und abschweifend, aber nie den Roten Faden aus den Augen verlierend. Ein Buch, das Aufmerksamkeit verlangt, ohne anzustrengen. Ein Buch, das in Zeiten von bluttriefenden Thrillern angenehme, aber auch intelligente Entspannung verbreitet. Der Auftakt lässt erahnen: C.J. Van Ledden Hulsebosch hat das Zeug zum Kultdetektiv - und die beiden Autoren mehr als genug Potential, eine klasse Klassiker-Reihe zu schreiben!
Dick van den Heuvel & Simon de Waal, Rowohlt
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