Wer übrig bleibt, hat recht
- Eichborn
- Erschienen: Januar 2002
- 13
- Frankfurt: Eichborn, 2002, Titel: 'Wer übrig bleibt, hat Recht', Seiten: 440, Originalsprache
- München: dtv, 2004, Titel: 'Wer übrig bleibt, hat Recht', Seiten: 440, Originalsprache
- München: dtv, 2005, Titel: 'Wer übrig bleibt, hat Recht', Seiten: 440, Originalsprache
Krimi-Geschichtsstunde
Eine düstere Zeit in der deutschen Geschichte: die Zeit der Nazi-Herrschaft. Diesen Eindruck verleiht allein schon das finster-graue Cover des Taschenbuches. Ein Blickfang in diesem Sinne ist dieser Roman jedenfalls nicht. Dennoch lohnt es sich, nach dem Werk Ausschau zu halten, denn es bedient sich des Krimi-Genres, um die Wirren des letzten Kriegsjahres in Berlin aufzuarbeiten. Somit vermittelt es einen berührenden Einblick in eine Gesellschaft, die zwar von anderen Nationen angegriffen wird, die schwierigste Front aber in sich selber trägt: wo liegen die Grenzen von Recht und Ordnung, von Gesetz und Gerechtigkeit? In zwölf Jahren Schreckensregime sind den Menschen die Werte abhanden gekommen.
Haas war in Bautzen, dann in Buchenwald. Während eines Bombenangriffs auf das KZ kann er entkommen und hat das Glück, für tot erklärt zu werden. In Berlin angekommen erfährt er jedoch vom Tod seiner Familie. Er will Rache. Rache an seinen Nachbarn, die ihn angezeigt haben, für seine Verhaftung verantwortlich sind und letztlich wohl auch den Tod von Frau und Sohn auf dem Gewissen haben.
Gleichzeitig kehrt Sturmbannführer Kalterer in die Hauptstadt zurück. Im Sanatorium hat er eine Kriegsverletzung halbwegs auskuriert, nun wird er in seinem alten Beruf als Polizist und Ordnungshüter bei der Gestapo in Berlin gebraucht, da ein altverdientes Parteimitglied umgebracht wurde. Wahrscheinlich eine politisch motivierte Tat. Aber dann findet Kalterer heraus, dass etwa zur gleichen Zeit auch zwei ehemalige Nachbarn des Mannes umgebracht wurden. Das Motiv der persönlichen Rache wird für ihn ebenfalls wahrscheinlich, aber vermutlich werden das seine Vorgesetzten nicht akzeptieren können.
Ein Roman ohne einen Helden
Der Leser erlebt wie sich der Gestapo-Mann an die Fersen des vermeintlichen Mörders Haas heftet, dem es jedoch in der Zeit der schwersten Bombenangriffe spielend gelingt, im zerstörten Berlin unterzutauchen, um in seinem Leben dem einzig verbliebenen Ziel nachzugehen: Rache zu üben. Hier erlebt er auch die bodenlose Verzweiflung eines einst aufrichtigen, ehrenwerten Mannes, der durch eine unbedachte Äußerung in einem schwachen Moment in Ungnade geriet und die Schrecken des Regimes am eigenen Leib erfuhr. Auf der anderen Seite erfährt von der Zerrissenheit eines Mitläufers, der sich hinter dem Vorwand, nur Befehle empfangen zu haben, in Unschuld wähnt. Dieser Kalterer fühlt sich nicht als Kriegsverbrecher, obschon nur solch blinder Gehorsam das System zum Erfolg geführt hat. Außerdem hat er gar nicht den Ehrgeiz, den Fall schnell zu klären, da er sonst wohl wieder an die Ostfront muss. Einen glorreichen Helden haben uns die Autoren somit zum Glück erspart.
Irgendwo zwischen Seite 250 und 300 verrät einem das Lesegefühl, dass die Kriminalhandlung auf der Strecke geblieben ist. Ab hier erstreckt sich die Handlung in der Schilderung zahlreicher und heftiger Bombenangriffe auf Berlin, in denen einige Randfiguren ums Leben kommen. Es wird hier frühzeitig erkennbar, wie der Mord an dem einen Parteimitglied mit den Morden an den anderen Nachbarn zusammen hängen kann. Es läuft auf einen Showdown mit dem Hauptverbrecher hinaus, was vielleicht etwas zu lang gezogen wird. Lesenswert ist dieser Teil aufgrund seiner Schilderung der bodenlosen Verzweiflung der Menschen in den Trümmern.
Verwirrende Perspektivwechsel
75 Kapitel, aber am Anfang eines jeden heißt es erst einmal Rätsel raten. Das Autorenduo springt in der Erzählperspektive zwischen Schilderungen aus der Sicht Kalterers und Haas’. Der Leser darf meistens jedoch von selbst darauf kommen, um wen es sich gerade handelt. Hierin liegt ein gewisses Frustpotential, denn in den meisten Kapiteln wird erst relativ spät klar gestellt, ob der Flüchtling oder der Gestapo-Mann durch das zerbombte Berlin schreiten.
Ein lesenswertes Werk, das besser als ein sachliches Geschichtsbuch die Verzweiflung in den Trümmern des Zweiten Weltkrieges einfangen kann. Für eine anschauliche Geschichtsstunde geradezu ein prädestinierter Roman. Sehr gut gelungen, wie die Morde einzelner hinter dem viel größeren Verbrechen der Nazis gegen die Menschlichkeit immer mehr zurück weichen. Wen das wirklich hässliche Cover nicht vom Kauf abschreckt und wer sich von den Perspektivwechseln nicht entmutigen lässt, der kann mit Birkefeld/Hachmeister eine kleine Zeitreise in ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte erleben.
Richard & Hachmeister Birkefeld, Eichborn
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