Totes Wasser

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2003
  • 1
  • New York: Ballantine, 2004, Titel: 'Bone Harvest', Seiten: 239, Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2003, Seiten: 255, Übersetzt: Friederike Barkow
Totes Wasser
Totes Wasser
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2004

Rächer mit großem Giftsack

Pepin County ist ein ruhiger, etwas abgelegener Landstrich im US-Staat Wisconsin. Farmer bilden die Mehrheit der Bevölkerung, die Umgebung wird von schier endlosen Getreidefeldern geprägt. Das Verbrechen hat zwar längst auch in diese Idylle gefunden, aber es kam bisher eher durchschaubar und ohne großstädtische Tücke daher.

Der neue Fall der Polizistin Claire Watkins scheint deshalb zunächst Routine zu sein: Aus einer Scheune ist eine große Menge kostspieliger Pestizide verschwunden. Was zunächst nach einem simplen Diebstahl aussieht, gewinnt jedoch rasch ein bedrohliches Gesicht: Direkt vor dem Polizeirevier wird ein Blumenbeet vergiftet, dann eine Schar Hühner ausgerottet.

Dahinter steckt kein Kinderstreich. Vor Ort findet die Polizei jeweils einen menschlichen Fingerknochen. Die Drohung ist klar: Hier "übt" ein Wahnsinniger mit dem Gift und lernt es zu dosieren. Ebenso sicher sind sich Watkins und ihre Kollegen, dass sich der Dieb nicht mit Attentaten auf Grünzeug und Federvieh zufrieden geben wird.

Ein mörderisches Jubiläum

Tatsächlich hat in Pepin County der Rachefeldzug für eine uralte, nie gesühnte Bluttat begonnen. Vor fünfzig Jahren wurde die gesamte Familie Schuler auf ihrer Farm niedergemetzelt. Sieben Personen fanden einen grausamen Tod. Jeder Leiche wurde ein Finger abgeschnitten. Dieses Verbrechen wurde niemals aufgeklärt. Vielleicht haben sich die braven Bürger und Nachbarn auch gar nicht besonders intensiv darum bemüht. Zu diesem Schluss kommt Claire Watkins im Verlauf ihrer Ermittlungen. Die Schulers stammten aus Deutschland und galten nach dem Ende des II. Weltkriegs als unerwünschte Zeitgenossen.

Nach so vielen Jahren ist nun doch der Tag der Vergeltung gekommen. Der Rächer will die Menschen von Pepin County offensichtlich in ihrer Gesamtheit "bestrafen". Das versucht Claire Watkins verzweifelt zu verhindern. Doch die Schar der Verdächtigen ist groß. Im Wettlauf mit der Zeit gräbt sie immer tiefer in der Geschichte ihres Heimatortes und stößt dabei auf sorgfältig vertuschte Hinweise, die längst zur Aufklärung des alten Verbrechens hätten führen müssen . Deshalb muss Watkins einen Zweifrontenkrieg führen - gegen den Giftmischer, der bald die ersten menschlichen Opfer attackiert, und gegen jene, die den Schulers einst Böses wollten ...

Unspektakulärer Thriller voller Spannung

"Thriller": Das bedeutet heute allzu oft den dramaturgischen Overkill durch eine von irren Killern und fanatischen Polizisten bevölkerte Handlung, die durch mörderische Schießereien, Verfolgungsjagden und Explosionen angereichert wird. Auf der Strecke bleiben Logik und Atmosphäre, was vielen Lesern traurigerweise gar nicht mehr auffällt. Dass Spannung auch aus einem "ruhigen", aber ausgeklügelten, und psychologisch unterfütterten Plot entstehen kann, macht erst die Lektüre von Büchern wie "Totes Wasser" (wieder) deutlich.

Pepin County ist schon als Schauplatz kein Ort für Hektik. Platt ist das Land in Wisconsin. Die Bewohner des lassen sich Zeit. Es bleibt ihnen kaum anderes übrig, denn es ist entweder brütend heiß oder eiskalt hier. Gearbeitet wird in der modernen Landwirtschaft; riesige Maisfelder werden bestellt.

Aber die Menschen sind weder langsam im Denken noch chronisch gemeinschaftlich, wie es das Klischee fordert. Missgunst, Hass und die anderen Schattengewächse der Seele treiben auch hier kräftig aus. Anders als in der Großstadt spielt sich das Böse mehr im Verborgenen ab, denn die Farmen stehen einsam.

Vom garstigen Leben auf dem Lande

So ist es seit jeher gewesen. Der Mord an der Schuler-Familie, vor allem aber dessen Vertuschung verdeutlichen dies. Gleichzeitig eignet sich das alte Grauen vorzüglich als Aufhänger für einen Kriminalroman: Was wäre, wenn nach einem halben Jahrhundert der Tag der Abrechnung doch käme? Für Marie Logue bleibt wenig mehr, als diese Prämisse nach den Regeln des Genres durchzudeklinieren.

Wobei sie es sich so einfach natürlich nicht macht. "Totes Wasser" besticht durch die knappe und doch klare Schilderung der kleinen Welt von Pepin County. "Lokalkolorit" ist ein Wort, das gern bemüht wird, wenn eine Geschichte in der Provinz spielt. Hier darf man es als Auszeichnung werten, denn Logue präsentiert uns eine ländliche Gemeinde auf der Höhe ihrer Zeit - dem 21. Jahrhundert. Landwirtschaft wird mit Hightech und Chemie betrieben. Bäuerliche Romantik ist schon von daher fehl am Platze.

Die Präsenz des ungesühnten Schuler-Mordes verdeutlicht uns die Autorin mit einem einfachen Kunstgriff: Sie löst die Bluttat in Einzelszenen auf, die über die gesamte Handlung verteilt werden. Auf diese Weise wird aus einer anonymen deutschen Auswandererfamilie eine Menschengruppe mit Gesichtern und Geschichten, was mehr als jede "Oh-wie-furchtbar!"-Tirade belegt, dass Mord niemals verjährt.

Fähige Polizistin mit Hang zum privaten Chaos

Dass die Zeiten sich auch auf dem Land längst geändert haben, beweist nicht zuletzt die Existenz von Claire Watkins: Sie ist keine einfache Dorfpolizistin, sondern wurde eigens als Ermittlerin eingestellt. Das moderne Verbrechen hat auch Pepin County längst gefunden. Es bedarf Spezialisten, um es in Schach zu halten.

Watkins’ aktueller Fall ist dennoch ein ganz spezieller. Er wurzelt tief in der Vergangenheit und rührt an eines der vielen düsteren Kapitel der US-amerikanischen Geschichte. Der II. Weltkrieg wurde verlustreich gegen Nazi-Deutschland und Japan geführt. Die Emotionen gingen hoch, patriotische Hasstiraden gegen "den Feind" gehörten zum Alltag. Darüber geriet freilich oft in Vergessenheit, dass es zahlreiche deutsche und japanische Amerikaner gab, die von Hitler oder Hirohito nichts wissen wollten. Sie wurden wie die Schulers trotzdem mit Misstrauen betrachtet, attackiert, interniert.

Nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher ...

Mary Logue erzählt ihre Geschichte nie plakativ. Sie konfrontiert uns nicht mit von vornherein Verdächtigen. Statt dessen treibt sie mit dem Handlungsfluss und führt ihre Figuren dort ein, wo ihr Auftreten sinnvoll ist. Bei diesen Gelegenheiten steigt die Erinnerung an die Schuler-Affäre in den Beteiligten auf. Geschickt lässt Logue dies als logische Konsequenz erscheinen, denn genau diese Reaktion will der Täter ja erzwingen. Die Leute sollen sich erinnern.

Wem dieser Tobak zu stark ist, sei beruhigt: Mary Logue mischt neben einiger Psychologie genug Kriminalistik sowie die heute obligatorischen Seifenoper-Elemente unter die Handlung. Claire Watkins hat vor nicht allzu langer Zeit gar tragisch ihren geliebten Gatten verloren. Ein neuer Mann wirbt um sie, was die üblichen emotionalen Verwicklungen zur Folge hat, zumal Claire auch allein erziehende Mutter einer zwölfjährigen Tochter ist, was selbstverständlich alle Sorgen & Nöte aufblühen lässt, die für diese Konstellation vorgesehen sind.

Totes Wasser

Mary Logue, Fischer

Totes Wasser

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