Der Irrgänger
- Knaur
- Erschienen: Januar 2004
- 2
- New York: Ballantine, 2003, Titel: 'The Walkaway', Seiten: 294, Originalsprache
- München: Knaur, 2004, Seiten: 428, Übersetzt: Karl-Heinz Ebnet
Inmitten von Striplokalen und Stundenhotels
Ich warne im Voraus, den Klappentext zu lesen, denn dort wird die Pointe vorweg genommen und danach kann man sich das Lesen des Buches quasi sparen.
Da mich diesbezüglich leider niemand gewarnt hatte, ging mir mit fortschreitender Lesedauer und zunehmender Aufklärung der Lesespaß immer mehr verloren. Sehr wahrscheinlich fehlte mir auch einiges an Informationen aus dem Vorgänger "Alles in einer Nacht", auf den "Der Irrgänger" aufbaut. Oft wird Bezug genommen auf Ereignisse, die wohl in Phillips Debütroman ausgiebig zur Sprache kamen, so daß ich nur raten kann, sich diesen vor dem "Irrgänger" zu Gemüte zu führen. Dann dürfte man auch wesentlich mehr Vergnügen an der Lektüre haben.
Phillips hat seinen Roman zwar interessant, aber nicht unbedingt leicht lesbar aufgebaut. Kapitelweise wechselt die Handlung zwischen der Gegenwart in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus der Sicht eines neutralen Erzählers ab mit den Geschehnissen im Jahr 1952, die die Grundlage für die rätselhafte Mission von Gunther Fahnstiel bilden, der aus einem Pflegeheim entflohen ist und nun von Frau und Sohn gesucht wird. Daß die in der Vergangenheit spielenden Kapitel auch noch wechselweise von drei verschiedenen Ich-Erzählern geschildert werden, macht es zwar faszinierend, aber nicht ganz einfach, die ausgeworfenen Puzzleteile mit ihren zahlreichen Charakteren zu einer verständlichen Story zusammenzusetzen.
Zugute kam es mir dabei, dass ich den Protagonisten Fahnstiel, einen mittlerweile 77 Jahre alten ehemaligen Polizisten sofort als eine Verkörperung des späten James Stewart verinnerlicht hatte, so daß ich aus dessen Sicht den Plot einigermaßen gut sortieren konnte. Gelegentliches Zurückblättern ist mir zwar gemeinhin zuwider, doch war es hier oft hilfreich. Doch warum ist es für Fahnstiels Anghörige so wichtig, den angeblich sehr verwirrten Alten schnellstmöglich wieder im Pflegeheim zu sehen, dass sie sogar eine sehr hohe Belohnung aussetzen? Und woher stammt das Geld für seine Betreuung, deren Kosten die Altersvorsorge weit übersteigt?
Weniger einprägsam als der Hauptdarsteller sind die weiteren Charaktere, von denen einige, wie man erst im Laufe der Handlung feststellt, nur unwichtige Randfiguren sind und für zusätzliche Verwirrung beitragen.
"Bitterlustig" wird die New York Times zum Autor zitiert. Originell ist der ungewöhnliche Roman zweifellos, doch trifft der manchmal recht derbe Humor nur selten meinen Geschmack.
Doch zwischen Slapstick und Melancholie bleibt Phillips meist gut in seiner Spur und bietet eine stimmige Atmosphäre angesiedelt inmitten von Striplokalen und Stundenhotels. Fehlende Spannung und ein etwas zu aufbauschter Plot sorgen jedoch dafür, dass "Der Irrgänger" nicht über Mittelmaß hinaus kommt.
Scott Phillips, Knaur
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