Die Stimme der Violine (Commissario Montalbano 04)
- BLT
- Erschienen: Januar 2000
- 14
- Palermo: Sellerio, 1997, Titel: 'La voce del violino', Seiten: 209, Originalsprache
- Bergisch Gladbach: BLT, 2000, Seiten: 253
Viel Atmosphäre, gutes Essen und reichlich Humor
Schärfer könnte der Kontrast nicht sein, wenn man, nachdem man gerade einen schwedischen Krimi gelesen hat, anschließend ein Buch von Andrea Camilleri zur Hand nimmt und sich nach Sizilien in das fiktive Küstenstädtchen Vigata begibt.
"Die Stimme der Violine" ist der vierte Band in der Reihe mit dem kauzigen Commissario Salvo Montalbano, an den ich mit recht hohen Erwartungen herangegangen bin, nachdem sich die Qualität der ersten drei Romane sukzessive steigerte.
Den gewohnten Humor findet man bereits auf der ersten Seite wieder, denn der Roman startet gleich mit einem guten alten Bekannten, dem trotteligen Catarello.
" 'Pronti, Dottori? Dottori, sind Sie's wirklich selber?'
'Ich bin's wirklich selber, Catarè. Was gibt's denn?'
Im Kommissariat hatten sie Catarella, in der irrigen Annahme, er werde dort weniger Schaden anrichten als anderswo, in die Telefonvermittlung verbannt. Nach einigen saftigen Wutanfällen hatte Montalbano begriffen, dass die einzige Chance, mit Catarella ein Gespräch zu führen, ohne an den Rand des Deliriums zu geraten, darin bestand, sich derselben Redeweise zu bedienen.
[...] 'Dottori, sind Sie immer noch dran, Sie selber?'
'Ich bin immer noch dran, Catarè, ich bin keine anderer geworden.' "
Und da war es wieder: das verschmitzte Grinsen, das man fast ständig im Gesicht trägt, während man einen Commissario-Montalbano-Krimi liest. Doch bezüglich Catarello wird man diesmal eine Überraschung erleben, denn durch einen "Datumsverarbeitungskurs" wird er zu einem völlig neuen Menschen.
Diesmal entdeckt der Commissario selber mehr oder weniger zufällig einen Mord. Auf dem Weg zu einer Beerdigung - zu der er dann schließlich doch zu spät kommt - rammt sein als Raser bekannter Fahrer Gallo ein parkendes Fahrzeug. Sie hinterlassen eine Nachricht am Auto, doch bis zum Abend hat sich der Besitzer nicht gemeldet.
Der Commissario als Einbrecher und die Leiche im Badezimmer
Und als Montalbano abends nicht einschlafen kann, kommt er auf die glorreiche Idee, selber die Initiative zu ergreifen - und hier verlässt Camilleri wieder einmal die Pfade der Realität. Nachts um zwei Uhr fährt Montalbano zu der Villa, vor der das beschädigte Fahrzeug parkt, klingelt an der Tür und verschafft sich, nachdem keiner öffnet, mit seinem Werkzeug selber Einlass. Und findet - wie sollte es auch anders sein - im Badezimmer die nackte Leiche einer hübschen jungen Frau, vermutlich die Hausherrin Michela Licalzi, vor. Nachdem er sich gründlich umgesehen und das Haus wieder verlassen hat, steht er nun vor einem Problem. Wie kann die Leiche offiziell entdeckt werden, ohne daß sein illegales Vorgehen bekannt wird?
Dazu bedient er sich einer alten Bekannten, der Signora Clementina Vasile Cozzo, einer gelähmten alten Dame, deren eintönige Tage er durch Gespräche etwas Abwechslung verschafft und im Gegenzug zu einem guten Essen eingeladen wird. Durch einen anonymen Anruf der Signora bei der Polizei wird die Leiche schließlich offiziell gefunden.
Michela Licalzi lebte mit ihrem Mann, einem praktizierenden Arzt, in Bologna. Die beiden führten eine sehr freizügige Ehe. Bedingt durch die Impotenz ihres Mannes hatte Michela einen Liebhaber und hielt sich oft in ihrer Villa in Sizilien auf. Nur langsam kann Montalbano Verbindungen zu anderen Personen herstellen und das Geschehen am Abend ihres Todes rekonstruieren. In Verdacht gerät sehr schnell Maurizio di Blasi, der Sohn einer Familie, bei der Michela am fraglichen Abend zum Essen eingeladen war. Dort ist sie jedoch nicht erschienen und Maurizio ist seitdem verschwunden.
Montalbano zwischen den weiblichen Fronten
Montalbano hat jedoch weitaus größere Probleme mit Michelas Freundin Anna, die eine große Anziehungskraft auf ihn ausübt, was aber gar nicht so gut ist, denn seine Freundin Livia wartet in Genua sehnsüchtig darauf, dass Montalbano endlich sein gegebenes Heiratsversprechen einlöst. Hier bauen sich einige Spannungen der anderen Art auf.
Von der Atmosphäre des Romans, die die Faszination von Camilleris Büchern ausmacht, unterscheidet sich "Die Stimme der Violine" in keiner Weise von den anderen Werken der Reihe. Das Geschehen wirkt überaus lebendig. Wer brutale Action sucht, ist bei Camilleri falsch. Sein eigenwilliger Protagonist Montalbano kümmert sich lieber zwischendurch um schöne Frauen und gutes Essen. Und die kulinarischen Köstlichkeiten, die im Text erwähnt werden, finden sich wie immer im Anhang, zwar ohne Rezept, aber mit deutscher Übersetzung.
Kompetenzstreitigkeiten bei der Polizei und die Manipulation von Beweismitteln bilden ein zentrales Thema dieses Falles, der Montalbano zunächst entzogen wird, den er sich jedoch sehr trickreich wieder zürückgeholt, nachdem zuvor einiges schiefgelaufen ist. Auch die wechselseitigen Beziehungen zwischen Polizei und Presse werden hier sehr gut dargestellt.
Ärgerlich: Camilleri greift auf frühere Fälle zurück
Kritisieren muß ich auch bei Camilleri, dass Geschehnisse aus den vorausgegangenen Romanen der Reihe stillschweigend als bekannt vorausgesetzt werden. So wird mit keinem Wort erwähnt, dass es sich bei dem jungen Francois, den Montalbano und seine Freundin Livia adoptieren wollen, um den "Dieb der süßen Dinge" aus dem gleichnamigen Vorgängerband handelt. Dies ist zwar nicht relevant für die Handlung, ein kurzer Satz dazu hätte jedoch nicht geschadet.
Von der Entwicklung, die der Charakter des Commissario am Ende des Vorgängerbandes durchgemacht hat, ist hier leider nichts mehr zu spüren. Schade, denn das Ende dieses Romans ließ auf Veränderungen schließen, die nicht eingetreten sind. So müssen wir eben weiterhin mit dem altbekannten brummigen Montalbano vorlieb nehmen.
Die weiteren Charaktere sind sehr abwechslungsreich und gut dargestellt. Fähige und unfähige Polizeibeamte, ebensolche Vorgesetzte, Journalisten und interessante Frauen jeden Alters sorgen für ein kurzweiliges Lesevergnügen. Und an die vielen italienischen Namen hat man sich, wenn man bereits drei Montalbanos gelesen hat, auch allmählich gewöhnt. Vermisst habe ich Montalbanos verständnisvollen Chef aus den bisherigen Romanen, der durch einen Unsympath ersetzt wurde.
Raten statt Rätseln
Der Aufbau des Falles an sich wirkt sehr stimmig und gut konstruiert. Bei der Auflösung durch den Commissario hätte sich Andrea Camilleri dagegen ruhig ein wenig mehr Zeit lassen dürfen, denn das geht mit ein wenig Raten von Montalbano doch alles recht schnell vonstatten.
Insgesamt gesehen reicht "Die Stimme der Violine" nicht ganz an "Der Dieb der süßen Dinge" heran, bietet jedoch viel Atmosphäre, einen spannenden Fall, ein paar interessante Tricks, gutes Essen und sehr viel Humor.
Andrea Camilleri, BLT
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