Tödlicher Strand
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2004
- 3
- Barcelona: Destino, 1998, Titel: 'El lejano pais de los estanques', Originalsprache
- München: Goldmann, 2004, Seiten: 256, Übersetzt: Claudia Wuttke
Einer der modernsten ´Who-Dunits´, die das Genre zu bieten hat
Selten so eine schöne Leiche gesehen! So schön, dass dem Polizisten Perelló am Tatort ein "Wow, sind das Möpse!" herausrutscht und sein baskischer Kollege Satrústegui ihn daran erinnern muss, es mit einem Mordopfer zu tun zu haben. Die Tote baumelt nackt an einem Strick, die Handgelenke gefesselt und eigenartigerweise auch noch mit zwei Schussverletzungen - am Hals und an der Schläfe. Vertrackte Geschichte, aber irgendwie auch sonnenklar. Eva Heinrich, so der Name der toten Österreicherin, war zu einem frivolen Urlaub auf Mallorca. Das Appartement, in dem sie nun aufgeknüpft hängt, gehört einer Schweizerin namens Regina Bolzano. Und von der fehlt jede Spur...
Auf Mallorca kommt man nicht weiter
Doch auf Mallorca kommt man nicht weiter, weder finden die Polizisten Regina Bolzano noch eine Erklärung für das Aufhängen und die Einschusslöcher im Kopfbereich. Madrid schaltet sich ein und damit Sargento Bevilacqua. Von einer Undercover-Untersuchung als Tourist auf den Balearen hält er allerdings nicht viel. Als ihm dann auch noch das unerfahrene "hässliche Entlein" Chamorro anstatt der erfahrenen und hübschen Salgado als Übergangs-Braut zugeteilt wird, ist es aus mit Sommer, Sonne, Sonnenschein. Die Pflicht ruft, mehr nicht. Und schon sitzen die beiden Ermittler von der Guardia Civil im Flieger in das "entfernte Land der Teiche" (so der ungefähr übersetzte Originaltitel), das man hierzulande wohl besser als 17. Bundesland kennt.
Vor Ort angekommen beginnt das Vergnügen für unsere jungen Polizisten - und für den Leser. Denn spätestens dort zeigt sich eine besondere Stärke von Autor Lorenzo Silva: Er kann wunderbare Charaktere zeichnen! Bevilacqua, der Ich-Erzähler, ist Mitte dreißig, studierter Psychologe und Moralist. Das Aufklären von Verbrechen aller Art hält er für seine ganz persönliche Aufgabe, die es pflichtbewusst zu meistern gilt.
Eintauchen ins mallorquinische Nachtleben
Diese ganz eigene Moral muss "Vila", wie er aufgrund des spanisch-untypischen Namen genannt wird, auch schnell beweisen. Beim Eintauchen ins mallorquinische Nachtleben entpuppt sich Kollegen Chamorro als hübscher Schmetterling. Spätestens, als die junge Polizistin auf Anweisung Vilas sich zu später Stunde potentiellen Tätern in eindeutigerweise nähert, ist aber auch "Schmetterling" eine Untertreibung. Virginia Chamorro ist in Bars, Kneipen und Diskotheken schlicht der heißeste Feger! Wenn sie sich nach getaner Arbeit aber auch wieder in den schüchternen, untergebenen Lehrling zurückverwandelt.
So kämpft Sargento Bevilacqua nicht nur mit störrischen einheimischen Polizisten, ihm nachstellenden Touristinen und DJs, die in der französischen Fremdenlegion gedient haben, sondern auch mit seinen eigenen Hormonen. Kollegin Chamorro hingegen muss das ein oder andere Mal über den eigenen Schatten springen, wenn sie sich aus ermittlungstechnischen Gründen nicht nur mit angetrunkenen Italienern unterhalten, sondern Vila auch noch zum FKK-Strand begleiten muss.
Motivsuche erschwert - Opfer bi-sexuell
Vila und Chamorro durchforsten so das Nightlife der Touristen und das Leben der Toten - die, um die Motivsuche richtig zu erschweren - Vorlieben sowohl fürs männliche als auch weibliche Geschlecht hatte. Ohne eine Seite zu langweilen kommen die beiden wenig weiter, bis Vila meint, die gestellte Falle zuschnappen zu lassen - um feststellen zu müssen, dass er gründlich falsch lag. Und wie er falsch lag! Denn Autor Lorenzo Silva hat sich nicht nur eine absolut vergnügliches, sondern auch komplett überraschendes (aber trotzdem logisches) Finale einfallen lassen.
Unter diesen Gesichtspunkten ist Tödlicher Strand einer der modernsten "Who-Dunits", die das Genre zu bieten hat. Überhaupt: Wann hat ein Mitte Dreißig-Jähriger Polizist zuletzt mit einem 24-jährigen weiblichen Kompagnon so blendend unterhalten? Dazu muss angemerkt sein, dass man diese Lockerheit in der Figurenkonstellation, in der Sprache und insgesamt im Thema, so von der iberischen Halbinsel im Kriminalroman nun wirklich nicht kennt. Völlig frei von politischem Ballast hat Lorenzo Silva einen Auftakt zu einer Krimi-Serie hingelegt, den Kritiker als "trivial" mies machen mögen, im Vergleich zum mittlerweile gestorbenen Vazquez Montalban oder Andreu Martín wie eine Frischzellenkur fürs spanische Krimi-Genre wirkt.
Pflichtlektüre für den Sommer
Nicht nur eine Lektüre für die Mietliege am mediterranen Sommerstrand - Lorenzo Silvas Erstling um Bevilacqua und Chamorro sollte auch auf heimischen Balkonen für ein paar vergnügliche Stunden sorgen - die Pflichtlektüre dieses Sommers!
Lorenzo Silva, Goldmann
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