Engelshaar

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2004
  • 4
  • München; Zürich: Piper, 2004, Seiten: 288, Originalsprache
  • München; Zürich: Piper, 2006, Seiten: 317, Originalsprache
Wertung wird geladen
Sabine Reiß
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2004

Ganz und gar unamerikanisch

Die Hitliste bei den deutschen Krimis wird scheinbar nur von wenigen Autoren beherrscht und neue Autoren haben es wohl schwer, zu einem großen Publikum durchzudringen. Ein Merkmal, das zumindest meine Aufmerksamkeit erregt, ist der Handlungsort Frankfurt. Natürlich hat man immer einen besonderen Bezug zu dem Ort, an dem man lebt und so fiel mir der Roman "Engelshaar" von Krystyna Kuhn in die Hände.

Hannah Rosen, von Beruf Psychologin, hadert mit ihrem Beruf, da sie eine Selbstmörderin nicht davon abhalten konnte, von einem Kran zu springen. Sie will auch keine Todesnachrichten mehr überbringen, aber gerade darum bittet sie Kommissar Ron Fischer. Die Leiche der jungen Aussiedlerin Jelena Epp aus Kirgisien ist in ihrer Wohnung in einem Frankfurter Stadtteil aufgefunden worden und Hannah soll ihren Eltern beibringen, dass ihre Tochter tot ist. Die Eltern, gläubige Mennoniten, reagieren angespannt. Jelena war aus ihrer Gemeinde ausgeschlossen worden, weil sie sich mit deren Grundsätzen nicht abfinden konnte und mit einem jungen Russen zusammenlebte, von dem sie auch ein Kind erwartete. Hannah Rosen befasst sich dann auch in ihrem neuen Job bei einer gerade gegründeten Sonderkommission mit dem Mordfall. Sie sucht sogar auf eigene Faust nach Jelenas Freundin Marina, von der sie sich Hilfe bei der Aufklärung erhofft, doch diese bleibt verschwunden, nachdem sie sie nur kurz vor Jelenas Wohnung gesehen hatte.

Frankfurt, wie es leibt und lebt

Gerade wenn man in der Stadt lebt, in der eine Geschichte angesiedelt ist, achtet man sehr auf die Schilderungen der Umgebung. Krystyna Kuhn versucht nicht, durch besonders viele Beschreibungen der Stadt ein realistisches Bild zu erzeugen, was meist übertrieben wirkt, sondern bei ihr verschmilzt der Handlungsort mit der Geschichte. Wahrscheinlich könnte der Roman genauso gut in jeder anderen deutschen Großstadt spielen, doch hier passt alles. Wer Frankfurt kennt, wird es in diesem Buch wiederfinden.

Auch die Sprache ist ansprechend und relativ geradlinig. Gerade an deutschen Romanen stört mich die Sprache komischerweise oft besonders, doch Krystyna Kuhns Stil gefällt mir, weil er meist ungekünstelt ist, von einigen witzigen Vergleichen einmal abgesehen: "Wie der Dreck der Straße auf meinen Schuhen klebte, lag das Leid der Welt auf meinen Schultern. Der heilige Christophorus war nichts dagegen..." heißt es z.B. an einer Stelle (S. 287). Sie lässt die Protagonistin selbst erzählen, was sie denkt, was sie fühlt und was sie erlebt. Auch hier Privatleben nimmt einen kleinen, angemessenen Teil ein. Nur ab und an gibt es Kapitel, die schildern, was Marina, Jelenas Freundin, gerade widerfährt, aber ohne zuviel zu verraten.

Ruhig und realistisch

Insgesamt hat mir die Story recht gut gefallen, nicht reißerisch, sondern ruhig, realistisch und auch interessant. Gerade die Details über die Glaubensgemeinschaft und deren strenge Regeln werden sehr eindringlich geschildert. Nur schade, dass sich im Mittelteil kleine Längen eingeschlichen haben, wo die Ermittlungen wirklich auf der Stelle treten und damit die Spannung ein wenig hängen bleibt. Dennoch, "Engelshaar" ist eine Empfehlung wert, sicherlich nicht für jedermann, aber - ohne hier starke Parallelen herstellen zu wollen - Anhänger von Anne Holt oder Leena Lehtolainen könnten einen Ausflug nach Frankfurt wagen.

Engelshaar

Krystyna Kuhn, Piper

Engelshaar

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Engelshaar«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren