Das unheimliche Haus
- Walter
- Erschienen: Januar 1957
- 2
- Philadelphia: Lippincott, 1952, Titel: 'Ladies´ Bane', Seiten: 248, Originalsprache
- Olten; Freiburg im Breisgau: Walter, 1957, Titel: 'Das Damenhaus', Seiten: 258, Übersetzt: Elisabeth von Arx
- München: List, 1961, Titel: 'Das Damenhaus', Seiten: 225
- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1985, Seiten: 255, Übersetzt: Bodo Baumann
- München: Goldmann, 2001, Seiten: 251, Übersetzt: Bodo Baumann
Die Sprengkraft unterdrückter Gefühle.
Seit sie vor zwei Jahren den charmanten Geoffrey Trent geheiratet hat, ist der Kontakt zwischen Allegra und ihrer Schwester Catherine Muir abgerissen. Eine entfernte Verwandte ruft ihr dies ins Gedächtnis, woraufhin Catherines Gewissensbisse sie ins Dörflein Bleake treiben.
Dort steht „The Ladies’ House“, schon im Mittelalter erbaut, aber tadellos erhalten bzw. gut restauriert; mehr eine Festung als ein Haus und mit eigenem Kerker plus Folterkammer ausgestattet. Schwager Geoffrey ist vernarrt in das Gebäude, obwohl die Dörfler es unter einem anderen Namen kennen: „Ladies’ Bane“, wobei der Fluch angeblich jede Dame trifft, die es wagt hier zu leben; sie soll verlieren, was sie am meisten liebt.
Catherine fühlt sich unwillkommen in „The Ladies’ House“, obwohl Geoffrey sie im Gegensatz zur Hausdame Jacqueline Delauny herzlich empfängt. Allegra hingegen ist ein Wrack, weil offenbar dem Rauschgift verfallen. Mit im Haus lebt noch Geoffreys Mündel, seine geistig behinderte Nichte Margot, die unkontrollierbar, aber meist harmlos ihr Unwesen treibt; dies aber nicht mehr lange, denn als ein von der jungen Frau geplanter Streich fehlschlägt, stürzt sie in einem hausnahen Steinbruch zu Tode.
Nicht nur Catherine sorgt sich um Allegra. Besagte Verwandte hat nicht nur Catherine nach Bleake gelockt, sondern auch eine ungewöhnliche Privatdetektivin beauftragt: Maud Silver tarnt sich als ältere, nette Frau, aber hinter dieser Fassade verbirgt sich ein wacher Geist, der einem hinterlistigen Komplott auf die Schliche kommt ...
Altes Haus mit warnender Vorgeschichte
Beginnen wir mit der (allzu bekannten) Klage, dass diesem Roman hierzulande wie so/zu oft ein Titel aufgeprägt wurde, der die eigentliche Bedeutung plakativ missinterpretiert. Zwar spielt dieser Krimi in einem sehr alten Haus, dessen historische Seltsamkeiten uns Autorin Wentworth ausführlich, aber eher irreführend schildert, denn tatsächlich spielt dieser Bau aus dem Mittelalter keine besondere Rolle. Es spukt nicht in „The Ladies’ House“, Kerker, Folterkammer und ein schier bodenloser Brunnen im Keller sind höchstens exotische Beigaben.
Stattdessen deutet der Originaltitel „Ladies’ Bane“ doppeldeutig einen Plot an, der diesseitig psychologische Aspekte und damit sehr lebendige Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der angesprochene Fluch hat faktisch wenig mit dem ‚verwunschenen‘ Haus zu tun. Menschliche Triebe und Charakterschwächen sorgen für ein Geschehen, das die Autorin um der Dramatik willen mit vordergründigen Spannungseffekten spickt - skrupelfrei, denn Patricia Wentworth (1878-1961) war als Autorin ein Vollprofi sowie bis an ihr Lebensende ungemein fleißig. Mehr als 70 Krimis hat sie geschrieben, und 31 davon widmen sich den Fällen der Maud Silver.
Fleiß verbindet sich für Schriftsteller mit Routine. Nur so kann das Pensum erfüllt werden. „Das unheimliche Haus“ ist Band Nr. 22 der Miss-Silver-Serie, was bereits darauf hinweist, dass formale oder gar inhaltliche Originalität außen vor bleibt. 1952 hatte Wentworth die Silver-Formel längst instrumentalisiert. Roman um Roman rankt sich um bewährte und beliebte Muster.
Drama, Theater, Emotionen!
Die Ereignisse in „Ladies’ Bane’ folgen in erster Linie der Dramatik. Zwar lässt Wentworth manchmal einfließen, dass der Zweite Weltkrieg stattgefunden hat. Davon ist in Bleake wenig zu spüren, und auch jene Passagen, die in London spielen, wirken wie aus der Zeit = Gegenwart gefallen. Darüber hinaus gehört die Vorgeschichte in Englands nebliger Metropole zu den Nebensächlichkeiten, denen Wentworth zu viel Raum einräumt. Hier steht der Effekt allzu sichtbar im Vordergrund; für die eigentliche Handlung haben solche Episoden keine Bedeutung.
Auch manche scheinbare Lebensgefahr löst sich ins Nichts auf oder ist recht deutlich als Versuch erkennbar, die Schar der Tatverdächtigen zu erweitern. Wentworth spielt ‚fair‘; die oder der Täter/in ist Teil jenes Personenkreises, der uns ausführlich vorgestellt wird. „Whodunit“-klassisch fällt im Finale die Maske, wobei dies nicht im Rahmen einer von Miss Silver einberufenen Runde aller Beteiligten geschieht. Wentworth peppt ihr Garn wiederum auf; dieses Mal durch eine ‚lebensgefährliche‘ Konfrontation der weiblichen Hauptfigur mit dem/der Täter/in.
Obwohl das Frauenbild heutige Leser/innen mehr als einmal zum Ächzen bringen dürfte, muss man differenzieren: Zwar bleibt Catherine Muir als vorgebliche ‚Heldin‘ blass und ihre Schwester ein hirndumpfes Häschen. Allerdings können die Männer in dieser Geschichte ebenfalls keine Vorbildfunktion beanspruchen. Geoffrey Trent ist ein beschränkter, charakterschwacher Schönling, der nie bemerkt, dass man ihn manipuliert und instrumentalisiert, und Butler Flaxman ein gieriger, dummer Erpresser, der bekommt, was er verdient. Die männliche Bevölkerung von Bleake blamiert sich als Haufen bildungsferner, auch sonst beschränkter Zeitgenossen, die ‚ihre‘ Frauen gern mit Rute und Faust an die Kandare nehmen.
Hölle Nachbarschaft
Interessanterweise bilden die Frauen von Bleake keineswegs eine solidarische Front. Wentworth gelingt (unfreiwillig?) das Bild einer Dorf-‚Idylle‘, in die man keineswegs geraten will! Jede/r beobachtet und belauert jede/n. Wer aus der Reihe tanzt und sich dem würgend engen moralischen Gemeinschaftskodex entzieht, darf und ‚muss‘ bestraft und auf den rechten Weg zurückgeführt (oder -geschleift) werden! Dies führt zu einer erstaunlich bitteren, dichten Passage, in der ein mit den Verhältnissen vertrauter Polizist eine verstockte, selbstgerechte, verklemmte Dörflerin verhört, indem er diese Vorurteile bedient und sie austrickst, um ihr fallrelevantes Wissen zu entlocken.
Nur gesellschaftlicher Status und Vermögen bieten einen ‚Ausweg‘, weshalb sich die süchtige Allegra, die ungestüme Margot oder die verarmte, aber dennoch ‚bessere‘ Miss Falconer nicht dem Dorf-Zwang unterwerfen müssen. Bemerkenswert ist das Fehlen jenes humorvollen Untertons, der im klassischen englischen Krimi den Auftritt treuherzig-unterbelichteter Unterschicht-Vertreter begleitet. Wentworth meint es offensichtlich ernst!
In dieses Bild passt Miss Silver. Die Werbung verkauft sie gern als Vorbild für spätere Ermittlerinnen im Rentenalter, was zwar zutrifft, wobei jedoch (absichtlich) der eigentliche Schnittpunkt ausgeblendet wird: Sowohl Maud Silver als auch Jane Marple nutzen ihren Status als liebenswerte, nette, harmlose, schwatzhafte Greisin, um Verbrecher zu jagen, die dann am Galgen enden. Wentworth gibt sich keine Mühe, Miss Silvers Jagdtrieb zu bemänteln, und geht noch weiter. Maud Silver hat einen messerscharfen Verstand sowie ein Gespür für emotionale Schwingungen und Untertöne, obwohl sie selbst empathielos ist. Als Privatermittlerin geht sie einem Job nach, lässt sich gut bezahlen und ist gut vernetzt. Miss Silver strickt gern und setzt auch als Detektivin ihre oft erprobten Maschen ein. Nur die Tatorte ändern sich: Fans mögen es nicht, wenn man ‚ihren‘ Lesestoff auf den Kopf stellt. Dass sich Miss Silvers Fälle ähneln, ist kein Manko, sondern wurde erwartet.
Fazit
In diesem „Lady-Thriller“ der frühen 1950er Jahre halten sich altmodische Melodramatik und Krimispannung in etwa die Waage. Die routiniert vorangetriebene Handlung wird mit (Schauer-) Effekten versehen und weist Längen auf, doch dafür entschädigen Passagen, in denen Krimi-Klischees gegen den Strich gebürstet werden: nicht der von der Werbung angepriesene, schlaff-‚gemütliche‘ Rätsel-Krimi, sondern mit einigen Widerhaken versehen.
Patricia Wentworth, Walter
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