Sixtinische Verschwörung
- Bastei Lübbe
- Erschienen: Januar 1988
- 19
- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1988, Seiten: 279, Originalsprache
- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1991, Seiten: 279, Originalsprache
- Augsburg: Bechtermünz, 1999, Seiten: 252, Originalsprache
- München: audio media, 2007, Seiten: 3, Übersetzt: Joachim Kerzel, Bemerkung: gekürzt
Hinein in die verstaubten Geheimarchive des Vatikans
"Was weißt du, mein Sohn, von Michelangelo..." fragt der alte Mönch namens Jeremias in den beschaulichen Gärten eines abgelegenen Klosters seinen Besucher. Und als er das Interesse seines Gastes erkennt, beginnt er eine unglaubliche Geschichte über die Kirche und den Glauben zu erzählen, die ihren Anfang zu Beginn des 16. Jahrhunderts nimmt, als der überragende Künstler Michelangelo mit der Ausmalung der sixtinischen Kapelle in Rom beauftragt wurde.
Michelangelo, der sich Zeit seines Lebens mehr als Bildhauer denn als Maler sah, wird gegen seinen Willen vom mächtigen Papst Julius II zur Übernahme dieses Auftrags gezwungen, dessen Ergebnis zu den größten Kunstwerken der damaligen Epoche zählt und zahlreiche Besucher anlockt. Michelangelo hat zwar keine Möglichkeit, sich gegen den Willen des Papstes aufzulehnen, aber er entwickelt einen raffinierten Plan, mit dem er sich an der Kirche zu rächen gedenkt.
Sixtinische Kapelle: Eine Botschaft in den Buchstaben an der Decke?
Jahrhunderte später werden bei Restaurierungsarbeiten an den Deckengemälden der sixtinischen Kapelle verschiedene, übermalte Buchstaben entdeckt, die Rätsel aufgeben. Man vermutet sofort, dass Michelangelo, dessen Konflikt mit der kirchlichen Macht bekannt ist, seine Finger im Spiel hat und befürchtet in den Buchstaben eine Botschaft, die der Kirche irreparablen Schaden zufügen könnte.
Der unbestechliche Kardinal Jellinek wird mit der Lösung des Rätsels beauftragt, die er in alten aufbewahrten Dokumenten über Michelangelos Vergangenheit vermutet. Seine Recherchen in den vatikanischen Geheimarchiven führen ihn auf die Spur der unrühmlichen Verstrickung der katholischen Kirche in die Flucht hochrangiger SS-Prominenz nach dem 2. Weltkrieg und den plötzlichen Tod des 33-Tage-Papstes Johannes Paul I bis hin zu den Erkenntnissen eines jüdischen Kabbalisten des 13. Jahrhunderts, der ein Geheimnis hütete, das die christliche Glaubenslehre in den Grundfesten erschüttern könnte...
Grenze zwischen Fakten und Fiktion in schwer durchschaubarer Weise verwischt
Der 1941 geborene Philip Vandenberg beschert uns seit 1976, als er dem Journalismus zugunsten der freien Schriftstellerei entsagte, eine abwechslungsreiche Mischung aus historischen Abenteuerromanen und populärwissenschaftlichen Geschichtsbüchern. Dem studierten Kunstgeschichtler und Germanisten hat es in erster Linie die Ägyptologie und sonstige antike Welt angetan, die er in leicht zugänglichen Sachbüchern und exotischen Spannungsromanen einem breiten Publikum zugänglich macht. Zudem widmet er sich auch vermehrt der Aufklärung und Entmystifizierung moderner Geschichtslegenden, wobei er die Grenze zwischen Fakten und Fiktion in schwer durchschaubarer Weise verwischt.
Genau diese Fähigkeit bringt ihm auch aus Forscherkreisen immer wieder Kritik ein. Vandenberg bedient sich vorwiegend spektakulärer und keineswegs immer belegter historischer Versionen, die in ein Weltbild passen, das genug Raum für phantastische Ausmalungen und literarische Interpretationen gibt.
Spannende, fantasievolle Unterhaltung mit einer Portion Geschichtsunterricht
Während sein Ruf als seriöser Historiker meines Erachtens zu Recht umstritten ist, muss man sein Gespür für mitreißende Stoffe anerkennen. Ein Roman von Philipp Vandenberg bedeutet fast immer spannende, fantasievolle Unterhaltung mit einer Portion Geschichtsunterricht, die kritischen Lesern jedoch eine gehöriges Maß an Ignoranz gegenüber der mit einigen wirkungsvollen Übertreibungen vollzogenen Geschichtsfälschung abfordert.
Mit "Sixtinische Verschwörung" entführt uns Vandenberg in die Zeit des Pontifikats Johannes Paul II, der jedoch nur namentlich in Erscheinung tritt. Er geleitet uns in die verstaubten Geheimarchive und musealen Räumlichkeiten des Vatikans und lässt uns an den außerordentlichen Konzilien der klerikalen Machthaber, die sich zur Lösung des mysteriösen Buchstabenrätsels in den Fresken der sixtinischen Kapelle an einem Tisch einfinden, teilhaben.
Ein Blick hinter die verborgenen Kulissen
Obwohl der Roman mit wenig aktionsreicher Handlung ausgestattet ist, gelingt es Vandenberg, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Hierbei hilft ihm sicherlich die Neugierde des Lesers an den hinter hohen Mauern verborgenen Machenschaften der Kurie weiter. Er gewährt Einblicke hinter die Kulissen einer Welt, die einem normal Sterblichen verborgen bleibt und die sich doch gar nicht so sehr von dem weltlichen Lebensraum unterscheidet.
Machtkämpfe und Intrigen sind in Vandenbergs Kirche genauso an der Tagesordnung wie Selbstzweifel und Begierden. Und selbst vor der Vertuschung unliebsamer Tatsachen und Eliminierung kritischer Glaubensgefährten machen die Männer, die eigentlich Nächstenliebe, Enthaltsamkeit und Bescheidenheit predigen sollen, nicht Halt, aber solches dürfte kaum einen Leser noch ernsthaft erschüttern; greift es doch auf vielzitierte Klischees und nur allzu oft traurige Wahrheiten zurück.
Vandenberg wartet mit einem spektakulären Ende der Geschichte auf, das zumindest aus klerikaler Sicht die Panik und Unsicherheit der Kirchenmänner angesichts der acht Buchstaben erklärt, wenn es auch keineswegs jede Maßnahme und Reaktion rechtfertigt.
Wie wackelig sind Entdeckungen? Wie selbstverständlich christliche Dogmen?
Nur anfangs schien mir die wahre Bedeutung von Michelangelos Hinweis, die ich hier keineswegs vorwegnehmen möchte, wenig aufregend. Erst nach längerer Überlegung wird aber doch die Brisanz klar. Es ist schon beunruhigend, wie selbstverständlich manche christliche Dogmen auch ohne besondere Gläubigkeit von den Menschen Besitz genommen haben, auf welch wackligen Füßen diese angesichts wissenschaftlicher Neuentdeckungen stehen und wie stark sich der Wegfall kirchlicher Grundsätze auf die menschliche Lebensphilosophie auswirken kann.
Dass das Buch zu einem kritischeren Umgang mit religiösen Glaubenslehren welcher Seite auch immer aufruft, ohne dankenswerterweise den Glauben und die Gläubigen an sich zu verunglimpfen, ist möglicherweise eine Überinterpretation. Andererseits bedient sich Vandenberg hier gezielt eines sensiblen Lebensbereichs, dessen Gedankengut den meisten Lesern vertraut sein dürfte. Er erreicht so, dass der Leser nach der Lektüre doch einen Moment innehält und über den Stellenwert des Glaubens und die Glaubwürdigkeit der Kirche nachdenkt.
Papstmord und Nazi-Goldschatz
Der Versuch, zwischen Realität und Fantasie zu trennen, dürfte wieder einmal scheitern. Papstmord und Nazi-Goldschatz sind zum Beispiel bekannte historische Legenden, aber inwieweit Vandenberg den derzeitigen Stand der Forschungen um eigene Ideen oder Gerüchte angereichert hat, vermag außer einem Fachmann wohl kaum einer beurteilen können. Jedenfalls wartet die Öffentlichkeit immer noch auf befriedigende und abschließende Erklärungen.
Vandenberg hingegen wartet nicht mehr. Er gibt Antworten. Oftmals erdachte Antworten. Also kein Wunder, dass so viele Leser entzückt darüber sind und ihn so viele Wissenschaftler verdammen.
Das Buch erfordert im Gegensatz zu manch anderen Werken des Autors einige Konzentration, da Vandenberg viel Zeit in die Aufzählung der verschiedenen italienischen Namen und kirchlichen Bezeichnungen investiert hat. Der geschichtliche Kontext bleibt auf den nicht einmal 300 Seiten übersichtlich und eher oberflächlich, streift er doch mehrere Jahrhunderte kirchlicher Entwicklung im Schnellverfahren. Dennoch gibt der Roman das Gefühl dazugelernt zu haben.
Grundlegende Fragen der Christenheit - und der Integrität ihrer Vertreter
"Sixtinische Verschwörung" reiht sich nahtlos in ein Genre ein, das man am treffendsten mit der Bezeichnung Vatikan-Mystery überschreibt und welches sich mit den üblichen Mitteln eines Spannungs- und Wissenschaftsthrillers mit den grundlegenden Fragen der Christenheit und der Integrität ihrer Vertreter beschäftigt.
Mag dieser Roman aufgrund seines gestrafften Umfangs und der schnörkellosen Gradlinigkeit auch nicht zu den herausragendsten Werken über vatikanische Machenschaften gehören, hat er mir doch einen über mehrere Stunden anhaltenden Lesegenuss voller Spannung und Faszination beschert und gehört sicherlich zu den interessantesten Romanen des Geschichtenerzählers Vandenberg.
Philipp Vandenberg, Bastei Lübbe
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