Chinesische Mandarinen
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1935
- 3
- New York: Stokes, 1934, Titel: 'The Chinese Orange Mystery. A Problem in Deduction', Seiten: 300, Originalsprache
- Leipzig: Goldmann, 1935, Seiten: 225, Übersetzt: Hans Herdegen
- München: Goldmann, 1951, Seiten: 216, Übersetzt: Hans Herdegen
- München : Goldmann Verlag 1958 [Goldmanns Taschen-Krimi 137]. Übersetzung: Hans Herdegen. 201 Seiten.
- Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1981, Seiten: 155, Übersetzt: Sabine Hammer
Unmöglicher Mord - auf links gedreht
Familie Kirk gehört zum gesellschaftlichen Adel der Stadt New York zählt und logiert standesgemäß im 22. Stock des Nobel-Hotels „Chancellor“. Vater Hugh gilt als renommierter Philologe, Sohn Donald ist ein bekannter Sammler kostbarer Briefmarken und Edelsteine. Außerdem führt er zusammen mit seinem Geschäftspartner Felix Berne den „Mandarin“-Verlag für teure Kunstbücher spezialisiert hat. Schwester Marcella ist einfach eine Zierde ihres Geschlechts und wird bald den smarten und reichen Glenn Macgowan heiraten.
Als sich eines Tages ein unbekannter Herr vorstellt, hält Donald Kirks Privatsekretär James Osborne ihn für einen Sammler oder Verkäufer und setzt ihn in den Warteraum. Als Kirk heimkehrt, findet er diesen von innen fest verschlossen. Hinter der endlich geöffneten Tür liegt der Fremde: tot, weil mit einem Schürhaken erschlagen. Seltsamerweise wurde ihm die Kleidung aus- und dann verkehrt herum wieder angezogen. Gestohlen wurde nichts.
Zufällig ist Ellery Queen, der bekannte Kriminalschriftsteller und Amateurdetektiv, ein Freund der Kirks. Bald steht für ihn fest: Der Mörder gehört entweder zur Familie oder ist einer der Freunde und Bediensteten, die in der 22. Etage ein- und ausgehen. Sie alle haben etwas zu verbergen, wie Queen im Laufe seiner Ermittlungen herausfindet. Wer war der Tote, was wollte er, warum hat man ihn so zugerichtet? Dies muss etwas zu bedeuten haben, doch bis Queen des Rätsels erstaunliche Lösung findet, gibt es noch viele Turbulenzen ...
Ein weiterer Mord im verschlossenen Raum
Klassischer geht’s sicherlich nicht: An isolierter Stätte ereignet sich ein eigentlich unmöglich zu realisierender Mord; die Zahl der Verdächtigen ist überschaubar, und eine/r muss es gewesen sein. Ein typischer Rätsel-Krimi aus der guten, alten Zeit, also aus der „Goldenen Ära“ des Genres, die den Zweiten Weltkrieg in dieser Reinheit nicht lange überlebte. Die grundsätzlichen Konstanten stehen fest, nun liegt es am Verfasser die Handlung so zu variieren, dass sie das Interesse des Publikums bindet. Ellery Queen bedient sich der üblichen Methode: Er reichert das Geschehen durch möglichst bizarre Elemente an.
Da ist vor allem der Mord selbst. Dass er in einem Raum stattfindet, der von innen verriegelt wurde, ist quasi eine Selbstverständlichkeit. Dies reicht aber nicht; im Zimmer selbst geschieht Seltsames. Man darf sich nicht an den Unwahrscheinlichkeiten stören. Sie gehören zum „Whodunit“, der die schnöde Realität des Alltags vorsätzlich ausschließt und ausschließen darf. Der Spaß am ‚schönen‘ Mord steht im Mittelpunkt. Dabei bleiben die Autoren stets fair. Queen macht da keine Ausnahme: Er legt alle Indizien pflichtgetreu seinen Lesern vor. Sie haben folglich theoretisch die Chance, gemeinsam mit dem Detektiv den Fall zu lösen oder ihn womöglich sogar zu übertrumpfen.
Praktisch wird das wohl nicht geschehen. Das Publikum möchte ohnehin lieber überrascht werden. Da ist jeder Trick recht und billig. Also konstruiert Queen ein vielteiliges Mordkomplott, das zwar höchst unterhaltsam, aber hochkompliziert und letztlich schwer nachvollziehbar ist. Es wird gelöst, doch man muss in Sachen Logik recht große Zugeständnisse machen.
Die Personen-Pyramide des Rätsel-Krimis
Die Riege der Darsteller gliedert sich in drei Gruppen. Da haben wir zunächst den genialen Detektiv und seinen treuen Gehilfen. Ellery Queen ist ein dandyhafter, lebenslustiger Sherlock Holmes, sein Vater, Kriminal-Inspektor Richard Queen, allerdings nur bedingt Dr. Watson. Zwar überlässt er dem Sohn die Initiative, aber er hält ihn an der (langen) Leine, bleibt selbst aktiv und vermittelt zwischen Detektiv und Polizei.
Gruppe Zwei umfasst die Verdächtigen. Sie sind uns aus anderen Krimis ebenfalls bekannt: scheinbar normale Zeitgenossen, die indes düstere oder peinliche Geheimnisse hüten, doppelte Identitäten offenbaren und sämtlich irgendwie miteinander verbandelt oder verfeindet sind.
Außerdem haben wir das typische Krimi-Fußvolk; hier Inspektor Queens Untergebene, die für ihn und Ellery die polizeiliche Drecksarbeit leisten, welche notwendig aber nur bedingt unterhaltsam für die Leser ist, sowie im Haushalt der Kirks allerlei Butler, Köche und Diener, die ebenfalls recht anonym ihren diversen Tätigkeiten nachgehen und ihre Auftritte haben, wenn es gewisse Tatbestände zu klären gilt.
Alle arbeiten redlich in dem Bemühen zusammen, den langen Weg bis zur Auflösung des Rätsels möglichst geistreich zu gestalten. Dies gelingt so erfolgreich, dass „Chinesische Mandarinen“ viele Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung seinen Unterhaltungswert nicht nur behalten, sondern durch das Element der Nostalgie eine glanzvolle Patina erhalten hat.
„Chinesische Mandarinen“ im Film
„The Chinese Orange Mystery“ wurde bereits 1937 unter dem Titel „The Mandarin Mystery“ verfilmt. Unter der Regie des Routiniers Ralph Staub (1899-1969) entstand ein typisches B-Movie, das in den Kinos vor dem eigentlichen Hauptfilm lief: professionell, aber kostengünstig und oft in Serie heruntergekurbelt, selten länger als eine Stunde. Eddie Quillan (1907-1993) spielt Ellery Queen und gilt als fürchterliche Fehlbesetzung. Auch sonst hält die Kritik wenig von diesem Streifen, der von den Columbia-Studios um des Profits willen auf ‚witzig‘ getrimmt wurde. (Interessant Rande: Wade Boteler, der den Inspektor Richard Queen mimt, starb 1943 im Alter von 55 Jahren an einer Herzattacke, was nicht wundert, listet sein Lebenslauf doch 419 Filme auf, in denen er in nur 25 Jahren mitgespielt hat!)
Fazit
„Whodunit“-Krimi aus der „Goldenen Ära“ dieses Genres, komplex und liebevoll abgedreht, in Handlung und Personal Krimi-Klassik pur, dazu spannend und witzig: ein Schmuckstück!
Anmerkung: „Chinesische Mandarinen“ gehört zu den Ellery Queen-Romanen, die schon lange vom Buchmarkt verschwunden sind. Antiquarisch sollte der Krimifreund auf die Ausgabe/n des Goldmann-Verlags zurückgreifen. Diese ist - keine Selbstverständlich! - ungekürzt und die Übersetzung, obwohl angejahrt, erstaunlich lesbar. Die jüngere Ullstein-Ausgabe ist eine Neuübersetzung, aber die deutliche Differenz in der Seitenzahl deutet darauf hin, dass hier wieder einmal der Text auf die normierte Seitenzahl zusammengestutzt wurde.
Ellery Queen, Goldmann
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