Tod am Jangtse
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2004
- 4
- New York: Random House, 2003, Titel: 'Dragon bones', Seiten: 348, Originalsprache
- München: Blanvalet, 2004, Seiten: 447, Übersetzt: Elke Link
faszinierende Geschichte mit aktuellem Bezug
Der Bau des Drei-Schluchten-Staudamms in China ist ein weltweit heftig diskutiertes Projekt, nicht nur wegen seiner ökologischen Konsequenzen. Mehr als eine Million Menschen wird gezwungen umzusiedeln und es wird vermutet, dass die ihnen versprochenen Gelder zur Entschädigung zum Teil in die Taschen von Funktionären fließen, die ihre Familienangehörigen auf die Empfängerliste setzen. Zudem wird es der Regierung definitiv nicht gelingen, bis zum Abschluss des Projekts alle archäologischen Kulturgüter zu retten, die in den Fluten untergehen werden, auch wenn man sich mit zahlreichen Ausgrabungsstätten auf den Wettlauf mit der Zeit eingelassen hat.
Dies ist der Kontext, in den Lisa See einen spannenden Krimi einbettet, der damit weitaus mehr bietet, als die Ermittlungen in einem Mordfall. Die Geschichte beginnt allerdings relativ harmlos mit dem Fund einer Leiche an den Ufern des Jangtse. Inspektorin Liu Hulan vom Ministerium für Öffentliche Sicherheit, Chinas Pendant zum FBI, erhält von ihrem Vorgesetzten die Aufgabe, die Leiche zu identifizieren, was sie schnell erledigt. Bei dem Toten handelt es sich um den Amerikaner Brian McCarthy, der an der Ausgrabungsstelle 518 dem Fluss zum Opfer gefallen ist. Gleichzeitig wird ihr Mann, der amerikanische Rechtsanwalt David Stark, vom Direktor des Staatlichen Amtes für Kulturdenkmäler damit beauftragt, das Verschwinden von Fundstücken eben an dieser Ausgrabungsstätte in der Nähe der Qutang-Schlucht zu untersuchen. David ist verwundert über die geforderte Zusammenarbeit mit seiner Frau, obwohl sich schon bei einigen Fällen gezeigt hat, dass sie sich gut ergänzen. Allerdings wurde ihre Beziehung vom Tod ihrer Tochter stark in Mitleidenschaft gezogen.
Vizeminister Zaim, Hulans Chef und Mentor, offenbart ihm sein vermeintliches Motiv: David und seine Frau sollen die gemeinsame Zeit nutzen, wieder zueinander zu finden. Und da Hulan gerade das Augenmerk der Öffentlichkeit auf sich gezogen hat, indem sie bei einer Versammlung der Urpatriotischen Vereinigung (kurz UVP) auf dem Tiananmen-Platz eine Frau daran hindern wollte, ihr Kind zu opfern, was allerdings mit dem Tod der Mutter endete, ist es besser, sie hält sich eine Weile außerhalb der Hauptstadt auf. Als eine Ausländerin, die sich bei den Archäologen aufhielt und auch mit Brian ein Verhältnis hatte, in ihrem Zimmer tot aufgefunden wird, vermutet Hulan einen Zusammenhang mit der gegen sie gerichteten Drohung der UVP, so stark ist sie davon besessen nachzuweisen, dass mehr hinter dieser Religionsgemeinschaft steckt. Dieser zweite Mord während ihrer Ermittlungen sollte sie wohl diskreditieren und ihre Unfähigkeit offenbaren. Doch es zeigt sich, dass die Geschehnisse im Tal von weitaus größerer Tragweite sind...
Komplex und spannend zugleich
Lisa See zeichnet ein faszinierendes Bild Chinas und wirft mit ihrem Buch einen Blick auf viele verschiedene Themen, ohne damit ihre Geschichte zu überladen. Mit der Reichhaltigkeit der Story offenbart sie eine sehr gute Kenntnis nicht nur des modernen Chinas, sondern auch der chinesischen Mythen, z.B. über die Erschaffung der Schluchten durch Yu, der damit die Fluten des Wassers beherrschen wollte. Sie thematisiert die unterschiedlichen Interessen beim Bau des Staudamms ebenso wie den Schmuggel von chinesischen Kulturgütern ins Ausland, Probleme zwischen Ausländern und Einheimischen und religiösen Fanatismus. Die Story ist spannend und komplex und sie fordert den Leser mit jeder Seite, die man umblättert. Man muss aufmerksam bleiben.
Einzig der Einstieg ist schwierig, wenn man in dieser Kürze das Vorleben der beiden Protagonisten geschildert bekommt: Hulans Kindheit als Rote Prinzessin, der Aufenthalt im Arbeitslager während der Kulturrevolution, wie sie David kennenlernt, ihre Jahre in Amerika und wie sie ihren Vater verraten hat. Diese Zusammenfassung auf nur zwei Seiten ist für denjenigen, der Tod am Jangtse, das dritte Buch der Serie, als erstes liest, ein wenig zu knapp gehalten, ist die Vergangenheit der Inspektorin doch Grundlage für ihr Verhalten und wird immer wieder aufgegriffen. Ich kann nur vermuten, dass hier der erste Band der Serie den Background der Figuren ausführlicher beschreibt. Nichtsdestotrotz ist ihre Schilderung lebensnah und echt, auch wenn die Neugier in diesem Punkt unbefriedigt bleibt.
Aktueller Bezug der Geschichte fesselt
Asien übt durch seine Andersartigkeit auf viele eine große Anziehungskraft aus. Lisa See öffnet mit ihrem Roman einmal mehr dieses Mysterium. Profunde Kenntnisse über die Geschichte des Landes kann und will dieses Buch sicher nicht vermitteln, aber die von ihr eingebundenen Themen geben einen tiefen Einblick in das Leben und die Probleme im heutigen China, noch dazu mit einem sehr aktuellen Bezug - dem Bau des Drei-Schluchten-Damms. Wer eine Krimi-Reise in ein exotisches Land unternehmen möchte, dem sei Tod am Jangtse hiermit ans Herz gelegt.
Lisa See, Blanvalet
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