Der sechste Passagier
- Zsolnay
- Erschienen: Januar 2004
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- Stockholm: Bonnier, 2002, Titel: 'Den sjätte passageraren', Seiten: 213, Originalsprache
- Wien: Zsolnay, 2004, Seiten: 288, Übersetzt: Kristina Maidt-Zinke
- München: dtv, 2006, Seiten: 285
Kallifatides legt seine Charaktere schonungslos offen
Bereits auf den ersten drei Seiten wird deutlich, wie offen Kallifatides seine Charaktere vor dem Leser ausbreitet. Was tut eine Kommissarin an einem sonnigen Sonntagnachmittag? Sie liegt im Schatten unter einer Eiche und befriedigt sich selbst, als just zum Zeitpunkt ihres Orgasmus ein Privatflugzeug unter großem Lärm ganz in der Nähe abstürzt.
Nun, Christina Vendel hat an ihrem freien Tag sowieso nichts besonderes vor und begibt sich schnurstracks an den Unglücksort, den Getarsee, in den die kleine Propellermaschine hineingestürzt ist. Taucher bergen insgesamt sieben Leichen. Der Pilot und fünf seiner Passagiere können anhand ihrer Ausweispapiere problemlos identifiziert werden. Ob es ein Fehler der Übersetzung ist, weiß ich nicht, aber bei der Auflistung der Name und des Alters der Toten ist einer völlig vergessen gegangen; nicht tragisch, aber man stutzt an der Stelle erst mal.
Der nächste Schritt führt die Polizei zur Besitzerin der kleine Fluggesellschaft. Auch dort ist nur von fünf Passagieren die Rede, die in Amsterdam gestartet sind und in Stockholm landen wollten. Doch wer ist der "sechste Passagier"? Ein schwarzhaariger Junge, dessen Hautfarbe seine Herkunft aus Indien vermuten lässt. Zu welchem der anderen Passagiere gehört der Junge? Hat man es hier mit einem Pädophilieskandal zu tun? Die Ermittlungen ergeben nichts und so wird die Leiche nach einigen Tagen eingeäschert und als unbekannt bestattet.
Kurze Zeit später werden in einer verfallenen Kirche die Leichen zweier Jungen gefunden. Ihre Gesichter waren bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen, die Körper zerhackt und im Brustkorb gähnte ein großes Loch, doch ließ ihre Hautfarbe auf die gleiche Herkunft wie bei dem Jungen aus dem Flugzeug schließen. Handelte es sich hier um das Werk von Satanisten? Besteht ein Zusammenhang mit dem sechsten Passagier?
Die Ermittlungen ergeben auch hier keinen Anhaltspunkt. Der Fall gerät zur Nebensache, denn Kristina Vandel ermittelt weiter im eigentlich abgeschlossenen Flugzeugabsturz. Nicht sehr realistisch, wie der Autor seine Protagonistin vorgehen lässt. Selten hat in einem Kriminalroman ein Polizist so wenig zu tun, dass er sich solche Freiräume erlauben kann. Auch sieht man als Leser überhaupt keinen Grund, die Angehörigen von Unfallopfern so zu befragen, als ob ein Verbrechen vorläge.
Kurze Kapitel - meist über fünf Seiten - lassen nie einen Leserhythmus aufkommen, denn die Spannung steigt kaum soweit an, dass man Schwierigkeiten bekommen könnte, das Buch am Ende eines Kapitels zuzuklappen.
Einerseits handelt es sich zwar um einen reinen Polizeiroman, doch hat man eher den Eindruck, dass der Autor nur einen Krimi über sein literarisches Werk gelegt hat, mit dem er eigentlich ganz andere Dinge aussagen will, die man sich mühsam aus den auffälligen Nebensächlichkeiten zusammenreimen kann. Fast alle Charaktere von Kallifatides sind wie er selbst Einwanderer: Deutsche in Schweden, Italiener in Holland oder Holländer, die überhaupt keine Heimat haben. Eine multikulturelle Gesellschaft ist ebenso Thema wie das Scheitern von Beziehungen. Auch hier baut der Autor auf Übertreibungen. Es gibt keine intakten Beziehungen in seinem Buch. Die Polizistinnen sind allesamt geschieden und die Staatsanwältin hatte ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Und um dem Ganzen noch eines draufzusetzen, gibt es auch noch jede Menge Sexopfer. Kaum jemand, der nicht bereits einmal vergwaltigt wurde und als Kind vom Vater mißbraucht wurde. Als Krönung der philosophischen Betrachtungen folgen dann am Ende noch Gedanken über den Sinn und den Wert des Lebens im Allgemeinen.
Bis in die tiefsten Abgründe legt Kallifatides die Charaktere seiner Figuren schonungslos offen vor dem Leser aus. Allzu viele gesellschaftliche Aspekte werden kritisiert. In bester schwedischer Krimiliteraturmanier verbreitet der aus Griechenland eingewanderte Autor melancholische bis depressive Stimmung und regt zum Nachdenken an. Doch der Kriminalfall an sich ist bestenfalls Mittelmaß.
Theodor Kallifatides, Zsolnay
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