Die Liste
- Random House Audio
- Erschienen: Januar 2004
- 48
- Köln: Random House Audio, 2004, Seiten: 6, Übersetzt: Charles Brauer, Bemerkung: gekürzt
- Augsburg: Weltbild, 2005, Seiten: 479
Bei Grisham nichts neues
Die Geschichte einer kleinen Provinzzeitung in Mississippi und die ihres Verlegers Willie Traynor drängt das Verbrechen in John Grishams aktuellem Bestseller "Die Liste" fast ein wenig in den Hintergrund. Nach "Die Jury" und "Der Richter" hat der Autor zum dritten Mal das Geschehen seines Romans in die Kleinstadt Clanton nach Mississippi verlegt.
Als gescheiterter Student kommt der junge Willie Traynor, der als Ich-Erzähler des Romans fungiert, aus Syracuse in die Südstaaten-Kleinstadt, wo er einen Job bei der "Ford County Times" annimmt. Als die Zeitung wenig später in Konkurs geht, leiht sich Willie von seiner reichen Großmutter 50.000 Dollar und kauft die Zeitung auf. Daß er seine Sache gut macht, das macht sich an der langsam, aber stetig steigenden Auflagenhöhe bemerkbar.
Großen Anteil am Aufstieg des Blattes hat natürlich auch die reißerisch aufgemachte Berichterstattung vom Mord an Rhoda Kasellaw. Die alleinerziehende Mutter zweier kleiner Kinder wurde in ihrem Haus vor den Augen der Kinder überfallen, vergewaltigt und mit zwei Messerstichen getötet. Kurz bevor sie stirbt, kann sie noch den Namen des Mörders nennen. Der Täter Danny Padgitt wird gefasst, als er auf der Flucht vom Tatort mit seinem Auto verunglückt. Doch er leugnet die Tat. An den abgeschottet lebenden Padgitt-Clan ist nur schwer heranzukommen, da die von illegalen Geschäften lebende Familie mit ihrem Geld nicht nur den Sheriff in der Hand hat, sondern sich auch mühelos Zeugen kaufen kann.
Daß sich Willie mit seinem Bericht aber nicht nur Freunde gemacht hat, erkennt er schnell in der Kautionsverhandlung. Padgitts Anwalt, der unsympathische Lucien Wilbanks, wirft Willie Vorverurteilung vor, was aber dennoch nicht verhindern kann, dass sein Klient in Haft bleibt.
Recht unmotiviert führt Grisham dann weitere Personen der Handlung ein: den Anwalt Harry Rex Vonner, den der Grisham-erfahrene Leser ebenso wie Richter Atlee, der einen Kurzauftritt hat, bereits aus früheren Romanen kennt und Callie Ruffin, Mutter einer farbigen Familie, die später als Geschworene im Prozess gegen Padgitt auftreten muß.
Die Verhandlung geht recht schnell vonstatten. Nachdem Padgitts Entlastungszeugin der Falschaussage überführt wird, wird der Angeklagte schuldig gesprochen, woraufhin dieser Rache schwört. Doch bei der Beratung über das Strafmaß können die Geschworenen keine Einigung erzielen, so daß Padgitt mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe davon kommt, was im Staat Mississippi etwa soviel wie 10 Jahre Gefängnis bedeutet.
Jubel bei Grishams Fans: Der Meister ist nach Ausflügen in andere Gefilde in die Gerichtssäle zurückgekehrt. Dennoch lässt sich "Die Liste" nicht mit den Justiz-Thrillern seiner Frühzeit vergleichen, denn die eigentlichen Verhandlungen, die dem Autor vertraut sind und aus denen seine Romane die meiste Spannung beziehen, nehmen nur einen geringen Teil des Buches ein.
Und wie meist bei Grisham steht wieder mal ein junger emporstrebender Mann im Mittelpunkt der Handlung, diesmal jedoch kein Jurist. Doch anders als gewohnt bringt der Autor seinen Protagonisten nicht einmal in Gefahr. Er schafft es einfach nicht mehr, sein Publikum wirklich zu fesseln. Es scheint fast, als hätte er die simpelsten Praktiken des Spannungsaufbaus total verlernt.
"Die Liste" ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Mit Bestsellern wie "Die Firma" hat sein aktueller Roman nicht viel zu tun. Und eine nette Geschichte erzählen, das hat Grisham in "Die Farm" wesentlich besser, flüssiger und tiefgründiger gemacht. Es mag ja ganz interessant sein, wie Willies Zeitung stetig wächst. Nette Episoden sind ganz unterhaltsam, Ansichten über den Vietnamkrieg bereits ausgelutscht und die Veränderung der Stadt durch das neue Einkaufszentrum wird nur angerissen. Doch alles dies lenkt den Leser immer wieder vom zentralen Geschehen ab. Auch weitere Themen wie die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß oder moralische Betrachtungen über die Todesstrafe werden in wenigen Sätzen abgetan. Charaktere mit wenig Tiefgang kennt man von Grisham, verzeiht sie ihm aber, wenn die Handlung fesselt.
Und so plätschert das Geschehen über 400 Seiten lang dahin, bis man zum Schluß wenigstens noch eine Überraschung erlebt, wenn auch das Ende dann relativ schnell abgehandelt wird.
Fazit: Wieder nichts Neues bei Grisham. Spannung Fehlanzeige. Justizthriller nur im Ansatz. Vieles angerissen, nichts durchdacht. Wer mit dem Gedanken spielt, "Die Liste" zu kaufen, sollte statt dessen lieber eines von Grishams früheren Werken nochmal lesen.
John Grisham, Random House Audio
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