Der Handschuh
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1969
- 3
- London: Collins, 1966, Titel: 'Death at the Dolphin', Seiten: 287, Originalsprache
- München: Goldmann, 1969, Seiten: 186, Übersetzt: Norbert Wölfl
- München: Goldmann, 1983, Seiten: 186
Ein Hauch von Seinerzeit
Peregrin Jay, gefeierter Regisseur und Dramatiker, hat keinen sehnlicheren Wunsch, als sein eigenes Theater zu gründen. Als das heruntergekommene Dolphin Theater zum Erwerb steht, kennt er nur mehr ein Ziel: um jeden Preis diese einst ruhmreiche Spielstätte zu erwerben und sich seinen Traum zu erfüllen.
Bei der Besichtigung des baufälligen Theaters muss er jedoch der abbruchreifen Bausubstanz Tribut zollen und stürzt durch ein Loch in den Brettern, die die Welt bedeuten, in die Tiefe und droht zu ertrinken. Wenn da nicht so ganz zufällig der undurchsichtige Ölmilliardär Vassily Conducis ebenfalls im Theater Umschau gehalten hätte (immerhin ist er der Besitzer des desolaten Etablissements) und Jay Peregrin aus dem Schlamassel zieht.
Ein Wort gibt das Andere und Conducis und Jay werden sich einig. Conducis renoviert das Theater, Peregrin Jay wird Intendant. Und als kostenlose Leihgabe überlässt Conducis dem Theatermann im Glück auch noch eine wertvolle Reliquie: einen Handschuh, der Shakespeares Sohn gehört hatte. Peregrin ist davon so fasziniert, dass er rund um diesen Handschuh ein Theaterstück schreibt, das im Dolphin Theatre zur Uraufführung kommen muss. Er engagiert die bedeutendsten Shakespeare-Mimen, inszeniert das Stück und lässt zur Schaustellung des Handschuhs im Foyer eine gesicherte Vitrine bauen.
Doch trotz aller Sicherheitsvorrichtungen wird der Handschuh vor der Premiere gestohlen und der Nachtwächter des Theaters ermordet. Niemand Geringerer als Inspektor Roderick Alleyn nimmt die Ermittlungen auf und sofort steht fest: Einer aus dem Ensemble ist der Täter! Aber wer?
Ngajo Marsh, neben Dorothy Sayers und Agatha Christie eine der Grand Old Ladies der britischen Kriminalliteratur, die 1982 in Neuseeland starb, hat mit "Der Handschuh" einen Krimi geschrieben, der in bester Inselmanier den Leser zu vergnügen weiß.
Die Personen dieses Buches sind alle über die Maßen skurril beschrieben. Jeder hat seinen individuellen Spleen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Jeder hat ein Motiv, diesen Mord zu begehen, den Handschuh zu stehlen, und dabei alle anderen zu verdächtigen. Hier wird keine Mühe gescheut, die Menschen nach allen Regeln der Kunst in seine passende Schublade zu pressen, sei es nun der reiche Ölmagnat, der operettenhafte Gockel, der den Bühnensuperstar mimt, ja selbst unser Herr Inspektor agiert in einer Zweidimensionalität, als wäre er der verkörperte Comic-Cop der Sechziger Jahre.
Und bei all diesen Plattitüden, die Ngajo Marsh hier schreiberisch auf den Leser loslässt, ist dieses Buch komfortabel und unterhaltsam in einem Zug zu lesen. Man spürt diesen Hauch von Seinerzeit. Die Leichtigkeit im Schreibstil kommt von einer absolut geradlinigen Erzählart, völlig anders, als dieses temporäre Hin- und Herspringen aktueller Autoren, die immer meinen, es müsste mehr als ein Handlungsstrang laufen, um den Leser zu verwirren. Marsh beweist das Gegenteil. Keine großen Rückblenden, keine Zeitsprünge, einfach nur ein kleiner Diebstahl und ein kleiner Mord und dann lass Leser und Inspektor raten: wer, wann, warum und wieso?
Auch wenn "The Sun" urteilte: "Ngaio Marsh ist die beste Autorin des klassischen englischen Kriminalromans und unter den Krimiköniginnen ist sie die Kaiserin!" kann dies auf den "Handschuh" nicht ganz zutreffen. Keine Frage: "Der Handschuh" ist nette Feierabendkost, unterhaltsam und mit Stil präsentiert, aber er ist auch hoffnungslos veraltert. Mit den heutigen Kriminalromanen kann er nicht mehr mithalten, denn er kann weder genügend Action, noch genügend Spannung aufbauen, um den Leser zu fesseln.
"Der Handschuh" ist eine Reminiszenz an den Krimi von gestern. Er wirkt verstaubt und überholt, aber gerade darin liegt auch sein Reiz, einmal ein paar angenehme Lesestunden mit dem vergnüglichen Flair des in die Jahre gekommenen Krimispaßes aus Old Great Britain zu verbringen.
Ngaio Marsh, Goldmann
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