Der Tote von Exmoor
- Desch
- Erschienen: Januar 1959
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- London: Faber & Faber, 1958, Titel: 'He Should Have Died Hereafter', Seiten: 189, Originalsprache
- München; Wien; Basel: Desch, 1959, Seiten: 222, Übersetzt: Karl Hellwig
- München: Goldmann, 1978, Titel: 'Er hätte später sterben sollen', Seiten: 155, Übersetzt: Renate Meyer
Gediegener englischer Krimi alter Schule
Ungute Kindheitserinnerungen beschleichen den ältlichen Ex-Anwalt Francis Pettigrew, als ihm seine deutlich jüngere Gattin Eleanor als Urlaubsort ausgerechnet den Flecken Sallowcombe am Rand des großen Exmoors nahe der englischen Westküste vorschlägt. Vor einem halben Jahrhundert hatte er dort als Kind am Hang von Bolter's Tussock eine Leiche gefunden, aber im Schreck nie davon erzählt.
Nun kehrt er zurück. Wider Erwarten gefällt es ihm, obwohl der Joliffe-Hof, auf dem das Ehepaar unterkommt, kein glücklicher Ort ist. Der alte Joliffe ist ein Tyrann, seine Tochter Edna wurde von ihrem nichtsnutzigen Gatten John Gorman mit zwei Töchtern sitzen gelassen. Die Gormans selbst sind ein hart am Rande der Legalität versippter Groß-Clan, dessen liebste Beschäftigung das gegenseitige Verklagen ist. Die Feindschaft ist schlimmer denn je, denn der alte Gilbert Gorman, der als reicher Mann gilt, liegt im Sterben. Seine Verwandtschaft lauert auf die Erbschaft.
Pettigrew versucht derweil sein Trauma zu bewältigen. Er stattet Bolter's Tussock einen Besuch ab - und stößt dort wiederum auf einen Toten! In wilder Panik holt Pettigrew Hilfe, doch als er mit einigen örtlichen Honoratioren an den Ort der Untat zurückkehrt, ist dort nichts mehr zu finden. Statt dessen gilt Pettigrew nun als spinnerter Städter.
Ein alter Freund erfährt von seinem Erlebnis: Superintendent Mallett, der sich im Ruhestand in Sallowcombe niedergelassen hat. Er geht der Sache nach, doch inzwischen hat die Polizei am Bolter's Tussock tatsächlich eine Leiche gefunden - die von John Gorman, der im Tod eine bemerkenswerte Mobilität entwickelt. Sein Wiedergängertum scheint eng verknüpft mit dem britischen Erbrecht zu sein. Die Beantwortung dieser Frage entwickelt sich zum beinahe sportlichen Wettlauf zwischen Ermittler und Mörder, bis ein energisches Moorpony mit einem Schlag alle Rätsel löst...
Ein gesetzter Herr sacht fortgeschrittenen Alters macht Urlaub auf dem Bauernhof - bereits die Ausgangssituation signalisiert, dass es in dieser Geschichte ruhig zugehen wird. Unter der rustikalen Oberfläche mit ihren scheinbar einfach gestrickten Bewohnern geht es allerdings heftig zur Sache - auch das nur bedingt subtil zwar, aber wirkungsvoll und für manchen Zeitgenossen mit üblen Folgen.
Willkommen also wieder einmal in der Welt des klassischen britischen Krimis, der sich wenig um die in anderen Sparten des Genres so vergötzte "Psychologie" schert, sondern vor allem ein kunstvoll vertracktes Verbrechen in den Mittelpunkt einer möglichst unterhaltsamen Geschichte stellt. An strategisch günstigen Stellen werden einprägsame Typen postiert. Hier sind es u. a. blasierte Landadlige, komödienstadleske Dorfbürger oder derbes Landvolk mit deutlichen Spuren allzu aktiver Inzucht. (Im Finale, das vor dem Kanzleigericht zu London spielt, gesellen sich paragrafenverliebte Vollblutjuristen hinzu.)
Die Story an sich ist sehr einfach, aber sie wird mit viel Ironie und deutlicher Ortskenntnis und -liebe erzählt. Sehr stimmungsvolle Landschaftsbeschreibungen schweifen nicht ab, sondern charakterisieren das Exmoor und seine nicht ohne Grund etwas wunderlichen Bewohner. Der eigentliche Kriminalfall rankt sich wie so oft bei Hare, der viele Jahre als Jurist arbeitete, um eine der zahllosen Lücken oder Besonderheiten der englischen Gesetzgebung, die, wenn man um sie weiß, außerordentlich kuriose und dem Menschenverstand eigentlich abholde Vorhaben - die in unserem Fall dem berühmten britischen Humor einige gelungene Auftritte verschaffen - inspirieren kann.
Francis Pettigrew ist im Grunde zu beneiden. Obwohl er sich selbst ständig als "alten Mann" bezeichnet, ist er wohl höchstens um die 60 Jahre alt. Schon seit einigen Jahren ist er im Ruhestand und kann sich seinen Hobbys widmen. Zudem ist er verheiratet mit einer sehr viel jüngeren Frau, die ihn tatsächlich liebt. Kinder gibt es nicht, also auch keine familiären Verpflichtungen.
Kein Wunder also, dass dieser den profanen Alltagssorgen enthobene Mann uns ein wenig weltfremd erscheint. Für die Krise ist er nicht geboren, das hat er schon als kleiner Junge bewiesen, als er einen Todesfall verschwieg. In der Gegenwart bringt ihn sein sanfte Versponnenheit mehr als einmal in Verlegenheit. Dabei ist Pettigrew beileibe nicht dumm; in dunkler Nacht bemerkt er so einiges, was nicht für seine Augen bestimmt war.
Aber es bedarf eines Fachmanns, diese Beobachtungen zu sichten. Diese Aufgabe übernimmt Mr. Mallett, der Meisterkriminalist außer Dienst. Er trägt deutlich die Züge des älteren Sherlock Holmes; Hare selbst lässt seine Figuren scherzhaft diesen Vergleich ziehen. Mit außerordentlich scharfem Verstand (wenn auch mit Holmes-untypischen Picknick-Appetit), Fachwissen und der Hartnäckigkeit des wahren Detektivs - irgendwie kann man sich Mallett gar nicht als Polizisten vorstellen, zumal die den Mordfall Gorman bearbeitenden Beamten als ziemlich überforderte Dilettanten beschrieben werden - geht er an die Sache heran. Ansonsten wird er von Hare mit demselben milden Spott bedacht wie die übrigen Figuren: Malletts Haus, auf das er sehr stolz ist, wird als Gruselhort des schlechten Geschmacks dargestellt.
Mrs. Pettigrew spielt - die weiblichen Leser der Jetztzeit mögen es mit Missfallen zu Kenntnis nehmen - nur eine Nebenrolle. Sie ist fixer auf den Beinen als ihr Gatte und besitzt sogar einen Führerschein. Deshalb kann Hare sie auf größere Erkundungstouren durch das Exmoor schicken und zusätzliche Informationen sammeln lassen.
Ansonsten treffen wir wie gesagt auf die üblichen überzeichneten Gestalten des klassischen Krimis. Mancher verbirgt freilich unangenehme, sogar mörderische Züge, aber das hält sich alles im Rahmen des Schicklichen und Unterhaltsamen. "Der Tote von Exmoor" entstand 1958, als der Noir und/oder "Hardboiled"-Krimi mit seinen an Unbarmherzigkeit grenzenden, weil die Abgründe der Seele ausleuchtenden Menschenbildern schon eine eigene Geschichte hatte. Doch Cyril Hare zeigt sich in seinem letzten Kriminalroman noch einmal als Repräsentant einer altmodischen, aber nie wirklich untergegangenen Epoche: Der Kuschel-Krimi hat ihn überlebt und ist in der globalisierten Gegenwart viriler denn je.
Cyril Hare, Desch
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