Im Schutz der Dunkelheit

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2002
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  • New York: HarperCollins, 2000, Titel: 'Under Cover of Darkness', Seiten: 399, Originalsprache
  • München: Ullstein, 2002, Seiten: 510, Übersetzt: Norbert Möllemann
  • Berlin: Ullstein, 2003, Seiten: 510
Im Schutz der Dunkelheit
Im Schutz der Dunkelheit
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2003

Gus Wheatley hat es weit gebracht im Leben - beruflich jedenfalls, denn mit 42 Jahren ist er bereits Geschäftsführer einer der renommiertesten Anwaltskanzleien Seattles. In dieser Position muss er zwar sieben Tage die Woche zwölf Stunden am Tag schuften, aber das ist halt der Preis des Erfolges, den Gus als bekennender Workaholic gern zahlt. Dass darüber seine Ehe praktisch in die Brüche gegangen und der Vater für die sechsjährige Tochter Morgan ein Fremder geworden ist, war ihm bisher nur beiläufig bewusst.

Was ihm seine Familie tatsächlich bedeutet, muss Gus auf die ganz harte Tour lernen: Eines Tages holt Gattin Beth die kleine Morgan nicht von der Schule ab. Zunächst ist Gus nur verärgert, weil er einspringen und dafür einen seinen wichtigen Geschäftstermine absagen muss. Aber nur zu bald stellt er fest, dass Beth offenbar verschwunden ist. Hat sie ihn verlassen, oder ist sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Gus ist sich unschlüssig; er weiß ohnehin schon lange nicht mehr, wie und wo seine Gattin ihre Zeit verbringt. Kein Wunder, dass die Polizei recht kühl reagiert, als er, besorgter Ehemann und forscher Anwalt zugleich, darauf drängt, die Suche nach Beth mit höchster Priorität zu betreiben. Es ist auch nicht in Vergessenheit geraten, dass diese Gus vor fünf Jahren der körperlichen Misshandlung bezichtigt hatte - ein trauriger Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erzwingen, der Gus noch heute unter Arbeitskollegen, Verwandten und Freunden argen Verdruss beschert, denn wo Rauch ist, muss ja wohl auch Feuer sein, so eine alte Denunzianten-Weisheit.

Freilich weiß die Polizei mehr als sie zugeben mag. Schon seit einiger Zeit treibt in Seattle ein Serienkiller sein Unwesen, der seine Opfer erst stranguliert und dann gut sichtbar für sein entsetztes Publikum (und die begeisterten Medien) an einem Henkersseil aufknüpft. Agentin Andrea Henning vom inzwischen hinzugezogenen FBI hegt sogar die Theorie, dass dieser Psychopath streng nach System tötet: Jeweils zwei der Opfer wirkten wie Zwillinge. Das bedeutet wenig Gutes, denn die bisher letzte erhängte Frau gleicht der verschwundenen Beth wie eine Schwester ...

Ist Beth also schon tot? Aber wieso stellt der Täter dann ausgerechnet ihre Leiche nicht zur Schau? Ganz so einfach liegt der Fall anscheinend doch nicht, zumal bald neue Opfer des Henkers auftauchen. Nachdem sich inzwischen herausgestellt hat, dass Beth Wheatly unter psychischen Störungen litt, muss der verzweifelte Gus sogar feststellen, dass Polizei und FBI eine Komplizenschaft seiner Frau mit dem Killer für möglich halten. Immerhin hat Andrea Henning endlich eine Spur entdeckt, die in das Gehirnwasch-Camp einer obskuren Sekte führt. Ein riskanter Undercover-Einsatz, bei dem die Agentin auf sich allein gestellt ist, soll für Gewissheit sorgen, aber leider stützen sie und ihre Kollegen sich auf zum Teil katastrophal falsche Voraussetzungen ...

Was sich in dieser Zusammenfassung (die weniger verrät als tatsächlich geschieht, keine Sorge!) als recht konventioneller Thriller liest, ist zunächst durchaus einer. Aber das muss ja nicht von Übel sein, wenn der Verfasser sein Handwerk so gut versteht wie James Grippando. Schon nach wenigen Seiten hat man vergessen, dass hier noch ein ehemaliger US-Anwalt sein Hobby zum Beruf gemacht hat - seit Grisham hoffentlich bald selig fällt diese Zunft pestilenzhaft über das arglos lesende Publikum her -, und erlebt einen Pageturner reinsten Wassers. Fünfhundert Seiten lesen sich glatt am Stück und im Höllentempo, was wohl immer noch der schlagendste Beweis für die Unterhaltungsqualität eines Buches ist.

Wo beginnt man zu loben? Es ist ja leider so, dass man als Freund und regelmäßiger Leser von Thrillern viel Kummer gewohnt ist und geradezu rührend dankbar auf Titel reagiert, die einfach "nur" (ha!) handwerklich sauber für Spannung sorgen wollen. Grippando beherzigt ganz einfache dramaturgische Regeln dieses Genres mit bemerkenswerten Ergebnissen. Der Plot - simpel, erprobt, klug variiert, geradlinig abgespult. Die Figuren - echte Menschen mit eigenen Viten, glaubhaft denkend & handelnd, die "Guten" sympathisch, aber nicht aufdringlich überzeichnet und durchaus des Irrtums fähig, die "Bösen" nicht scherenschnitthaft teuflisch, aber auch keine zweifelhaften Idole à la Hannibal Lecter, sondern getriebene oder fehlgeleitete Zeitgenossen, die rein gar nichts Faszinierendes an sich haben. Die Handlung - intensiv recherchiert, konsequent umgesetzt, mit starkem roten Faden, jedes Kapitel im Dienst der Geschichte stehend. Besonders dieser Punkt kann gar nicht positiv genug herausgehoben werden: Zum guten Ton des Mainstream-Thrillers, der direkt für die Bestseller-Liste konzipiert wird, gehören heute massive Seifenoper-Elemente, die Tiefgang vorgaukeln sollen und doch viel zu oft nichts sind als plumpe Versuche, die dem "reinen" Thriller immer noch abholde Kritikerschaft gnädig zu stimmen und unentschlossene Leser- und Käuferschichten zu erschließen.

Wenn Grippando besonders mit Gus Wheatly als rundum stimmige Figur einen Volltreffer gelandet hat, so ist dies kein Wunder, denn der Verfasser beschreibt hier zu einem guten Teil das eigene Leben. Auch er war einst ein erfolgreicher (und chronisch überarbeiteter) Anwalt, wenn auch kein hoffnungsloser Workaholic wie sein Alter Ego (sowie im sonnigen Miami und nicht im kühlen Seattle). So brauchte es denn keinen Kriminalfall in der Familie, sondern der Erfolg als Feierabend-Schriftsteller, der Grippando (übrigens Jahrgang 1958, falls dies interessiert) dazu brachte, sein Leben ab 1996 radikal umzustellen. Er war wohl doch nicht ganz der glückliche Jurist, als der er sich auf seiner "offiziellen" Website http://www.jamesgrippando.com (gut aufgemacht, aber absolut nichtssagend) darstellen lässt, denn dafür ist ihm dieser Gus Wheatly mit seinen vielen Schattenseiten einfach zu plastisch geraten.

Ebenso eindrucksvoll wie die eigentliche Mörderjagd ist Grippando dabei Gus´ Reise in die eigene Vergangenheit gelungen. Dieser muss erfahren, dass er praktisch nur Gast in der eigenen Familie ist. Nun steht er allein da mit einer kleinen Tochter, die ihn nie als echten Vater kennengelernt hat. Daraus entwickelt sich ein quälender, aber auch anrührender Kampf zwischen Gus und Morgan, die nur ganz allmählich zueinander finden - ein Prozess, den Grippando nüchtern und ohne Hollywood-Kitsch darzustellen weiß. Überhaupt ist "Im Schutz der Dunkelheit" ein Thriller, der auch die Geschichte eines Mannes, der seinem Leben eine neue Richtung gibt - aber eben nicht statt des Thrillers.. Hier mag Grippando manchmal allzu offensichtlich seinen eigenen Wandel vom Saulus zum Paulus feiern, aber er ist dabei doch so überzeugend, dass sich nur arge Zyniker über das wirklich happyge Ende mokieren werden.

Wenn's denn etwas zu kritisieren gilt, dann das leicht enttäuschende Finale. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass eine spannende Geschichte an Schwung verliert, wenn die ihr zu Grunde gelegten Geheimnisse gelüftet werden. Hinzu kommt hier Grippandos Entscheidung, als deus ex machina die allseits bekannte und längst nicht mehr beliebte Knallkopf-Sekte einzusetzen. Zwar sei Grippando zugestanden, dass in der realen Welt ein deprimierend großer Anteil des alltäglichen Bösen auf das Konto religiöser Spinner und Fanatiker geht. Im Unterhaltungsroman (oder -film) mag man sie aber wie gesagt einfach nicht mehr sehen. Da gibt es allzu viele Klischees und kaum Variationsmöglichkeiten; wer hat es nicht satt, roboterhafte Adepten bei allerlei Untaten zu beobachten, die ihnen ein rasputinoider Meister in die leeren Köpfe gesetzt hat?

Im letzten Moment kann Grippando auch nicht widerstehen, den eigentlichen Bösewicht seinerseits nur als Handlanger zu demaskieren. Hinter allen Morden und Entführungen steckt selbstverständlich jemand, den wir schon sehr früh kennengelernt haben, sich deshalb möglichst unauffällig verhalten muss und trotzdem als Graue Eminenz im Hintergrund eine denkbar ungünstige Figur macht. So kann für "Im Schutz der Dunkelheit" doch nicht die Höchstnote für sich beanspruchen, aber James Grippando ist nichtsdestotrotz ein Name, den wir uns merken werden!

Im Schutz der Dunkelheit

James Grippando, Ullstein

Im Schutz der Dunkelheit

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