Die weiße Spinne
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1988
- 3
- München: Goldmann, 1929, Seiten: 218, Originalsprache
- München: Goldmann, 1972, Seiten: 214, Originalsprache
- München: Goldmann, 1988, Seiten: 214
Zwölf kleine gläserne Spinnen wurden vor einem Jahr dem Geschäftsmann Richard Irvine ins Haus geschickt. Kurze Zeit darauf war er tot, vor einen U-Bahnwaggon gestürzt, eine der besagte Spinnen krampfhaft umklammernd. Die anderen elf waren verschwunden, tauchen aber nach und nach wieder auf: Jedes Mal hält sie ein anderes Mordopfer in der Hand.
Scotland Yard setzt Inspektor Dawson, seinen besten Mann, auf den Fall an. Verbissen geht der alte Haudegen den schwachen Spuren nach. Seine Hauptverdächtige ist Muriel Irvine, Richards Witwe, die durch den Tod des Gatten eine hohe Versicherungssumme einstrich. Dass sie leugnet von den Spinnen zu wissen wird ihr Verhängnis, denn Dawson weist ihr dies als Lüge nach. Bevor er seine Fahndung intensivieren kann, wird er allerdings umgebracht. In seiner Hand: eine der bekannten Spinnen.
Die Polizei hasst es seit jeher, wird einer der ihren ermordet. Sir James Gaskill, Chef des Yard, übergibt den Fall nun einem echten Troubleshooter. Captain Raymond Conway liebt geradezu konspirative Fahnungsmethoden. Er hält sich vor den Kollegen verborgen und führt den Kampf gegen die "Spinner-Mörder" aus dem Verborgenen. Dabei hilft ihm der angebliche Lebemann und Kleinkriminelle Ralph Hubble. Er lässt sich als Sekretär im Kaufhaus von Muriel Irvine anstellen.
Es wird kaum überraschen, dass sich dort die Hinweise auf dunkle Machenschaften häufen. Dahinter stecken der Gangsterboss Strongbridge, ein Meister der Maske, dessen wahres Gesicht niemand kennt und der in einer düsteren Burg außerhalb der Stadt haust, in der ungehört allerlei Ungeheuerlichkeiten vor sich gehen. Strongbridge und seine Schergen, der einäugige John Corner und der glatzköpfige Edward Phelips, planen mit Mrs. Irvines erpresster Unterstützung einen großen Fischzug. Aber das arme Opfer hütet selbst einige Geheimnisse und baut auf die Unterstützung von Captain Conway, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Strongbridge zur Strecke zu bringen. Allerdings ist dieser kein Dummkopf, und so gehen sowohl Hubbles als auch Conways kriminalistische Schüsse ziemlich nach hinten los ...
Wer hätte gedacht, dass sich das 19. Jahrhundert in gewissen Bezirken Londons so hartnäckig halten könnte? Diesen Eindruck kann man jedenfalls während der Lektüre dieses heute seltsam anmutenden Kriminalromans kommen. Er wirkt mindestens doppelt anachronistisch: Entstanden ist er im Jahre 1929, aber selbst dem historischen Laien fällt sofort auf, dass er schon damals nicht ganz von dieser Welt war bzw. mit der zeitgenössischen Realität nur beiläufig zu tun hatte.
Kein Wunder, denn "Die weiße Spinne" ist ein von der ersten bis zur letzten Zeile kopiertes Werk. Es entstand nicht in England, sondern in Prag und mag die dortigen Verhältnisse wesentlich besser widerspiegeln als das London der "Roaring Twenties". Selbst darauf würde Ihr Rezensent nicht tippen, denn "Die weiße Spinne" ist darüber hinaus das Quasi-Plagiat eines Edgar Wallace-Thrillers - und dieser Autor ist wahrlich nicht für Krimi-Kunst bekannt, die sich an der Realität orientiert!
Statt dessen legt Weinert-Wilton seine Geschichte als triviales Gut-Böse-Spektakel an. Plakativ bedient er sich auch in Deutschland lieber Klischees - nebelige London-Gassen, mysteriöse Gangsterbanden, unerschrockene Kriminalisten usw. -, die er mit kräftigen Anleihen beim Schauerroman zum gemütlichen Märchenkrimi aufpeppt.
Mit der Figurenzeichnung betreten wir das Reich der Eindimensionalität. Ob Wallace oder Weinert-Wilton: Der Rätselkrimi der unterhaltsamen, aber literarisch höchstens mittelmäßigen Art arbeitet ausschließlich mit Reißbrett-Figuren. Die Guten sind bis zum Erbrechen redlich und folglich ausgesprochen langweilig. Der Versuch, sie durch exzentrische Macken interessanter wirken zu lassen, ist aus heutiger Sicht ziemlich kindisch. Hubble, der jugendliche "Held", hinterlässt (stets korrekt im Anzug plus Monokel) ebenfalls einen eher lächerlichen Eindruck.
Die Bösen schaffen es leider nicht den Ausgleich herzustellen. Dazu sind sie schlicht zu blöd. "Böse" bedeutet nach Weinert-Wilton stets auch "hässlich", "feige", "unterlegen" etc. Die Gerechtigkeit muss siegen, auch wenn sie kaum intelligenter wirkt als der finstere Gegner. Weinert-Wiltons Schurken sind der Theater- und Stummfilmschmiere entlehnte Pappkameraden, die nicht einmal mit viel Wohlwollen seitens des heutigen Lesers Ernst genommen werden können. Strongbridge ist der Herrscher über ein Reich spukiger Schlösser, staubiger Geheimgänge und Falltüren. Selbst 1929 dürfte ein Großgangster, der sich auf solche theatralischen Tricks verlässt, keine lange Karriere vor sich gehabt haben.
Was Weinert-Wiltons Frauenfiguren betrifft, ist ungläubiges Kopfschütteln noch die beste Entscheidung. In seinem London gibt es nur tragische Heldinnen, die aus Schurkenhand gerettet (und geheiratet) werden müssen, dümmlich-mannstolle Sekretärinnen und Verkäuferinnen, die dasselbe wünschen, sowie schlampige Barmädchen, die sich Geld erpressen, um Hüte und Schmuck zu kaufen. So verwundert es nicht, dass Weinert-Wiltons Werke inzwischen nicht mehr aufgelegt werden - auch Nostalgie gleicht ihre Nachteile nicht mehr aus!
Louis Weinert-Wilton, Goldmann
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