Die Umarmung des Todes

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2003
  • 53
  • Tokio: Kodansha, 1997, Titel: 'Auto', Originalsprache
  • München: Goldmann, 2003, Seiten: 608, Übersetzt: Annelie Ortmanns
Die Umarmung des Todes
Die Umarmung des Todes
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Thomas Kürten
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2003

Schaschlik japanisch

In Japan überraschend ein Bestseller, zum besten Kriminalroman des Jahres von der dortigen Kritik hochgejubelt und schließlich mit Literaturpreisen dekoriert. Das ist die Geschichte des Romans Die Umarmung des Todes in wenigen Worten zusammen gefasst. Das ist wohl auch der Grund, weswegen der Roman in deutscher Übersetzung zunächst als Hardcover erschien und seit Anfang 2005 erst als Taschenbuch erhältlich ist.

Die Geschichte von vier Frauen, Yoshie, Masako, Kuniko und Yayoi, die gemeinsam Nacht für Nacht in einer Fabrik am Fließband Lunchpakete packen. Für sie alle ist die Nachtschicht eine Flucht vor den Lasten des Tages und den Menschen im engsten familiären Umkreis, die ihr Leben so schwer machen. So packen sie lieber das klein geschnetzelte Fleisch und die Sushi-Häppchen in Plastikschälchen und verdienen damit Akkordlohn.

Solidarität am Fließband

Nach ausführlicher Einführung der vier Charaktere, bringt ausgerechnet die Zärtlichste und Jüngste ihren Mann kurz vor der Nachtschicht um. Yayoi wendet sich an Masako, die ihr zunächst planlos verspricht, bei der Entsorgung der Leiche zu helfen. Am Fließband reift die Idee, den Toten zu zerstückeln und dann im Hausmüll zu entsorgen. Um das zu unbemerkt zu schaffen, braucht Masako aber die Hilfe von Yoshie und Kuniko, die ihr ohnehin noch Geld schulden und daher von ihr abhängig sind. Die Frauen arbeiten gründlich, aber beim deponieren der Müllbeutel ist Kuniko zu nachlässig und Teile der Leiche werden entdeckt.

Die Frauen haben Glück, dass Kenji, das Opfer, kurz vor seinem Tod von Nachtclubbesitzer Satake gewaltsam vor die Tür gesetzt wurde. Als die Polizei davon erfährt, buchtet sie diesen gewalttätigen Mann ein, der bereits einmal wegen Mordes hinter Gittern saß. Seine Schuld kann nicht bewiesen werden, aber da seine über Jahre erfolgreich aufgebauten Etablissements während seiner Untersuchungshaft geschlossen werden müssen, sinnt er auf Rache. Und er glaubt auch schon zu wissen, wer ihn in diese Lage gebracht hat...

Ein Roman ohne einen Helden

Ungewöhnlich und interessant, wie Natsuo Kirino ihre Geschichte vom Leben im Schatten der japanischen Gesellschaft zeichnet. Alle auftretenden Figuren sind auf gewisse Weise kriminell. Es gibt kein Gut und kein Böse; ebenso gibt es keine eindeutige Hauptfigur. Die Handlung ist verteilt auf die Schultern von mindestens sieben Personen. Dabei wechselt die Erzählperspektive mit nahezu jedem Kapitel und die Psyche eines jeden Charakters wird dem Leser auf diese Weise unmittelbar dargelegt. Nachteil dieser häufigen Perspektivwechsel ist, dass viele Ereignisse doppelt oder sogar dreifach erzählt werden. So wird dem Leser klar, wie unterschiedlich einzelne Situationen von verschiedenen Charakteren wahrgenommen werden. Wer sich an solchen Wiederholungen nicht stört, kann sich voll auf die unterschiedlichen und gründlich durchdachten Charaktere einlassen, die mit Hingabe und Perfektion gestaltet wurden.

Und noch etwas ist bemerkenswert. Kirino hätte ein Gemetzel beschreiben können. Jede der Frauen hätte genug Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld, ohne die ihr Leben viel sorgloser wäre. Genug potenzielle Opfer. Und die perfekte Entsorgung über die Lunchpakete liegt auch nahe. "Soilent Green" lässt grüßen. Solche Motive sind alt und abgegriffen. Hätte die Autorin diesen naheliegenden Vermutungen entsprochen, wäre ihr Roman langweilig und vorhersehbar geworden. Aber Kirino geht weiter, beschreibt die charakterlichen Veränderungen der vier Frauen, wie ihre Freundschaft nach und nach zerbricht und wie es schließlich doch noch Menschen gibt, die das große Geheimnis der vier Frauen ergründen können. Phantasiereich auch, wie diese Menschen dann die erlangten Informationen zu nutzen wissen.

Kirino schreibt mitunter nüchtern, detailliert und sehr in die Psyche gehend. Fast bis zum Schluss versteht sie es, den Leser zu überraschen. Eine runde Sache, vital und authentisch erzählt. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind greifbar beschrieben, die Charaktere, letztendlich auch der der geheimnisvollen Masako, wirken real. Ich möchte nicht wissen, was ein Amerikaner aus der Grundlage der ersten 150 Seiten gemacht hätte; bei Natsuo Kirino ist es jedenfalls ein kleines Meisterwerk geworden.

Die Umarmung des Todes

Natsuo Kirino, Goldmann

Die Umarmung des Todes

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