Ein Modigliani aus Kuba

  • Distel
  • Erschienen: Januar 1999
  • 1
  • Heilbronn: Distel, 1999, Seiten: 98, Übersetzt: Horst Rosenberger
  • -: -, 2004, Titel: 'Modigliani', Originalsprache
Ein Modigliani aus Kuba
Ein Modigliani aus Kuba
Wertung wird geladen
Wolfgang Reuter
10°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2003

Eine große Enttäuschung

Wollten Sie schon immer einen Krimi schreiben? Halten Sie sich für intelligent, belesen, sind Sie vielleicht Akademiker? Gelingen Ihnen in Gesellschaft geistreiche Formulierungen? Versuchen Sie es! Und verwenden Sie folgendes Rezept:

Man nehme:

  • Einen Autor mit wohlklingendem Namen wie zum Beispiel "Roberto Estrada Bourgeois", der einem auf der Zunge zergeht und dem Leser die Aura des diskreten Charme der Bourgeoisie verleiht.
  • Dazu einen Titel, der sowohl einen Hinweis auf ein fernes, möglichst südliches Land enthält mit all der Hoffnung auf die entsprechende exotische Atmosphäre, Essen, Weine und vielleicht ein bisschen Sozialkritik zur Beruhigung des eigenen Gewissens - als auch irgendetwas, das in eleganter, lässiger Art mit Kunst zu tun hat und besagten Leser in die illustre Gesellschaft der Kunstkenner erhebt, wo er oder sie garantiert dem Autor begegnen.
    Ideal wäre etwa "Ein Modigliani aus Kuba".
  • Name und Titel sollten in geschmackvoller Form am Buchdeckel arrangiert werden, als Hintergrund ein warmer Farbton. Und natürlich ein Bild, selbstredend ein Modigliani. Perfekt ist ein weiblicher Akt, noch besser als Collage mit dem Foto einer jungen Frau.
  • Das Buch darf nicht zu dick sein, eher ein schmales Bändchen, um den Griff ins Regal nicht durch die Angst vor einem eventuellen Zeitaufwand beim Lesen zu behindern.
  • Das kunstsinnige Tüpfelchen auf dem "i" stellt eine zu Beginn eingefügte Seite dar mit dem Leitmotiv: "Amadeo Modigliani, italienischer Maler und Bildhauer, geboren 12.7.1884 in Livorno, gestorben 25.1.1929 in Paris".

Somit können wir hoffen, in diesem Buch etwas über Modigliani zu erfahren, und sei es auch nur in dichterisch verfeinerter Form - denn Hand aufs Herz: wissen Sie über ihn Bescheid? Das Ganze wird sowohl geschüttelt als auch gerührt und dem darob gerührten Leser unter Fanfarenstößen der vor Begeisterung geschüttelten Rezensenten unter die Nase gehalten.

Wir haben noch nicht über den Inhalt gesprochen? Sie nehmen es aber genau! Doch scheinbar zufällig habe ich hier ein Buch vorliegen, das bis ins letzte Detail unserem Schema entspricht. Folgendes wird darin erzählt:

Eine achtundzwanzigjährige, namentlich nicht genannte Kubanerin, Kunsthistorikerin, arbeitet in Havanna im Kulturhaus, verdient dabei aber zuwenig und bessert ihr Gehalt durch illegalen Verkauf von Seife auf. Sie lernt Marcello kennen, der sie überredet, Kunstgegenstände von der ahnungslosen armen Bevölkerung für den europäischen Schwarzmarkt anzukaufen. Dabei gerät sie auch an einen Modigliani. Sie und Marcello werden unfreiwillig Zeuge eines Mordes an einer Prostituierten und fliehen nach Rom. Ein halbes Jahr später fordert Marcello die Frau auf, nach Paris zu fahren, um den Modigliani zu verkaufen, doch der erweist sich als Fälschung ...

Soweit die Handlung. Sie reicht für etwa 40 Seiten. Doch das Buch hat knapp 100 Seiten, wie ist das möglich? Durch einen Taschenspielertrick: Doppelt so grosse Buchstaben! Aufgeblasen wie eine bunte Seifenblase, und genauso zerplatzt der Traum, wenn man nur den Anfang liest:

 

"Wenn nicht unbestreitbar wäre, dass ich hier sitze, wenn ich nicht diesen Tisch anfassen könnte, auf dem mein Glas steht, wenn ich nicht meinen Blick auf diesen Himmel richten könnte, ...dann würde ich an meinem Verstand zweifeln..."

 

Diese unglückselige Flut an Konjunktiven durchzieht das ganze Buch, der Höhepunkt findet sich auf S. 35:

 

"Sobald ich den neuen Auftrag von Marcello ausgeführt haben würde, würde ich den Kühlschrank mit Essen voll stopfen..."

 

Die Sprache ist zum Großteil einfach banal, vulgär oder phantasielos, oft auf dem Niveau eines billigen Schundheftchens:

 

"Er gab mir einen Kuss auf den Mund, der zwar kurz, aber nichtsdestotrotz ein wahres Honigschlecken war."

 

Es tummeln sich Wortwiederholungen, wie etwa auf S. 39:

 

"...dass ich soviel Lärm beim Eintreten machen könnte, wie ich wollte, und sie ungestört abmurksen könnte."

 

Liebeserklärungen klingen wie Psychologie á la Oswald Kolle:

 

"Du gefällst mir sehr, aber ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte ohne dass es als rein sexuelles Interesse erscheinen würde. Ich will nicht nur einfach mit dir ins Bett gehen, ich möchte etwas Ernsteres."

 

Die Personenbeschreibungen sind stereotyp, ideenlos, ständig ist jemand "elegant", geht jemand auf "ein Bier", wackelt jemand "mit dem Hintern".

Gerade letzterer Punkt zeigt, dass Bourgeois mit dem Versuch, sich in eine Frau als Hauptfigur hineinzudenken, völlig gescheitert ist. Der männliche Macho - Blick ist überall evident: Die Haushälterin "schwingt ihren monumentalen Hintern ohne tiefere Absichten (!) hin und her", der Minirock der früheren Kommilitonin Julia war so kurz, dass er "kaum ihren Hintern bedeckte", und überhaupt - "was sie mit ihrem Hintern trieb, ging letztlich nur sie etwas an", und schließlich "zog" die Haushälterin wiedereinmal "hüfteschwingend über den Gang ab", nur wenig später "ziehen" zwei Flittchen "wütend mit wackelndem Hintern ab".

Ob diese ganze sprachliche Misere nur an Bourgeois liegt oder vielleicht auch an der Übersetzung, kann ich nicht beurteilen. Wirkliche Spannung kommt eigentlich nirgends auf.

Die wenigen "sozialkritischen" Bemerkungen oder Schilderungen aus dem kubanischen Alltag sind zwar pointiert formuliert, aber nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ein einziges Bild bleibt mir im Gedächtnis: Wie die junge Frau erstmals zu Geld kommt, sich ein teures Kleid kauft und im Park sitzend eine Tafel Schokolade verzehrt. Fast wie Audrey Hepburn. Aber das war´s dann schon. Warum sich Bourgeois nicht entschließen kann, dieses Niveau den ganzen Roman durchzuhalten, weiß wahrscheinlich nur er selbst.

Modigliani stammt aus Italien.
Die Fälschung stammt aus Kuba.
Eine große Enttäuschung.

Ein Modigliani aus Kuba

Roberto Estrada Bourgeois, Distel

Ein Modigliani aus Kuba

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Ein Modigliani aus Kuba«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren